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Erwachsene depressive Menschen berichten häufig, dass ihre Erkrankung schon im Kindesalter begann.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wenn ein Fünfjähriger im Kindergarten wenig Interesse zeigt, sich am Spiel zu beteiligen, wird er zunächst kaum auffallen. "Die Aufmerksamkeit liegt eher auf Hyperaktivität und Aggression", sagt Kai von Klitzing, Universitätsklinikdirektor für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters an der Universität Leipzig. "Wenn ein Kind jedoch dauerhaft traurig ist, nicht spielen will oder lustlos in der Ecke sitzt, sollte man genauer hinschauen. Denn erwachsene depressive Menschen berichten häufig, dass ihre Krankheit schon im Kindesalter begann."

Das Expertenteam um den ärztlichen Kindertherapeuten und Ordinarius an der Medizinischen Fakultät forscht seit sieben Jahren über Depression im Kindesalter. Von Klitzing will den Weg bereiten für die Früherkennung einer Krankheit, die schwerwiegende soziale und ökonomische Folgen für die Gesellschaft hat.

Hohe Zahl an auffälligen Kindern

In Deutschland liegen die Kosten infolge depressionsbedingter Frühpensionierungen bei geschätzten 1,5 Milliarden Euro jährlich. Nach Angaben des deutschen Gesundheitsministeriums melden sich rund 300.000 Menschen im Jahr aufgrund ihrer Depression arbeitsunfähig, Tendenz steigend.

Aktuell haben die Wissenschaftler in Leipzig auch die Eltern des Kindergartenjahrgangs nach Angst- und Depressionssymptomen bei ihren Kindern befragt. Demnach wiesen mehr als 200 der untersuchten Kinder – das sind zwölf Prozent – erhöhte Ängstlichkeit und depressive Verstimmtheit auf. Die Entwicklung etwa der Hälfte dieser Kinder war sogar schon stärker beeinträchtigt. Lagen Symptome wie Traurigkeit, Schlafstörungen, Gereiztheit oder Spielhemmung vor, wurden Kinder wie Eltern zu einer vertieften kinderpsychiatrischen Diagnostik eingeladen.

Parallel dazu wurde eine Kontrollgruppe untersucht, bei der die Anzeichen nicht auftraten. Das Zusammentreffen von beeinträchtigender Angst und deutlichen Depressionszeichen konnte vom Forscherteam so als ein wichtiges Risikoprofil identifiziert werden. Das Ergebnis der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie wurde soeben im "Journal of Child Psychology and Psychiatry" veröffentlicht.

Genetische und soziale Faktoren

Besonders betroffen sind demnach Kinder, deren Eltern selbst unter einer Depression leiden. Ein höheres Risiko haben aber auch diejenigen, die negative Lebenserfahrungen wie Misshandlung und Vernachlässigung schon in der frühen Kindheit erlebten. Andere Faktoren sind das Zerbrechen von Familien und früher Leistungsdruck. "Psychische Krankheiten sind in der Gesellschaft heute anerkannter als früher", so der Psychotherapeut. "Dennoch glauben viele, die Kindheit sei sorgenfrei. Das ist aber eine Illusion."

Dabei betont von Klitzing, dass nicht jedes Kind, das ängstlich ist, gleichzeitig depressiv wird. Phobische Symptome wie Angst vor Dunkelheit und vor großen Tieren seien genauso normal wie die anfängliche Angst und Traurigkeit, sich morgens vor dem Kindergarten von den Eltern zu trennen. "Ich finde es wichtig, die zu identifizieren, die wirklich leiden und echte Entwicklungsprobleme haben."

Neu entwickelte Kurzzeittherapie

Um rasch behandeln und einer Chronifizierung vorbeugen zu können, hat von Klitzing zusammen mit der Diplompsychologin Tanja Göttken eine psychoanalytische Kurzzeitbehandlung für Kinder von vier bis zehn Jahren entwickelt und wissenschaftlich erforscht.

In 25 Therapiesitzungen, von denen fünf mit und 20 ohne Eltern stattfinden, werden in Gesprächen und im Spiel unverarbeitete Konflikte des Kindes herausgearbeitet. "Es geht nicht darum, einfach die Symptome zu beseitigen, sondern für Kind und Eltern besser verständlich zu machen, welche ungelösten Entwicklungsaufgaben hinter den Symptomen stehen", erläutert von Klitzing.

Kinder fühlen sich schuldig

In der Konfliktbearbeitung kommen sehr häufig Themen wie Trennung und Schuld auf. "Kinder fühlen sich rasch schuldig, wenn es Schwierigkeiten in der Familie wie Partnerschaftsprobleme oder Krankheit der Eltern gibt. Tief innerlich empfinden sie, dass es ihnen nicht besser gehen darf als den Eltern."

Die Behandlung zeigte in einer kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift "Psychotherapy" veröffentlichten ersten Studie an 30 Kindern erstaunliche Erfolge: Bei allen Kindern verminderten sich die Symptome im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich, mehr als die Hälfte der Kinder war am Ende sogar völlig störungsfrei.

Für die Therapeuten eine durchaus zufriedenstellende Entwicklung, die auch mehr als sechs Monate nach Therapieende anhielt. "Dennoch wird ein Teil der Kinder eine längere psychotherapeutische Behandlung benötigen, um sich auch langfristig gesund entwickeln zu können." (red, derStandard.at, 25.4.2014)