Meine Schulzeit war der absolute Horror. Echt schlimm: 14 Jahre Terror und Frust. Ich war einer dieser Schüler, die vorgekaute "Wahrheiten" nicht einfach akzeptieren wollten, nur weil sie von vermeintlichen Autoritäten kamen. Ich hatte schon damals den Hang, alles zu hinterfragen, und gab mich mit keiner Antwort leicht zufrieden. Meine Lehrer dankten mir das auf ihre Weise. Schlechte Noten, Strafarbeiten, blaue Briefe, Nachsitzen, persönliche Gemeinheiten.

Ungerechtigkeiten

Ein Lateinlehrer etwa, der seine Probleme mit mir hatte, setzte mich vor die Tür. Im Anschluss fragte er den Unterrichtsstoff ab. Und wen fragte er? Mich! Da ich draußen davon nichts mitbekam, setzte es wegen "Leistungsverweigerung" eine 6. Ein anderes Mal, im Kunstunterricht, hatte ich ein Bild abgegeben, das mit einer 3- bewertet wurde. Ich warf die Zeichnung in den Müll. Eine Schülerin nahm sie später heraus und gab sie, das ist nicht erfunden, als die ihre ab. Ergebnis? Eine glatte 2!

Diskussionen abyssaler Tiefe

Willkür und Machtmissbrauch, stures Auswendiglernen und die Austreibung freier Gedanken, nicht zuletzt Beleidigungen und persönliche Verletzungen, das verbinde ich mit meiner Schulzeit. Ich zögere ein wenig, das zuzugeben, aber immer wenn ich irgendwo von einem Amoklauf in einer Schule lese, schauert es mich, ich denke: "Das hättest auch du sein können." In den naturwissenschaftlichen Fächern hatte ich ein 5er-Abo. In den anderen Fächern selten eine bessere Note als 3. Das Abiturzeugnis wurde am letzten Schultag in der Rangfolge der Durchschnittsnote verteilt: nach mir bekamen nur noch zwei Mitschüler ihr Zeugnis überreicht. Meine Lehrer waren sich einig und sagten es mir zum Abschied auch noch offen ins Gesicht: „Aus dir wird nix." Heute bin ich Diplom-Ingenieur mit Prädikatsexamen und seit 15 Jahren Unternehmer.

So viel zu meinen persönlichen Erfahrungen, die mit ein Grund dafür sind, warum ich die Bildungsdebatten unserer Tage sehr aufmerksam verfolge. Dreigliedriges Schulsystem oder integrierte Gesamtschule? Pardon: integrierte, integrative oder kooperative Gesamtschule, beziehungsweise integrativ-integrierte oder integrativ-kooperative Gesamtschule? Hauptschule, Realschule oder Realschule plus? Ganztagsschule, und wenn ja, freiwillige oder verpflichtende? G-8 Abitur, G-9 Abitur, Waldorfschule? Und so weiter und so weiter ...

Wann immer in Deutschland über Bildung gesprochen wird, werden in abyssaler Tiefe Schulformen diskutiert. Und man streitet über formale Fragen, wie etwa die optimale Klassengröße, ob Psychologen und Sozialarbeiter benötigt werden, ob frontal oder in Gruppen unterrichtet wird, gar was die Cafeteria serviert. Sowohl die Hamburger Bildungsreform wie auch die Gegeninitiative "Wir wollen lernen" sind typische Beispiele dieser technokratischen Haltung, die von DER zentralen Größe im Bildungswesen konsequent absieht: von der Qualifikation des Lehrers. Eine Einsicht, die Einstein noch so prägnant zu formulieren wusste: "Es ist die wichtigste Kunst des Lehrers, die Freude am Schaffen und am Erkennen zu erwecken", kommt in der Bildungsdebatte so gut wie gar nicht vor.

Das ist außerhalb von Deutschland ein wenig anders. In einer groß angelegten Metastudie hat bereits 2008 der Erziehungswissenschaftler John Hattie von der Universität Melbourne akribisch nachgewiesen, was unter Schülern Gemeingut ist: dass tatsächlich über die Qualität des Unterrichts an erster Stelle die Fähigkeiten des Pädagogen entscheiden.

Desinteressiert oder autoritär

"Alle seine Daten belegen, so der Schulforscher, dass sich die größten Unterschiede im Lernzuwachs nicht zwischen Schulen zeigen, sondern zwischen einzelnen Klassen, und das bedeutet: zwischen einzelnen Lehrern. Das ist Hatties zentrale Botschaft, die er aus dem Datengebirge zutage gefördert hat: Was Schüler lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen Rahmenbedingungen, die Schulform oder spezielle Lehrmethoden – sind dagegen zweitrangig", schreibt "Die Zeit".

All den hyperaktiven Bildungsforschern, Bildungsaktivisten und Bildungsreformern, die sich seit Jahrzehnten die Köpfe heiß reden und dabei die Schule vor lauter Schulformen nicht sehen, möchte man in Abwandlung eines Ausspruchs von Bill Clinton entgegenrufen: „It's the Teacher, stupid!" Und viele unserer Lehrer heute stehen den Schülern entweder desinteressiert oder autoritär gegenüber. Dabei verfügen sie sowohl über die Macht, sich das eine, als auch über die Sicherheit, sich das andere leisten zu können.

Warum das so ist, wurde zuletzt in der Sendung "Hart aber fair" mit dem Titel "Treu, aber teuer – kann sich Deutschland seine Staatsdiener noch leisten?", anschaulich vor Augen geführt. Dort verteidigte die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende des Deutschen Beamtenbunds, Lilli Lenz, sekundiert vom CDU-Politiker Armin Laschet, die Notwendigkeit des Beamtenstandes bei Lehrern mit der völlig hirnrissigen Konstruktion, der Staat müsse jungen Menschen die Verbeamtung in Aussicht stellen, damit er um die besten Köpfe konkurrieren könne. Das Gegenteil wäre richtig. Denn im deutschen System werden Lehrer derzeit gleich dreifach negativ selektiert.

Welche Bewerber der Beruf anzieht

Der Beamtenstatus des Lehrers zieht solche Bewerber an, denen im eigenen Beruf die Sicherheit am allerwichtigsten ist. Mit dem Streben in die Sicherheit korreliert mangelndes Selbstvertrauen. Selbstvertrauen, das ist das Vertrauen darauf, allen Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens gewachsen zu sein. Es ist Voraussetzung für einen starken Charakter, und nur ein solcher könnte pädagogisches Vorbild sein. Starke Charaktere aber suchen nach Chancen, die Sicherheit, schon heute zu wissen, was sie in 20 Jahren genau machen werden, engt sie ein, ja, schreckt sie ab.

Wer sich wenig zutraut, sehnt sich danach, etwas zu tun, das er kennt. Das ist a.) der Beruf der Eltern und b.) der Beruf des Lehrers. So kommen Lehramtsstudenten oft genug noch immer aus Lehrerfamilien, und es ist wohl kein Zufall, dass viele Lehrer auch wieder Lehrer heiraten. Aber nicht nur Lehrerkinder, jeder einzelne Referendar hat bis zum Ende seines Studiums mehr als zwei Drittel seines Lebens im Großen und Ganzen innerhalb des Lehrbetriebs verbracht. So führt man als Lehrer nur fort, was man sowieso schon kennt und schaut kaum über den Tellerrand.

Solch ein beschränktes System lockt unsichere und überangepasste Menschen an. Als Lehrer ziehen diese ihr Selbstbewusstsein oft daraus, ihr partikulares Wissen zu überhöhen und so Autorität zu begründen. Wird die infrage gestellt, neigt der Lehrer zu autoritären Überreaktionen. Die bedeutende Macht über Schwächere, welche die Schule ihm verleiht, ist bei solch einem Lehrer in den denkbar schlechtesten Händen.

Anonymisierte Bewertung könnte hier Abhilfe schaffen

Diese dreifache Negativ-Selektion auf sicherheitsbedürftige, chancenaverse Lehrkörper muss durchbrochen werden. Langfristig kann das nur gelingen, wenn der Beamtenstand des Lehrers radikal infrage gestellt wird. Dass ohne verbeamtete Lehrer dem Chaos Tür und Tor geöffnet werde, wie Beamtenlobbyistin Lenz uns in „Hart aber fair" weismachen wollte, ist offenkundig Humbug. Andere Staaten funktionieren auch ohne verbeamtete Pädagogen, und unsere nichtverbeamteten Lehrer sind sicherlich nicht schlechter als die Beamten. Der Lehrer Arne Ulbricht, der im vorigen Jahr seinen Beamtenstatus aus freien Stücken aufgab, ist sogar überzeugt: Angestellte sind besser, leistungsbereiter.

Eine gestaffelte Entlohnung nach Grundgehalt und leistungsbezogenen Prämien könnte darauf aufbauend noch weitere Anreize setzen. Aber auch kurzfristig sind inhaltliche Reformen des Schulwesens vorstellbar, die die Macht der Lehrer über ihre Schüler wirksam einschränken. Wie willkürlich Benotung sein kann, wurde eingangs gezeigt. Eine anonymisierte Bewertung der von Schülern angefertigten Arbeiten könnte hier Abhilfe schaffen. Idealerweise bewertete nie der Lehrer, der eine Aufgabe gestellt hat, die entsprechende Arbeit. Wäre damals bei meiner Schulzeit so verfahren worden, ich bin mir sicher, ich hätte nicht als Vorvorletzter mein Abiturzeugnis überreicht bekommen.

Unabhängig von konkreten Reformen sollten wir uns aber auch darüber Gedanken machen, was Schule eigentlich leisten kann und soll, und was nicht. Gewiss, die Wissensvermittlung ist eine wichtige Aufgabe der Pädagogik, doch schon der große römische Philosoph Seneca seufzte ganz zu Recht: "Non vitae, sed scholae discimus". Das bedeutet, anders als es uns mancher Latinist in der Schule vermitteln wollte, "Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir". Dabei müsste es doch genau andersherum sein. Dass viel von dem Wissen, das uns die Schule vermittelt, verloren geht, ist wahrscheinlich gar nicht zu vermeiden, umso wichtiger ist daher die Erziehung zum mündigen, lebenstüchtigen Menschen, zu einem selbstständigen Menschen, der weiß, wie und wozu er Wissen erwerben kann und muss.

Ein sinnvoller Ansatz, um der impliziten Forderung Senecas gerecht zu werden, wäre, den Lehrerberuf generell für Quereinsteiger zu öffnen. Lasst den Bauern, den Elektroingenieur, den freien Autor, den Berufsschachspieler unterrichten! Die Qualifikationen wären natürlich im Einzelfall zu prüfen, aber bei entsprechendem Engagement wird der Pädagoge zum Schüler durchdringen. "Jemanden etwas lehren, heißt Fackeln anzünden und nicht Eimer voll machen", sagte einst Heraklit von Ephesos. Und genau das sollte die vordringliche Aufgabe der Pädagogik sein.

Lang ist der Weg

Denn Lehrer zu sein gehört zu den anspruchsvollsten und wichtigsten Aufgaben in unserer Gesellschaft. Lehrer zu sein bedeutet, die Schüler zu motivieren und ihnen Türen zu dem zu vermittelnden Lehrstoff zu öffnen. Lehrer zu sein heißt vor allem: Zugänge zu vermitteln und dabei flammende Begeisterung zu entfachen!

Fackeln anzünden ist ein initialer Vorgang, der die Menschen in Bewegung setzen und die Freude über die eigenen Fähigkeiten wecken soll. Fackeln anzünden bedeutet, die Lust am Leben zu vermitteln. Alleine mit Schulformen, Lehrplänen und Vorschriften werden keine Feuer entfacht. Bei der Jugenderziehung kommt es auf die Persönlichkeit des Lehrers an. „Lang ist der Weg der sittlichen Besserung durch Vorschriften, aber kurz und wirkungsvoll durch das eigene Beispiel", mahnte denn auch Seneca.

Lehrer müssen Menschen mit einem ausgeprägten Selbst-Bewusstsein und mit einem hohen Grad an geistiger Reife sein. Denn nur wer sich selber akzeptiert und volles Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hat, kann Selbstvertrauen auch bei anderen wecken. Selbstvertrauen, das die Schüler sich zutrauen lässt, allen Herausforderungen des Lebens mutig entgegenzutreten.

Träumen dürfenFackeln anzünden heißt, mit gutem Beispiel voranzugehen und selber begeisterungsfähig zu sein. Wer sich das nicht zutraut, wird selbst noch daran scheitern, Eimer voll zu machen.

Und sicher, im Moment sind das alles nur Träumereien. Die relevanten politischen Strukturen, die über Schulformen und Reformen entscheiden, sind von beamteten Lehrern durchsetzt, die über alles nachdenken, nur nicht über sich selbst. Damit sich wirklich etwas tut, müssten sie entmachtet werden. Aber angesichts dessen, dass immer noch viele Kinder sich morgens kaum aus dem Bett trauen, wenn es Zeit ist, in die Schule zu gehen, wird man doch träumen dürfen? (Leserkommentar, Hasso Mansfeld, derStandard.at und The European, 17.4.2014)