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Mit seinem Glauben sei es wie mit Radioempfang in fernen Regionen, sagte David Cameron einst: "Er kommt und geht." Nun will der britische Premier "selbstbewusst" über Religion sprechen. 

Foto: Reuters /Melville

Lässt sich Großbritannien als "christliches Land" beschreiben? Premierminister David Cameron hat dies kürzlich beteuert und seine Landsleute zu klarer Sprache aufgefordert: "Wir sollten überzeugt und selbstbewusst über einen Glauben sprechen, der uns zur Hilfe für andere Menschen zwingt." Nun sieht sich der Konservative mit einer Gegenoffensive prominenter Atheisten wie dem Bestsellerautor Terry Pratchett und dem Philosophen Anthony Grayling konfrontiert. Die Insel sei pluralistisch und überwiegend "nichtreligiös", behauptet die mehr als 50-köpfige Gruppe in einem Brief: "Etwas anderes zu behaupten trägt zur Spaltung unserer Gesellschaft bei."

In der politischen Debatte Großbritanniens kommt die Religion kaum vor. Selbst in ethischen Grundsatzfragen wie der Stammzellforschung oder der Sterbehilfe spielen, anders als auf dem europäischen Kontinent, Meinungsäußerungen von Geistlichen wie dem Erzbischof von Canterbury keine Rolle. Politiker reden kaum über ihren Glauben.

Cameron hielt man bisher für ein typisches Mitglied der anglikanischen Staatskirche: nach allen Seiten offen, irgendwie spirituell interessiert, aber keinesfalls übermäßig. Mit seinem Glauben sei das wie mit Radioempfang in abgelegenen Regionen, vertraute der Konservative einst der Presse an: "Er kommt und geht."

Man sehe "einen beunruhigenden Trend", begründete der Initiator des offenen Briefes, Jim Al-Khalili, seine Aktion im "Daily Telegraph". Der Physikprofessor ist Präsident der atheistischen Humanistenunion. Religiöse Briten nahmen Cameron in Schutz. Das Land sei "historisch und kulturell, in seinen Gesetzen und der Literatur christlich geprägt", sagte Christina Rees von der anglikanischen Synode. "Völlig einverstanden" mit Camerons Beschreibung äußerte sich auch Anil Bhanot vom Hindu-Verband.

Zyniker vermuten hinter Camerons Lob für Kirche und Religion die Furcht vor der EU-feindlichen Uki-Partei, deren Chef Nigel Farage "härtere Verteidigung unseres jüdisch-christlichen Erbes" anmahnt. Der Premier könnte auch jene 40 Bischöfe im Visier gehabt haben, die jüngst seine Koalition für deren mangelnden Kampf gegen die Armut tadelten.

"Christlich geprägt"

Dass die Bürger dem Wunsch ihres ersten Angestellten folgen und positiv über die Religion sprechen, ist kaum zu erwarten. Der Trend auf der Insel geht scheinbar unaufhaltsam zur vollständigen Säkularisierung. Bei der letzten Volkszählung 2011 gaben 59 Prozent an, sie gehörten zur christlichen Religion; nur 29 Prozent schätzten sich als "religiös" ein.

Ahnungslos, was religiöse Gebräuche angeht, zeigen sich auch offizielle Stellen. In der Universitätsstadt Oxford hatten Laienschauspieler für Karfreitag ein öffentliches Schauspiel angemeldet, das Jesu Leidensweg nachempfinden sollte. Das Amt verweigerte der als "Passionsspiel" ("passion play") geführten Veranstaltung die Genehmigung. Als Initiatoren nach dem Grund für das Verbot fragten, stellte sich mangelnde Bildung eines Beamten heraus: Er habe gefürchtet, es handele sich um eine Sexshow. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 22.4.2014)