Bauen mit Containern: Was einst als normiertes Transportsystem erfunden wurde, entpuppt sich immer öfter als genialer Baustein für Architekten.

Newtown. Wahrlich nicht die beste Gegend. Doch seit kurzem wartet der Johannesburger Industriebezirk mit einem neuen Wahrzeichen auf, das Schaulustige aus aller Welt anzieht: Auf dem Dach eines ehemaligen, seit Jahren leerstehenden Getreidesilos errichtete die südafrikanische Citiq Property Group vier Etagen aus alten, ausrangierten Schiffscontainern. Kommenden Freitag wird das ungewöhnliche Studentenheim, das aussieht wie eine Mischung aus Lego-Burg und raumgewordenem Tetris-Spiel, mit einer Führung offiziell eröffnet.

Foto: Ben Bergh

"Früher wurde Newtown ausschließlich von Industrie- und Gewerbebetrieben genutzt, doch die großen Firmen ziehen nach und nach weg, und der Stadtteil mausert sich langsam zu einem aufstrebenden Wohnviertel mit Künstlern und Kreativen", erzählt Daniel Aarons, Projektarchitekt bei Citiq. "Aus diesem Grund haben wir beschlossen, die alte Bausubstanz, anstatt sie abzureißen, zu sanieren und einer neuen Nutzung zuzuführen. Das ist wirtschaftlicher und auch ökologischer."

Foto: Ben Bergh

Während der Silo innen dank neuer Betondecken und etlicher Durchbrüche in den bestehenden Zylinderwänden zimmertauglich gemacht wurde, bekam er außen eine einfache Stahlkonstruktion verpasst. In diese Konstruktion wurden, als würde man ein Billy-Regal mit Büchern bestücken, 64 handelsübliche Schiffscontainer mit 40 Zoll Länge gesteckt.

Fotos: Ben Bergh

Die Stahlkisten, die in den letzten Jahren als Transportbehältnisse über den Erdball geschippert wurden, sind eine wertvolle Erweiterung der Nutzfläche. Dadurch bietet der Mill Junction Apartment Tower Platz und Bettstatt für insgesamt 375 Studenten.

Foto: Ben Bergh

"Die alten Container haben einen großen, unschlagbaren Vorteil", sagt Aarons. "Indem man hier de facto ein Gebäude aus zwölf Meter langen, verhältnismäßig leichten Bauklötzen errichtet, ist der Baufortschritt so schnell wie bei keiner anderen Bauweise. Gerade bei einem hohen Silo, bei dem es Baumassen in große Höhen zu hieven gilt, ist das eine enorme logistische Erleichterung."

Fotos: Ben Bergh

Die Container, die die Citiq diversen Speditionsunternehmen zum Altmetallpreis abgekauft hat, wurden im Werk adaptiert und mit Türen, Fenstern, Böden, Heizung und LED-Beleuchtung bestückt. An der Außenseite wurden die Kisten mit 75 Millimeter Polystyrol gedämmt. Das war's. Keine Woche Bauzeit ist vergangen, und schon erstrahlte der einst nackte Silo in neuer, eckiger Pracht. Normalerweise dauert eine Aufstockung in diesen Dimensionen monatelang.

Foto: Ben Bergh

"Das ist absolute Low-Budget-Architektur, und natürlich hält sich der Komfort in Grenzen", meint Aarons. "Doch die Wahrheit ist, dass es in Südafrika bereits genug teuren, perfekt ausgestatteten Wohnraum gibt. Woran es jedoch mangelt, das ist billiger, temporärer Wohnraum für Studenten." Allein in Johannesburg, rechnet der Citiq-Projektleiter vor, gehe der Bedarf in die Tausende. Die hier gewählte Bauweise - es ist der bereits zweite Container-Bau des südafrikanischen Bauträgers - sei eine Möglichkeit, die Nachfrage nach billigen Quadratmetern zu decken.

Foto: Ben Bergh

Weltweite Spedition einer Idee

Der Mill Junction Apartment Tower in Newtown ist kein Einzelfall. Wie es scheint, dürfte hier ein Trend entstanden sein, der anno 2006 von den Freitag-Taschenbrüdern initiiert wurde, nachdem sie ihren Zürcher Flagship-Store zu einem Turm aus 19 Überseecontainern gestapelt hatten, und der sich heute über den gesamten Globus zieht. Damit steht der Container nicht nur für die Spedition von Gütern, sondern auch für den interkontinentalen Transport einer neuen, innovativen Behausungsidee.

Fotos: Freitag

In New Jerusalem (Südafrika) wurde ein Waisenhaus aus 28 Containern errichtet. In Schanghai entstand auf diese Weise das Besucherzentrum eines Biolandwirtschaftsunternehmens.

Fotos: Dennis Guichard

In der Antarktis stellten die Hamburger Architekten BOF letztes Jahr die Forschungsstation Bharati (Bild) fertig, die aus 134 Containern zusammengeschraubt wurde.

Foto: NCAOR

In diesem Fall war es der Wettlauf gegen die Zeit, der die Projektentwickler zum Griff zur Kiste zwang.

In Planung sind außerdem diverse Pop-up-Shoppingcenter sowie ein aus Rolex-, Swarovski- und Louis-Vuitton-Containern gestapelter Luxury-Brand-Hotelturm in Hongkong.

Foto: NCAOR

Auch in Europa macht der Container Schule: In London wurde aus Anlass der Olympischen Spiele 2012 das Containerhotel Snoozebox errichtet, das innerhalb von 48 Stunden auf- und abgebaut werden kann.

Fotos: snoozebox

Im Zürcher Stadtteil Leutschenbach errichtete die Asylorganisation Zürich (AOZ) ein gelb-oranges Containerdorf für 250 Asylsuchende. In Berlin wurde vor wenigen Wochen das aus 400 Hochseecontainern errichtete Studentenheim Frankie & Johnny übergeben.

Foto: AOZ

Und in Wien wurde kürzlich ein Architekturwettbewerb entschieden, bei dem es um die Errichtung eines temporären auf- und abbaubaren Studentenheims in der Seestadt Aspern geht - abermals aus Containern (DER STANDARD berichtete).

Visualisierung: Sigrid Hintersteininger Architects

Für den Containerproduzenten Royal Wolf in Melbourne (Australien) planten die Room 11 Architects ein modulares Büro aus 14 Containern, dem man seine billige, effiziente Bauweise erst auf den zweiten Blick ansieht. "Man kann einen Container nicht eins zu eins vom Frachter hieven, aufs Grundstück platzieren und gleich ein paar Schreibtische hineinstellen", erklärt Aaron Roberts, Projektleiter bei Room 11. "Doch auch wenn man die nachträgliche Wärmedämmung, die akustischen Maßnahmen, den Einbau von Fenstern und die Oberflächenveredelung im Innenraum mitberücksichtigt, ist so ein Bauwerk dennoch um einiges schneller und kostengünstiger als ein vergleichbares Projekt in herkömmlicher Bauweise."

Foto: Royal Wolf

Vor allem aber geht es Roberts um die oft missbrauchten Begriffe Nachhaltigkeit und Recycling. "So ein Haus aus neuen, ungebrauchten Containern zu errichten wäre ökologischer Wahnsinn, denn bis der Rohstoff Stahl in diese Form gebracht ist, hat man bereits enorme Mengen Grauenergie verbraucht. In diesem Fall aber greifen wir auf Elemente zurück, die sonst auf dem Schrottplatz oder Containerfriedhof landen würden." Solange die Menschheit Güter über die Weltmeere speditiert, solange es auf dieser Welt Container gibt, so Roberts, so lange sei Container-Architektur auch ein wertvoller Beitrag zur Ressourceneinsparung und zum Umweltschutz.

Foto: Royal Wolf

Das vielleicht ungewöhnlichste Kostenkonglomerat, das in den kommenden Jahren errichtet werden soll, ist die Econtainer Bridge in Tel Aviv. Die 31 ausrangierten Transportbehältnisse, die mittels Schweißnähten und sogenannter Twistlocks kraftschlüssig zu einer 160 Meter langen Brücke verbunden werden, sollen ab 2016 einen acht Quadratkilometer großen Park am Rande Tel Avivs erschließen.

Die Materialwahl ist kein Zufall: Durch seinen Zugang zu zwei Meeren spielt Israel eine große Rolle in der Schiffsspedition. Die Zahl der normierten Stahlboxen, die Jahr für Jahr aus dem Verkehr gezogen werden, ist enorm.

Foto: Yoav Messer

"Diese Brücke ist ein Icon für Denken und Umdenken", sagt der zuständige Architekt Yoav Messer. "Auch wenn wir die Container umbauen und statisch nachrüsten müssen, ist diese Brücke dennoch viel billiger und viel effizienter als eine vergleichbare Brücke ohne Recycling. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt den Umgang mit Baustoffen und Recycling in Israel nachhaltig verändern wird." Das ist ein Statement, eines von vielen, die derzeit containerweise in aller Welt abgegeben werden.

Foto: Yoav Messer

Solange die Menschheit Güter über die Weltmeere schippert, solange es auf dieser Welt Container gibt, so lange ist auch Container-Architektur ein wertvoller Beitrag zum Umweltschutz. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Album, 26.4.2014)

Foto: Yoav Messer