Es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus der Bildungspolitik - zumindest aus Wien und zumindest auf den ersten Blick: Der "Campus plus" kommt. In diesen Bildungshäusern soll der Kindergarten in die Volksschule integriert werden, also "Kindergärten noch weiter in die Bildungslandschaft" eingebunden werden, so Bildungsstadtrat Oxonitsch. Das ist grundsätzlich richtig und zu begrüßen: Bildung, auch die "formale", fängt am besten schon vor dem sechsten Lebensjahr an. Daher fordern Vertreter von Elementarpädagogen schon lange und mit Nachdruck die Aufwertung ihres Berufsstandes: sowohl in der Ausbildung als auch in der Bezah- lung und der öffentlichen Wahrnehmung.

Damit sind wir aber auch schon beim Problem: Das Gebäude allein - so wichtig es auch ist (Stichwort: "der dritte Pädagoge" neben den Peers und den Lehrkräften) - ist kein Garant für eine gelungene Lernumgebung. Am wichtigsten ist die Pädagogin oder, leider noch selten, der Pädagoge. Das wissen wir nicht erst seit der vielzitierten Hattie-Studie.

Aufgrund dessen, was man bisher hört, lässt sich jedoch keine echte Aufwertung der Elementarpädagogik im Campus-Modell erkennen. Vielmehr sollen zukünftig sogenannte "Freizeitpädagoginnen und -pädagogen" eingesetzt werden. Nichts gegen deren Qualifikation, die sie sich in vier berufsbegleitenden Semestern aneignen durften und mussten, aber: Ersatz für voll ausgebildete Pädagogen können sie nicht sein.

Damit ist zumindest Zweifel angebracht, dass an einem Bildungscampus über das Gebäude hinaus wesentliche Investitionen stattfinden. Dazu kommt noch, dass durch die derzeit vom Unterrichtsministerium angedachten Sparpläne bei Ganztagsschulen auch diese Bemühungen Wiens massiv konterkariert werden.

Was in dem neuen Modell jedenfalls kommt, ist das gemeinsame Gebäude und mit ihm die möglichen Begegnungen in den Gängen und gemeinsamen Räumen. Das ist gut so! Es fördert das Miteinander und macht Vielfalt erlebbar. Die Bedürfnisse und Anforderungen von Kindern ändern sich in dieser bedeutenden Entwicklungszeit von drei bis zehn Jahren jedoch rasend schnell. Was für das eine Kind gerecht und richtig ist, kann für das nächste, ältere Kind schon ungerecht und unverständlich sein.

Vielfalt als Chance

Genau diese Vielfalt kann zum Problem werden, wenn sie nicht bewusst und gut "gesteuert" wird: Das Erkennen und vor allem auch Anerkennen der Bedürfnisse des anderen muss in dieser Lebensphase intensiv gelernt und geübt werden. Vielfalt kann aber auch Chance sein: Dafür braucht es passende Rahmenbedingungen, ein Campus ist ein guter Anfang dafür. Es braucht aber auch entsprechende pädagogische Konzepte wie zum Beispiel gesteuertes Peer-Learning oder Peer-Mediation. Und dafür braucht es zusätzliche pädagogische Ressourcen.

Wenn an den neuen Campus-Standorten das jahrgangsübergreifende Miteinander gut gelingt, kann dies auch ein wichtiger Schritt in der Gewaltprävention sein. Denn eines wissen wir genau: Empathiefähigkeit und Sozialkompetenz, und damit verbundenes Selbstvertrauen und Zivilcourage, sind die besten Garanten gegen (schulische) Gewalt.

Es ist in diesem Zusammenhang leider bezeichnend, dass die vollständige Inklusion auch in dem Modell Campus plus nicht vollends umgesetzt wird. "Behinderte" Schülerinnen und Schüler kommen bei Bedarf in "basale Klassen" oder "heilpädagogische Kindergartengruppen", statt ganz selbstverständlich im Klassenverband aufgenommen zu werden - wie dies zum Beispiel in Südtirol seit langem und völlig unkompliziert gang und gäbe ist.

Eine letzte Anmerkung zur aktuellen Diskussion über Länder- und/oder Bundeskompetenzen noch: Es ist kein Wunder, dass das Wiener Campus-Modell mit zehn Jahren endet: Bis dahin ist es hauptsächlich Länderkompetenz, was mit den Kindern zu geschehen hat. Ab dann kommen die Bundesschulen ins Spiel. Damit wird die nächste, für viele Schüler einschneidende Zäsur ausgeblendet: der Übergang von der Volksschule in die oft lebensbestimmende Folgeschule - AHS oder HS/NMS. Es ist daher höchste Zeit, dass alle Bildungskompetenzen, von der Elementarpädagogik bis zur Matura mit allen Zwischenstufen und -formen, in einer zentral organisierenden (und finanzierenden) Hand liegen. Aufgrund der Größe Österreichs sollte das der Bund sein. (Georg Koenne, DER STANDARD, 25.4.2014)