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Spaceshuttle-Astronautin aus Leidenschaft: Lisa Nowak, studierte Luft- und Raumfahrttechnikerin und auch liebeskranke Irre.

Foto: AP/Nasa

Lisa Nowak veränderte alles. Die Nasa-Astronautin hatte den Psychologen vorgeführt, dass sie absolut nichts über die Psyche ihrer Astronauten wissen. Im einen Moment noch die Vorzeigeastronautin des Spaceshuttles Discovery, eine Bordingenieurin auf der Internationalen Raumstation, zusammen mit dem deutschen Astronauten Thomas Reiter. Im nächsten Moment die liebeskranke Irre. Lisa Nowak. Mutter von drei Kindern. Verliebt in den Shuttle-Piloten Bill. Zwei Jahre jünger als sie. Die Liebe muss geheim bleiben, Nowak ist verheiratet. Doch Lisa findet heraus, dass Bill auch in E-Mail-Kontakt mit einer anderen Frau steht. Die Rivalin lebt 1500 Kilometer von Houston, Texas, entfernt, in Orlando, Florida. Nowak legt sich Perücke, Sonnenbrille, Trenchcoat zu, fährt nach Florida und verfolgt ihre Rivalin. Sprüht Pfefferspray durch den Schlitz in deren Autoscheibe. Die Rivalin kann fliehen, alarmiert die Polizei. Die Beamten finden Latexhandschuhe, eine Luftdruckpistole, ein Messer und einen Metallhammer in Lisa Nowaks Auto. Und von Lisa entwendete Liebesbriefe der Nebenbuhlerin an Bill. An "ihren" Bill. Eine Astronautin ist nicht wie andere Frauen: Nowak trägt Windeln, um auf der 1500 Kilometer langen Autofahrt von Houston nach Orlando keine Pause einlegen zu müssen. So wie das Astronauten auch bei Starts und Landungen tun.

Risikofaktor Mensch ...

Lisa Nowak wurde unter 2432 Bewerbern ausgewählt. Die studierte Luft- und Raumfahrttechnikerin durchlief ein Bewerbungsverfahren, aus dem zunächst 123 Finalisten hervorgingen und das sie gewann. Sie wurde anschließend zwei Jahre lang von der Nasa ausgebildet. Psychologische Tests waren Teil des Auswahlverfahrens. Doch niemand erkannte ihr "Potenzial". Nowak musste nach dem Eifersuchtsdrama vor Gericht, wurde zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt und "nicht ehrenhaft" entlassen.

Auch Astronauten sind nur Menschen und daher unberechenbar. Sie drehen durch, sie versagen, sie machen Fehler. Selbst wenn eine mächtige Staatsmacht enormen Druck macht, der Risikofaktor Mensch bleibt.

Der russische Kosmonaut Walentin Lebedew ist ein zweifacher Held der Sowjetunion, zweifacher Träger des Leninordens, Ehrenbürger von 16 Städten und sogar Offizier der französischen Ehrenlegion. Ein in jeder Hinsicht ehrbarer Mann also. In seinem Tagebuch 211 Tage im Weltraum erzählt er, dass Zwiebelknollen auf die russische Raumstation Saljut 4 gebracht wurden, um biologische Experimente durchzuführen. Lebedew schreibt: "We planted fresh onion. To tell you the truth, we were supposed to plant four onion bulbs." Man beachte das Wort: "supposed" - sollten. Denn für die Kosmonauten, die einen Langzeitrekord im All aufstellten, waren die Zwiebeln ein willkommener Leckerbissen - sie aßen sie sofort mit etwas Brot auf. Der Bodenkontrolle berichteten sie laufend, wie toll die Zwiebeln im All gediehen. Sie dürften mit ihren Ausführungen ein bisschen übertrieben haben, denn nach einiger Zeit wurden die Berichte vom fabelhaften Wuchs der Zwiebeln in der Schwerelosigkeit den Biologen verdächtig, und die Sache flog auf.

Wie kann man verlässliche, psychisch stabile Menschen für eine Weltraummission finden? Diese beiden Fälle sind noch glimpflich verlaufen, aber was, wenn ein Team auf dem Weg zum Mars ist und es über Monate kein Ausstiegsszenario gibt?

Das wohl großspurigste Auswahlverfahren aller Zeiten betreibt derzeit Mars One. Das ist eine private Stiftung, die ab 2024 Menschen auf den Mars schicken will, damit sie dort eine Siedlung errichten. Die Astronauten bekommen ein One-Way-Ticket, sie werden auf dem Roten Planeten sterben, falls sie dort überhaupt lebend ankommen. Und doch haben sich in einem ersten Auswahlverfahren 200.000 Menschen beworben. Die meisten Bewerbungen kamen angeblich aus China, den USA und Indien. Darunter waren, so Mars One, auch Nacktvideos. Übriggeblieben sind also 1058 ernstzunehmende Bewerber für den Trip zum Mars. Was müssen diese Menschen außer einem ausgeprägten Todestrieb mitbringen? Zeugt es nicht eigentlich schon von Wahnsinn genug, sich für so eine Mission überhaupt zu bewerben? Ganz abgesehen davon, dass ernstzunehmende Forscher dieses Projekt für eine leere Ankündigung halten. Denn noch hat die Stiftung um den Unternehmer Bas Lansdorp weder das dafür nötige Geld aufgestellt, noch ist die Technik reif für Terraforming, für die Besiedlung eines lebensfeindlichen Planeten.

Denn über den Mars fegen Staubstürme bis zu 400 km/h, heftige Gewitter mit Blitzen ziehen über den Planeten, und die hochenergetischen Teilchen der Sonne treffen fast ungebremst auf die Oberfläche. Der Strahlenschutz wird in der dünnen Atmosphäre eines der wichtigsten Themen für eine Marssiedlung sein. Wer kann dem psychisch und körperlich standhalten? Wer wird fliegen? Mars One will die künftigen Marssiedler über eine Fernsehshow ganz irdisch demokratisch wählen lassen. Verlangt sind fünf Schlüsselqualifikationen: Ganz oben auf der Liste steht Resilienz, also die Fähigkeit, jede Art von Stress meistern zu können. Anpassungsfähigkeit, Neugierde, die Fähigkeit zu vertrauen und Kreativität sind gefragt sowie eine Körpergröße zwischen 157 und 190 Zentimetern.

... nicht aus der Luft gegriffen

Sollten die Pioniere tatsächlich lebend auf dem Mars ankommen, wie wird das Leben dort aussehen? Werden sie eine neue Gesellschaftsordnung errichten (wie sie der Schriftsteller Georg Klein in seinem Roman Die Zukunft des Mars schildert)? Oder werden sie sich die Köpfe einschlagen, noch bevor die zweite Mannschaft ankommt? Diese Unterstellung ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Raumfahrtagenturen versuchen seit Jahren, das Leben auf einer Marsstation zu simulieren. Dafür werden internationale Teams in einen Container gesperrt. Zuletzt im Jahr 2011. Bei Mars500 der russischen Weltraumagentur Roskosmos und der europäischen Esa kam es im Lauf der 520 Tage zu gröberen Unstimmigkeiten zwischen den Teilnehmern. Der Grund: ungleiche Arbeitsaufteilung. Neid schürte auch, wenn ein Teilnehmer mehr Liebesbriefe von seiner Freundin bekam als ein anderer. Derartige Querelen können allerdings noch eskalieren. So geschehen bei dem Projekt Mars 240. Bei diesem Isolationsexperiment kam es zu einer Prügelei zwischen den russischen Teilnehmern. Außerdem belästigte ein Russe eine Kanadierin - die hatte offensichtlich nicht verstanden, wie man in Russland Partys feiert. Der Russe erklärte später, die Kanadierin hätte sich einfach mit einer Ohrfeige wehren sollen. So läuft das in Russland. Nehmen wir einmal an, es würden Liebesbande auf einer Reise zum Mars geknüpft. Wie würde sich ein Fötus/Embryo auf einem Planeten entwickeln, auf dem nur 38 Prozent der Schwerkraft der Erde herrschen? Darüber weiß die Wissenschaft heute gar nichts. Woher auch.

Wer also ist der ideale Kandidat? Soll man nun Menschen auf den Mars schicken, die obrigkeitshörig sind und brav allen Vorgaben folgen? Oder soll man doch eher Astronauten ins All bringen, die auf Vorschriften pfeifen und im Krisenfall einfach intuitiv handeln? Diese Fähigkeit zum kreativen Krisenmanagement wird ja gerne den russischen Kosmonauten zugeschrieben. Nicht zufällig. Man denke nur an Alexei Leonow, den ersten Menschen, der einen Weltraumspaziergang machte. Er verließ am 18. März 1965 das Raumschiff Woschod 2 und schwebte für zwölf Minuten im Weltraum. Diese Premiere wäre Leonow fast zum Verhängnis geworden. Denn der Raumanzug hatte sich durch den Druckunterschied im Vakuum des Weltraums stark aufgebläht. Da staunte Leonow nicht schlecht, denn er passte nicht mehr durch die Einstiegsluke des Raumschiffs. "Ich war allein ... Ich habe keine Informationen weitergegeben ... Sonst hätten sie auf der Erde eine Kommission gebildet ... ich hatte noch Sauerstoff für eine halbe Stunde ...", sagte Leonow später. Er entschied sich deshalb, auf eigene Faust Druck abzulassen, ohne zu wissen, wie gefährlich das für ihn war. Würde er ohnmächtig werden, bevor er ins Raumschiff kam? Leonow schaffte den Einstieg rechtzeitig - unter Umgehung aller Vorschriften.

Fragt sich nur, ob so ein aufsässiger Eigenbrötler heute noch durch irgendein Auswahlverfahren käme, ganz egal für welchen Job. (Ulrike Schmitzer, Album, DER STANDARD, 26./27.4.2014)