Die Heiligsprechung zweier so ungleicher Päpste wie Johannes XXIII. und Johannes Paul II. ist ein geschickter Schachzug ihres Nachfolgers Franziskus. Karol Wojtyla gilt den Bewahrern in der katholischen Kirche als Vorbild. Er bekämpfte die Befreiungstheologie in Lateinamerika und wich in Fragen der Moraltheologie um keinen Millimeter von der offiziellen Linie ab. In Sachen Zölibat und Empfängnisverhütung zeigte er sich als Hardliner und förderte erzkonservative Bünde wie Opus Dei und Legionäre Christi.

Johannes XXIII. hingegen ist eine Ikone der Reformkräfte. Als Initiator des Zweiten Vatikanischen Konzils strebte er eine Öffnung der Kirche an und wurde deshalb im konservativen Lager offen angefeindet. Während die Weichen für die Heiligsprechung des polnischen Santo-subito-Papstes bei seiner Wahl bereits gestellt waren, ordnete Franziskus überraschend die gleichzeitige Kanonisierung des Italieners an, dessen Seligsprechung bereits 16 Jahre zurückliegt. Über die vorgeschriebene Prozedur, die ein Wunder vorsieht, setzte sich Franziskus einfach hinweg.

Es besteht kein Zweifel, dass der Argentinier Johannes XXIII. näher steht als Johannes Paul II. Dessen ungewohnt rasche Heiligsprechung konnte er nicht mehr aufhalten. Aber weil er das Feld nicht dem konservativen Lager überlassen wollte, setzte er mit der gleichzeitigen Kanonisierung des Reformers einen deutlichen Gegenpol. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 28.4.2014)