"Der Durchschnitt der werdenden Mütter, die ich betreue, ist 30 Jahre alt und darüber. Viele sind sehr verkopft, wollen alles bewusst steuern. Das ist aber bei der Geburt nicht möglich", sagt Hebamme Heidi Achter.

Foto: Johannes Hloch

derStandard.at: Seit kurzem ist im Mutter-Kind-Pass auch eine Hebammenstunde fixiert. Was können Schwangere da erfahren?

Achter: Es ist eine Stunde der Information und Aufklärung über Schwangerschaft, Geburtsmodus, Gesundheitserziehung und eventuelle Untersuchungen. Sehr viel für eine Stunde! Um eine gute Gesprächsbasis aufzubauen, bräuchte ich mehr Zeit. Nun ist sie zwischen der 18. und der 22. Schwangerschaftswoche angesetzt. Da haben viele pränatale Untersuchungen längst stattgefunden. Es wäre sinnvoller, wenn die Hebamme früher und öfter die schwangere Frau konsultieren könnte.

derStandard.at: Die Stunde ist also eigentlich zu spät angesetzt?

Achter: Ja, es ist fast zu spät. Bis zur zehnten oder zwölften Schwangerschaftswoche wäre es besser gewesen. Meistens sind die Frauen sehr verunsichert, wenn sie den ersten Arztbesuch absolvieren. Und dann kommen all die Untersuchungen, die Nackenfalten-Messung, die ganzen Pränataldiagnostiken. Da wäre es sinnvoll, vorher zu informieren, damit sich die Frau auch wirklich entscheiden kann.

derStandard.at: Den Mutter-Kind-Pass gibt es seit 40 Jahren. Die Hebamme kam bis dato darin gar nicht vor. Wieso eigentlich?

Achter: Ja, das hat wirklich viel zu lang gedauert. Als der Pass eingeführt wurde, waren die Hebammen offenbar zu wenig präsent, um eine Mitsprache zu haben. In dieser Zeit war die Standesvertretung, das Hebammengremium, praktisch kaum vertreten. Nur dieses Gremium kann in Verhandlungen mit der Gesundheitsbehörde treten – das ist erst jetzt gelungen.

derStandard.at: Spiegelt dieses lange Zuwarten auch ein bisschen das Verhältnis zwischen Frauenarzt und Hebamme wider?

Achter: Das ist sicher so. Wer klärt hierzulande eine Frau auf, wenn sie schwanger ist? Wo geht sie hin? Das ist durch den Mutter-Kind-Pass immer der Arzt. Die Frauen sind ja verpflichtet dazu. Und dort werden sie dann kaum darüber informiert, dass es Hebammen gibt. In Skandinavien hingegen habe ich Geburtsstationen besucht, die von Hebammen geleitet werden. Daneben gibt es dann noch die intensivmedizinische Station mit all der Technik, die es da braucht. Ich verstehe nicht, warum das bei uns nicht möglich ist. Zynisch gesagt ist ja eine Hebamme auch viel billiger als diese Schar an Ärzten. Aber in Österreich ist die Hebamme aus dem Bewusstsein verlorengegangen, und nur langsam und von einem geringen Teil der Frauen und Familien werden die Hebammen wieder geschätzt.

derStandard.at: Man sieht nur die Ärzte?

Achter: Dadurch, dass Ärzte vorwiegend für alle Untersuchungen des Mutter-Kind-Passes zuständig sind, wurde die Hebamme fast völlig verdrängt. Leider wird das auch noch von einer Generation zur nächsten so weitergegeben. Eine Schwangere wird zuerst gefragt: Warst du schon beim Arzt?

derStandard.at: Gibt es überhaupt noch genügend Hebammen in Österreich?

Achter: Wenn wir die Betreuung flächendeckend anbieten wollen, dann wären es zu wenige.

derStandard.at: Männer findet man keine darunter, warum ist das so?

Achter: In Österreich gibt es nur 1.500 Hebammen. Natürlich kann ein Mann das auch, aber die Dominanz der Frauen ist offenbar stärker. Es ist auch sehr schwierig, einen der wenigen Ausbildungsplätze zu ergattern. Und da gibt es keine Ausnahmen bei der Aufnahme, also dass etwa ein Mann bevorzugt werden würde.

derStandard.at: Bei den Gynäkologen scheint es genau umgekehrt zu sein.

Achter: Stimmt. Die Situation hat sich zwar in den vergangenen Jahren verbessert, aber der Großteil in der Gynäkologie ist immer noch männlich. Außerdem habe ich zumindest in Wien den Eindruck, dass es nur sehr wenige Ärztinnen mit Kassenverträgen gibt. Die meisten sind Wahlärztinnen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber da hielte ich eine Frauenquote für sinnvoll, damit dieser Anteil gehoben wird.

derStandard.at: Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren als Hebamme, wie hat sich die Geburtsvorbereitung seither geändert?

Achter: Die Schwangerenbetreuung ist heutzutage vor allem geprägt durch Fehlersuche. Das ist die Konsequenz der Pränataldiagnostik. Die vielen medizinischen Möglichkeiten haben auch dazu geführt, dass die Frauen verängstigter sind. Es braucht viel mehr Zeit, damit sie wieder in einen guten Zustand kommen und ihre Ängste abbauen. Jetzt hetzen sie oft von einer Untersuchung zur nächsten. Und die neuen Informationskanäle wie das Internet sorgen zusätzlich für Verwirrung. Da einen richtigen Weg zu finden und das Vertrauen in sich und das Kind wiederzufinden ist schwierig. Verlorengegangen ist zum Teil auch ein Vertrauen in sich und seinen Körper – alles ist sehr stark nach außen gerichtet.

derStandard.at: Aber diese vorgeburtlichen Untersuchungen schaffen doch Sicherheit.

Achter: Eine Quasi-Sicherheit vielleicht. Bei manchen Ultraschall-Untersuchungen ist die Aussage gleich null. Einen Geburtstermin kann ich auch anders, mittels einer einfachen Rechnung, bestimmen. Nur damit jetzt keine Missverständnisse auftreten: Ultraschall und Laboruntersuchungen sind wichtig – vor allem natürlich bei einer Indikation. Aber im Spital steht heute die Technik im Vordergrund. Wer hat da schon Zeit für Gespräche? Eine Hebamme kann eine Frau individuell betreuen, aber bei den Standards von Ambulanzen und Gynäkologen ist es fast nicht möglich, auf die Leute einzugehen.

derStandard.at: Frauen bekommen später Kinder, wie wirkt sich das aus?

Achter: Der Durchschnitt der werdenden Mütter, die ich betreue, ist 30 Jahre alt und darüber. Viele sind sehr verkopft, wollen alles bewusst steuern. Das ist aber bei der Geburt nicht möglich. Das ganze gesellschaftliche System ist komplizierter und hektischer geworden. Heute erleben 30 Prozent der Frauen keine normale Geburt mehr.

derStandard.at: Sie begleiten auch seit Jahrzehnten Hausgeburten.

Achter: Ja, und das zur vollsten Zufriedenheit für die Frauen und mich. Die Frauen mit ihren Partnern wählen ihre Geburt zu Hause, und ich als Hebamme betreue die Frau von der Frühschwangerschaft über die Geburt bis zum Wochenbett. Ich als Hebamme kann ganz auf die individuellen Bedürfnisse der Frau eingehen, und sie kann weitgehend selbstbestimmt ihre Geburt durchleben. Es gibt natürlich Kriterien, bei denen ich nicht zu Hause bleiben kann. Dazu ist eine gute Zusammenarbeit mit einer Klinik und einem Arzt wichtig. Die Hausgeburten sind an der Zahl etwa gleich geblieben, es sind nur 1,5 Prozent aller Geburten. Zu Hause sind die Frauen selbstbestimmter, und die Hebamme kommt weitgehend ohne Technik aus.

derStandard.at: Im Unterschied zu den Spitälern?

Achter: Dort herrscht die Technik vor. Es muss alles dokumentiert werden. Die Frauen beeinträchtigt das natürlich unter der Geburt. Der Zeitfaktor spielt heute auch eine große Rolle. Eine Geburt, die länger als acht Stunden dauert, gilt ja schon als pathologisch. Aber die Geburt vor allem des ersten Kindes kann halt länger dauern. Oft beginnt erst nach einer gewissen Zeit die richtige Geburtsarbeit. Frauen gehen oft viel zu früh ins Spital und möchten auch gerne die Verantwortung abgeben. Der Geburtsschmerz wird gesellschaftlich abgelehnt: Bei der Geburt, so glauben viele, braucht es keinen Schmerz mehr. Dabei ist er ein wesentlicher Faktor, um gewisse Hormone auszuschütten und sozusagen alles zu mobilisieren. Diese angebliche Schmerzfreiheit wird von den Ärzten total propagiert. Ich habe selbst zwei Kinder auf die Welt gebracht. Ja, es ist schmerzvoll. Aber es gibt Maßnahmen fernab der Medikamente, die helfen.

derStandard.at: Aber es ist doch legitim, keine Schmerzen verspüren zu wollen.

Achter: Wenn man den Sinn des Geburtsschmerzes verstehen lernt, dann kann man damit auch umgehen. Wer eine Geburt ohne schmerzstillende Mittel erleben kann, hat danach so etwas wie ein Glücksgefühl. Da ist dann eine Kraft vorhanden, die später immer wieder benötigt wird, wenn man ein Kind hat. (Peter Mayr, derStandard.at, 25.4.2014)