Die Janusköpfigkeit des Künstler-Intendanten: Markus Hinterhäuser wird bei den am 9. Mai beginnenden Wiener Festwochen auch als Pianist mitwirken, u. a. mit Galina-Ustwolskaja-Sonaten.

Foto: heribert corn

STANDARD: Was hat Sie dazu gebracht, ein Buch des Briten Gabriel Josipovici ins Deutsche zu übersetzen? Es heißt "Unendlichkeit: Die Geschichte eines Augenblicks" und handelt vom italienischen Komponisten Giacinto Scelsi.

Hinterhäuser: Das Buch ist eine Fantasie über eine überaus exzentrische Künstlerfigur. Der Text besitzt einen starken Thomas-Bernhard-Ton; andauernd werden Ebenen ineinander verschoben. Josipovici hat einen sehr feinen, eleganten Humor, sein Buch ist niemals angriffig, nicht einmal polemisch. Verleger Jochen Jung hat mir diesen Text gegeben und gefragt, ob ich das nicht übersetzen will. Da habe ich ihm geantwortet: Ich lese es gerne, aber übersetzen, das kann ich nicht. Und dann habe ich den Text zwei-, dreimal gelesen und mich ein bisschen verliebt in ihn. Ich habe an meinen Vater gedacht, der sehr viel übersetzt hat, und ich habe mir gedacht, der ist irgendwo anders, und vielleicht gefällt ihm das. Dieser kleine Ausflug in sein Metier ...

STANDARD: Ohne dass Sie Ihr Metier, die Musik, verlassen hätten.

Hinterhäuser: Mit der Figur Scelsi habe ich mich wirklich beschäftigt. Im Grunde empfand ich das Übersetzen als etwas, das gar nicht so weit weg ist vom Klavierspielen, es ist eine Form der Interpretation. Die Übersetzung eines Notentextes oder eines Sprachtextes in meine eigenen Möglichkeiten, das ist Interpretation.

STANDARD: In der Musik der Moderne wurde immer wieder versucht, Abläufe vorher festzulegen, um teils überraschende Ergebnisse zu erzielen. Sind nicht auch Festivals Maschinen, die man justieren muss? Ist es möglich, den Zufall planmäßig anzubahnen?

Hinterhäuser: Ein Festival zu planen bedeutet: Wir erfüllen einen Zeitrahmen mit Dingen, von denen wir glauben, dass sie wichtig sind. Wir schaffen Konstellationen, über die ich zumindest einige Zeit lang nachdenke. Da gibt es Pläne und Wünsche und Träume, das hat viel mit Kenntnis zu tun, mit Wissen, auch mit realistischen Einschätzungen. Und dann hat es sehr viel mit intuitiver Intelligenz zu tun. Es gibt viele Momente auf so einer Zeitstrecke, die tatsächlich überraschend sind, auf die man auch in irgendeiner Form reagieren muss, die man manchmal auch gar nicht als angenehm empfindet, die sich aber dann in weiterer Folge als durchaus richtig erweisen können. Ein verwickelter Vorgang. Ich will das gar nicht mystifizieren. Aber das ist komplexer und fragiler, als man dann, wenn man das Endergebnis nach außen bekannt gibt, annehmen möchte.

STANDARD: Wie weit reichen Zukunftsplanungen?

Hinterhäuser: Was ich definitiv nicht mache, ist so eine Art Fünf-Jahres-Plan, oder Drei-Jahres-Plan im Falle der Wiener Festwochen. Ich glaube, dass jemand, der Verantwortung trägt, auch die Freiheit haben muss, unmittelbar auf Dinge zu reagieren.

STANDARD: Waren die Spielräume früher größer?

Hinterhäuser: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Institutionen, die 363 Tage im Jahr etwas anbieten, und Festivals. Festivals sind per se freiere, ungebundenere Formen. Die Freiheit eines Festivals hat mich immer deutlich mehr angezogen. Grundsätzlich mag ich diese Form der Konzentration. Jedes Festival ist im besten Fall ein Ausnahmezustand.

STANDARD: Bei guter Grundversorgung hier in Wien.

Hinterhäuser: Es ist nicht so, dass man auf immer und ewig das Gefühl der Unverrückbarkeit haben sollte. Wir bewegen uns auf eine Situation zu, die es nicht leichter macht, großzügig zu denken. Fantasie ist nicht ausschließlich von der monetären Situation abhängig. Doch ohne Großzügigkeit, auch im Denken, geht nichts.

STANDARD: Sie meinen die festliche Verschwendung?

Hinterhäuser: Nicht im Sinne des Geldverschwendens, aber verschwenderisch in der Fantasie, in den Träumen, im Wollen. Da ist das Verschwenderische durchaus sympathisch und auch richtig.

STANDARD: Ist diese Schere nicht immer weniger vermittelbar? Als die Burgtheater-Krise ausbrach, benahmen sich Feingeister plötzlich wie Hilfsbuchhalter.

Hinterhäuser: Ich sehe mich nicht als Hilfsbuchhalter, sonst könnte ich eine Figur von Fernando Pessoa sein, den ich sehr liebe. Sein Buch der Unruhe enthält einen der schönsten Sätze, die ich kenne: "Wenn das Herz denken könnte, würde es aufhören zu schlagen."

Die Frage nach dem Geld ist in letzter Konsequenz eine gefährliche klimatische Frage. Der Grundton, der in so einer Debatte herrscht, ist der, dass Kultur wahnsinnig teuer ist und im Ergebnis durchaus fragwürdig. Nach dieser Logik werden die Institutionen von Leuten geleitet, die entweder keine Ahnung vom Geld haben, oder wenn doch, dann nur im Sinne der Selbstalimentierung. Kulturinstitutionen brauchen ihre Würde. Und mit dem Verlust auch der Würde einer Institution wird man nicht lange gut fahren.

STANDARD: Gibt es im aktuellen Kulturbetrieb Einebnungstendenzen?

Hinterhäuser: Der Druck, keine Fehler machen zu dürfen, ist enorm. Das Bewusstsein, dass das Zusammenführen von Menschen zu einer bestimmten Uhrzeit, um sich ein Stück Musik anzuhören, ein Stück Literatur anzusehen, dass dieser Vorgang etwas ungeheuer Kostbares ist, muss erhalten bleiben. Wenn wir gefangen sind in strategischen Überlegungen, wie wir eine Publikumsmaximierung erreichen; wenn wir uns nicht darauf einigen, dass das, womit wir uns beschäftigen, etwas Schwieriges ist und dieses Schwierige einen Wert hat - dann wird es eng. Wir können nicht so tun, als würden wir uns mit leichten Dingen beschäftigen, wenn wir ein Stück von Genet nehmen, ein Streichtrio von Schönberg oder eine Symphonie von Mahler, das ist alles verdammt schwer.

STANDARD: Sie haben zwei Kuratoren als Nachfolger von Frau Leysen bestellt, die 2015 und 2016 das Schauspielprogramm machen. Warum eine "kleine" Lösung?

Hinterhäuser: Die Lösung mit Stefan Schmidtke und Marina Davydova scheint mir sehr vernünftig zu sein. Die Zeit bis zum Ende meines Vertrages ist sehr überschaubar. Ich bin sehr überzeugt, dass es richtig war, diese zwei Spielzeiten nicht einer Person zu überantworten. Wobei mit Schmidtke jemand hergekommen ist, der die Festwochen und ihre Struktur gut kennt und wirklich weiß, wie die Abläufe funktionieren. Schmidtke macht das 2015 und wirkt als "Scharnier" 2016 noch mit.  (Ronald Pohl, DER STANDARD, 22.4.2014)