Der Bewohner ist immer öfter nicht nur Konsument, sondern wird auch zum Akteur samt Abstimmungen - etwa beim Haus der Baugruppe LiSA, das in der Seestadt Aspern entsteht.

Visualisierung: Verein LiSA - Leben in der Seestadt Aspern

User "Joe62", wohnhaft in Wien-Liesing, lädt online zum Frühjahrsfest, darunter wird ein Wasserschaden reklamiert, nebenan eine Wohnung gesucht, eine Seite weiter zum Mama-Papa-Kleinkind-Yogakurs geladen. Reger Austausch herrscht im Online-Bewohnerforum der "Liesinger Schlange", der 2011 eröffneten Wohnanlage an der Breitenfurter Straße im 23. Wiener Gemeindebezirk. Ein paar Kilometer weiter in Wien-Favoriten, im Bewohnerforum montelaa.net, tauscht man sich über Kindergartenplätze und Spanisch sprechende Nannys aus.

Vernetzt wohnen

Was wie ein lustiger, aber harmloser Querschnitt durch den Wohnalltag aussieht, ist keineswegs nur banales Geplauder, sondern Zeichen eines neuen Schwerpunkts im Wohnbau. Die Zeiten, in denen jahrzehntelang still und brav im Gemeindebau vor sich hin gewohnt wurde, sind vorbei. Gerade bei größeren Anlagen, bei denen mit einem Schlag mehrere Hundert Neobewohner in einem Stadtteil auftauchen, setzen sowohl die Bewohner als auch die Bauträger auf Vernetzung und Kundenbindung, ebenso im realen wie im virtuellen Raum. Wohnen heißt heute: Zusammenwohnen.

Ähnlich vernetzt und dabei ganz real sind neue Formen des Zusammenlebens wie Baugruppen, die das Wohnen als kollektiven Prozess betreiben. Zugegeben: Völlig neu sind sie nicht, gab es doch schon in den 1970er-Jahren basisdemokratische Wohnbemühungen im Zeichen des Kollektivs. Vielleicht brauchte es eine weitere Generation, eine Wirtschaftskrise und die gesellschaftliche Vereinzelung, um die Renaissance des Zusammenlebens einzuläuten. Schließlich propagierte auch der Doyen der amerikanischen urbanen Soziologie Richard Sennett in seinem jüngsten Buch Zusammenarbeit die hehren Werte von Loyalität und Solidarität.

Betreuer und Vermittler

Beim Wohnbau heißt das: Zu den Bewohnern, Architekten und Bauherren gesellen sich heute neue Akteure. Es sind Projektmanager mit Erfahrungen in Architektur und Raumplanung ebenso wie in Soziologie, wie das Wiener Büro raum&kommunikation oder wohnbund:consult aus Salzburg. Sie sind Foren-Moderatoren im realen Leben, nehmen die Rolle der Betreuer und Vermittler ein, helfen in der Frühphase bei der Planung oder beim Eingewöhnen.

Ein Paradebeispiel dafür ist das Stadtviertel Lehen in Salzburg: Auf dem ehemaligen Fabriksareal nördlich der Innenstadt entstand ein neuer Stadtteil mit Büros, Geschäften und 750 Bewohnern, bunt gemischt zwischen Pensionisten aus der Gegend in der "Wohngruppe 50 plus" und dem "Mutter-Kind-Wohnen" für junge Alleinerziehende. Um diese Mixtur zum Gelingen zu bringen, wurde einiges ins Sozialkapital investiert: Ein eigens gegründeter Verein kümmert sich um die Vermietung der Lokale, eine Aufgabe, vor der klassische Wohnbauträger oft zurückscheuen.

Vor und nach dem Bau wurde das Büro wohnbund:consult mit dem Qualitätsmanagement beauftragt: Seine Aufgaben reichen von der Mitorganisation der Wohnungsvergabe mit Belegungsbazar bis zur Betreuung der Anlage für ganze drei Jahre nach dem Einzug der Bewohner, Straßenfest inklusive. "Wir sind kein Kummerkastl, aber wir haben eine Ombudsfunktion für Qualität und soziales Leben", umschreibt Wohnbund-Chef Raimund Guttmann seine Aufgaben.

Projekte in der Seestadt

Andere Modelle setzen nicht auf perfekt durchorganisierte Top-down-Betreuung, sondern darauf, dass das Zusammenwohnen in Form von Baugruppen selbst gestaltet wird. Die erste dieser Baugruppen war 1996 die Wiener "Sargfabrik", deren Erfolgsgeschichte viel beachtet, doch erst nach einiger Zeit nachgeahmt wurde. Denn das größte Problem für wohnwillige Baugruppen ist es, überhaupt einen Bauplatz zu finden. Daher wurden von der Stadt Wien in den Stadterweiterungsgebieten - wie der Seestadt Aspern - Baufelder eigens für Baugruppen reserviert.

Das Haus für die Gruppe LiSA, von Architekt Helmut Wimmer geplant, wird von frei gestaltbaren "Allmende-Flächen" ergänzt, die dem Gebäude wie ein Regal vorgesetzt sind. Etwas später wird die Kooperation zwischen der Baugruppe Pegasus und der Siedlungsgenossenschaft Neunkirchen in bauliche Form kommen, die 27 geförderten Mietwohnungen sollen 2015 fertiggestellt sein. Aus weltanschaulich-spirituellen Gründen wiederum fand sich die Gruppe B.R.O.T. zusammen, die Gruppe JAspern fungiert selbst als Bauträger. Über Leistungen, die über den Rahmen der Wiener Wohnbauförderung hinausgehen, wird hier von der Baugruppe abgestimmt.

Kein einfacher Spaziergang

Die Baugruppe Seestern besteht aus "kreativen Menschen jeden Alters", ihr Projekt wird von Katharina Bayer und Markus Zilker vom Büro einszueins geplant. Die beiden sind erfahrene Baugruppen-Architekten, denn auch das Wohnprojekt am Nordbahnhofareal wurde von ihnen geplant. Doch nicht nur das: Markus Zilker ist selbst Bewohner, und das Büro zog auch gleich ins Erdgeschoß ein. Heute sind die Bewohner zufrieden, das merkt man an jeder Stelle des Hauses: Gemeinschaftsküche, Sauna, mehrere Dachterrassen, Gästeappartements, Veranstaltungsraum.

"Die Aufteilung der Wohnungen war eine sehr aufwändige und genaue Diskussion", erinnert sich Markus Zilker. Allerdings, wie er betont, nicht basisdemokratisch, sondern "systemisch konsensiert", das heißt mit Anleitung und Regeln - keine endlosen Grundsatzdiskussionen. Ein einfacher Spaziergang ist es also nicht, doch hat man es zur Ziellinie geschafft, ist der kollektive Besitzerstolz deutlich spürbar: "Privat umzuziehen und gleichzeitig ein ganzes 4000-Quadratmeter-Haus zu verwalten, von der Stromabrechung bis zur Reinigung, ist zwar eine Herausforderung", sagt Markus Zilker, "aber eines war uns dabei immer klar: Die Wohnungstür ist heute nicht mehr die Grenze der Welt." Ob wirklich ein neues Zeitalter des Zusammenwohnens heraufdämmert, wird sich zeigen, aber klar ist: Der Bewohner ist heute kein reiner Konsument mehr, sondern Akteur. Und sei es nur im virtuellen Forum. (Maik Novotny, DER STANDARD, Open Haus, 30.4.2014)