Virgil Galatanu will alle Länder dieser Welt mit dem Fahrrad bereisen.

Foto: Alexander Reisenbichler

Das mit vielen Plastiksackerln beladene Fahrrad.

Foto: YouTube/Geo BateSaua

In Afrika wurde Virgil durch eine Krankheit, hervorgerufen durch Würmer, am rechten Auge blind. Zahnverlust nimmt er sehr gelassen hin.

Foto: YouTube/Geo BateSaua

Er möchte einen Weltrekord aufstellen, der rumänische Extrem-Traveller Virgil Galatanu, ein Globetrotter der besonderen Art. Mediale Aufmerksamkeit blieb diesem Exzentriker weitgehend verwehrt oder erspart. Kein Wunder, er besitzt weder ein Handy, noch einen Twitter-Account oder ein Facebook-Profil. Bis auf ein paar wenige Interviews findet sich im weltweiten Netz nicht viel über diesen hartnäckigen Kauz - jedoch eine beachtliche Anzahl an Einträgen auf rumänischen Internetseiten, deren Inhalt mir aber verborgen blieb.

Im Herbst 2009 beendete ich in Tanggu, einer kleinen Hafenstadt in der Nähe von Tianjin in China, eine knapp dreimonatige Überlandreise von Indien über Pakistan und China, um mit einer Fähre nach Südkorea, Incheon, überzusetzen. Mit lokalen Bussen und Jeeps ging es von Chandigarh über Manali, Keylong, Leh, Srinagar nach Amritsar, wo ich die Grenze zu Pakistan überschritt. Von dort ging es weiter über Lahore, Rawalpindi und Gilgit auf dem Karakorum Highway durch das Hunza-Tal an die chinesische Grenze, durch Xinjiang und die Taklamakan-Wüste, hinauf auf das tibetische Hochplateau und wieder hinunter in das subtropische Yunnan, von wo aus ich einen Direktzug nach Beijing nahm.

Der alte Mann und das Rad

Auf der Fähre traf ich einen älteren Mann mit einem fast noch älteren Fahrrad, auf dessen Lenkstange unzählige Plastiksackerln hingen. Ihm eine Instant-Nudelsuppe anbietend setzte ich mich zu ihm und begann ein Gespräch mit einem überaus interessanten Menschen. Virgil Galatanu (Anfang fünfzig) war Postbeamter oder Leiter eines Postamts in Rumänien – aufgrund gewisser Sprachschwierigkeiten ließ sich das nicht feststellen. Virgil sprach nur rumänisch und ein Pidgin aus Englisch (80%), Spanisch und Russisch, wie z.B.: "Graniza (Staatsgrenze, Anm.) is far, comprehende?" Er begab sich vor ungefähr zehn oder fünfzehn Jahren auf Weltreise, als seine Frau starb. Seine vier Kinder ließ er in Rumänien zurück.

Seitdem hat er ganz Afrika bereist, hat sich von Westasien bis China durchgeschlagen und befand sich auf dem Weg nach Südkorea und Japan – und all das ohne einen Sponsor oder finanzielle Rücklagen. Er lebt von der Unterstützung und den Spenden seiner Mitmenschen. Zwar hatte er am Beginn seiner Reise ein wenig Geld lukrieren können, doch das hielt nur ein paar Monate. Die Kosten für die Fähre hatte ihm der Schiffskapitän, den er in seinem Büro aufgesucht hatte, persönlich erlassen. Das ist - mit seinen Sprachkenntnissen - keine Kleinigkeit in China, doch er hatte ein Ass im Ärmel bzw. in seinem Plastiksackerl, nämlich zwei abgegriffene Bücher, in denen ihm unzählige Bürgermeister aus Städten der verschiedensten Staaten wie z.B. Burkina Faso, Nairobi, Iran und Belgien Einträge wie in ein Schülerstammbuch geschrieben und mit ihrer Unterschrift und Siegel versehen haben. Dieses Buch – sein ganzer Stolz - und ein Zeitungsartikel mit seinem Bild haben ihm schon so manche Türen geöffnet.

Zahnausfall und Sehverlust

Seine Sprachunkenntnisse und sein exzentrisches Aussehen, durchgelatschte Lederhalbschuhe, durchgescheuerte Jeans und drei karierte Hemden, die aus seinem Pullover-V-Ausschnitt hervorquellten, machten ihn bei den anderen nicht-asiatischen Reisenden eher unbeliebt und sie mieden ihn. Zusammen mit einem Israeli, einem Brasilianer und einem koreastämmigen Chinesen aßen Virgil und ich zu Abend: eine simple Kimchisuppe mit drei oder vier Beilagen. Als wir uns nach dem Abendessen zurück lehnten und uns unterhielten, aß Virgil alle Beilagen, die wir über gelassen hatten, auf. Ratzeputz. Da er kein Geld hatte, lud ich ihn zu allen Mahlzeiten ein, auch zu einem Bier zusammen mit den anderen drei am Schiffsdeck.

Kaum nahm er an den Gesprächen teil und trank ruhig sein Bier, als er plötzlich einen Vorderzahn fühlte, der kurz darauf samt Wurzel heraus fiel. "One less," kommentierte er lachend und warf ihn ins Meer. Dann erzählte er einige Geschichten aus Afrika, denen wir gespannt lauschten: "In Afrika wurde ich einmal krank. Würmer, die ich durch das Wasser aufnahm. Der Arzt konnte die Würmer zwar entfernen, aber auf einem Auge wurde ich blind," sagte er und deutete auf sein rechtes Auge. Der koreastämmige Chinese, der kein Englisch sprach, raunte mir zu: "Was ist denn das für ein Penner, lebt ja nur auf Kosten anderer, keine besondere Leistung." "Viele Leute glauben, dass man ohne Wasser nur einige Stunden, vielleicht einen Tag überleben könne, doch das stimmt nicht, ich habe einmal fünf Tage in Afrika nichts gegessen und getrunken und trotzdem überlebt", erzählte Virgil weiter.

Lauter Amerikaner in Südkorea

In Südkorea angekommen gab ich ihm meine Adresse und lud ihn zu mir nach Hause ein. Das Blatt Papier, das seine Geschichte auf Koreanisch enthielt und die ein koreanischer Mitreisender und ich zusammen erstellten hatten, steckte er in seine Brusttasche und machte sich auf den Weg. Ein paar Wochen später erhielt ich einen Anruf eines Südkoreaners: "Dein Freund aus Amerika ist da und fährt mit dem Rad in dein Dorf." Als Amerikaner werden manchmal alle weißen Ausländer bezeichnet, einige Leute in dem Dorf, in dem wir leben, glauben noch immer, dass ich aus Amerika bin.

Die Dorfbewohner betrachteten meinen amerikanischen Freund, der schwitzend sein Fahrrad die Dorfstraße hinauf schob, argwöhnisch. Armut wird in Südkorea versteckt, besonders in den Städten. Meiner Meinung nach viel mehr als in Mitteleuropa. Einmal habe ich in Seoul Punks gesehen in sauber gewaschener Kleidung mit Löchern, an denen die Fransen fein säuberlich abgeschnitten waren. Der Dresscode in Südkorea ist beinhart, hat eine Hose ein kleines Loch, wird sie sofort weggeworfen.

Manchmal frage ich mich warum es in Geschäften Nadel und Zwirn gibt. Sieht man Wanderer oder Leute die eine Radtour machen, tragen alle ein perfektes Outdoor-Outfit, das noch dazu immer wie neu aussieht. Selbst bei kurzen Wanderungen darf die Mount Everest-Ausrüstung nicht fehlen, man weiß ja nie welche widrigen Wetterbedingungen man auf schwindelerregenden Höhen von 500 Metern antreffen könnte. Da hat es mich nicht gewundert, dass Virgil, wie er mir erzählte, in Japan nicht einreisen durfte. Postwendend wurde er nach Südkorea zurückgeschickt. Nicht nur die Zurückweisung an sich traf ihn, vielmehr geriet dadurch sein Vorhaben, alle Länder der Erde zu bereisen, in Gefahr. Doch ob Japan das einzige Land sein wird, das ihm Probleme bereiten wird, wage ich zu bezweifeln. Nordkorea und Saudi-Arabien könnten sich als größere Brocken erweisen.

"In Afrika war es nie ein Problem, Essen und Trinken zu bekommen, immer wurde man irgendwo aufgenommen. Doch hier in Ostasien ist die Situation gänzlich anders, das ist mir schon in China aufgefallen. Die Leute schotten sich ab, sind nicht sehr offen, ich musste schon ein paar Mal im Freien übernachten." Er klang ein wenig verbittert, die letzten Wochen gehörten nicht zu seinen glücklichsten.

Zwei Nächte verbrachte er bei uns, dann machte er sich wieder auf. Länger als zwei Nächte an einem Ort würde er aus Prinzip nirgends verbringen, meinte er. Wir gaben ihm umgerechnet fünfzig Euro, die er mit einem kurzen Nicken einsteckte und wieder aus unserem Leben radelte. (Alexander Reisenbichler, derStandard.at, 22.4.2014)

 

Im Video kommt am Ende das im Text erwähnte Buch zur Sprache.

Aufruf und Bitte

Sollte irgendeiner der Leser oder Leserinnen diesen Extrem Traveller getroffen haben oder Neuigkeiten von ihm zu berichten wissen, würde ich mich freuen, wenn er/sie mir das in einem Posting mitteilen könnte.