Bild nicht mehr verfügbar.

Im russischen Staatsfernsehen hatte Snowden Putin gefragt, ob die Überwachung in Russland ähnlich wie die der NSA sei.

Foto: APA/EPA/Kochetkov

Putin, im Bild bei einem Besuch eines Geheimdienst-Außenpostens, verneinte Snowdens Frage.

Foto: EPA_Presidential Foto Service

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Hauptquartier des KGB-Nachfolgers FSB. Dessen Agenten greifen direkt auf Kommunikationsinhalte zu.

Foto: EPA/Ilnitsky

Vkontakte, größtes soziales Netzwerk in Russland, soll sich mittlerweile "vollständig in der Hand von Putin-Vertrauten" befinden.

Foto: VKontakte

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Vkontakte-Büro in Moskau hat Edward Snowden im Herbst offiziell einen Job angeboten.

Foto: EPA/Maltsev

Bild nicht mehr verfügbar.

Die USA hatten Touristen im Zuge der Olympischen Winterspiele in Sotschi auf russische Überwachung aufmerksam gemacht.

Foto: AP/Patrick Semansky

"Gibt es auch in Russland eine solche Massenausspähung wie in den USA?" Mit dieser an Russlands Präsident Wladimir Putin gerichteten Frage wollte Edward Snowden im russischen Staatsfernsehen Massenüberwachung thematisieren.

"Natürlich nicht", antwortet Putin, "nicht in einem solch unkontrolliertem Ausmaß." Russland habe ja gar nicht die technischen Mittel und das Geld wie die USA, so Putin, außerdem befänden sich Geheimdienste "unter strenger Kontrolle der Regierung und der Gesellschaft".

Heftige Kritik an Snowden

Er habe das getan, um Putin vor aller Welt zu einer Aussage über russische Überwachung zu bringen, erklärte Snowden später in einem Kommentar. Der Whistleblower war kurz nach der TV-Ausstrahlung heftig kritisiert worden, da er dem russischen Staatsoberhaupt damit eine Möglichkeit zur Propaganda geboten habe.

Snowden entgegnete, dass Putins Statements nun protokolliert seien und, falls sie nicht stimmten, der russische Präsident somit der Lüge überführt werden könne. Enge Berater vermeldeten trotzdem, dass der Whistleblower den Auftritt mittlerweile bereue.

Massiver Ausbau der Überwachung

Tatsächlich gilt unter Forschern als gesichert, dass Putin in den vergangenen Jahren die Überwachungsinstrumente seiner Geheimdienste massiv ausgebaut hat. Im "World Policy Journal", einem renommierten Magazin für internationale Entwicklungen, haben zwei Experten eine ausführliche Analyse zu den russischen Spionagemethoden publiziert.

SORM 1,2,3

Sie erinnern an die auch in Russland umstrittene SORM-Gesetzgebung, die das Abhören von Kommunikationsinhalten regelt. SORM wurde bereits in den 1980er-Jahren vom Sowjet-Geheimdienst KGB eingeführt, mittlerweile beinhaltet es drei Systeme: SORM-1 für Telefonmitschnitte, SORM-2 für Internetkommunikation und SORM-3 für alle anderen Arten der Information (etwa GPS-Daten).

Das US-Außenministerium hatte vor den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi Touristen eindringlich vor Überwachung durch SORM gewarnt.

Direkter Zugang für Geheimdienst

Aufgrund der SORM-Gesetze müssen Internetprovider dem KGB-Nachfolgedienst FSB einen direkten Zugang zu ihren Servern gewähren. Zwar dürfen FSB-Agenten, wie Putin korrekt wiedergab, ohne richterlichen Beschluss nicht auf Daten zugreifen. Allerdings muss dieser Beschluss dem Provider nicht gezeigt werden, was ihn nutzlos macht.

Anfragen verdoppelt

Die Anzahl der Zugriffe auf Telefonnachrichten und E-Mail-Nachrichten hat sich laut Statistiken von 2007 bis 2012 verdoppelt, im Jahr 2012 wurden 539.864 Anfragen gestellt. In einer Vielzahl an Fällen werden Oppositionspolitiker ins Visier genommen, bereits während der Proteste gegen Putin im Jahr 2011 tauchten Telefonmitschnitte von Regierungsgegnern online auf. Eine Taktik, die sich bewährte und im Zuge der Krim-Krise auch auf ausländische Politiker angewandt wurde.

Druck auf soziale Netzwerke

Verstärkt hat sich in den vergangenen Jahren auch der Druck auf soziale Netzwerke, Nutzerdaten herauszugeben und Inhalte zu zensurieren. Erst diese Woche hatte Vkontakte-Gründer Pawel Durow seinen Rückzug von Russlands größtem sozialem Netzwerk bekanntgegeben. Als Grund nannte er, dass Vkontakte mittlerweile "vollständig in der Hand von Putin-Vertrauten" sei. Vkontakte hatte übrigens vergangenen Herbst offiziell ein Jobangebot an Edward Snowden gerichtet.

Stichwortsuche

Durow hatte sich zuvor jahrelang geweigert, Vkontakte-Gruppen löschen zu lassen, die politisch oppositionell waren. Auch die Blogosphäre wird vom Kreml angegriffen: Russische Geheimdienste haben ein System namens "Semantic Archive" im Einsatz, das nach Schlüsselbegriffen sucht und Verbindungen zwischen einzelnen Internetnutzern anzeigt, die diese Stichworte benutzen.

Ausdehnung auf ehemalige Sowjet-Sphäre

Das System wurde auch von der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan übernommen und führte zur Löschung von mehreren hunderten Websites. Allerdings kooperieren auch US-amerikanische Konzerne verstärkt mit der russischen Führung: So entfernte Google das islamfeindliche Video "Das Leben des Mohammed" auf Russlands Drängen von Youtube, Twitter sperrte einige Accounts, und Facebook löschte mehrere Seiten.

Vorbild China

"Die scheinbare Bereitschaft dieser Dienste, mit der russischen Regierung zusammenzuarbeiten, scheint eine stärkere Hinwendung zu autoritären Methoden nach chinesischem Vorbild hervorzurufen", schreiben die Forscher Andrej Soldatow und Irina Borogan in ihrem Bericht.

Laut den Wissenschaftlern haben auch die Snowden-Enthüllungen der russischen Staatsspitze in die Hände gespielt: Durch die vermeintliche Kooperation von Google und Facebook mit der NSA habe man das perfekte Argument gefunden, um auf eine Ansiedlung der jeweiligen Server in Russland zu pochen. Damit fielen die Dienste auch unter die russische Gesetzgebung.

Ziel: Ein nationales Netz

Das dürfte auch das langfristige Ziel Putins sein: ein nationales Netz, das einfach kontrolliert werden kann. Dass in Russland schon jetzt massive Überwachung stattfindet, ist laut dem vorliegenden Bericht eindeutig. Putins Aussagen müssen also mit größter Skepsis betrachtet werden. Selbst nutzt er das Internet übrigens kaum: "In dieses Ding schaue ich nur selten." (Fabian Schmid, derStandard.at, 23.4.2014)