Solche Szenarien gibt es in der Science-Fiction und im Kino seit Jahren. Zum Beispiel: New York, um 2020. Die Megastadt hat einen neuerlichen Terrorangriff einstecken müssen, Manhattan ist devastiert. Ein ukrainischer Oligarch, auf dem Papier mit einer Lettin verheiratet, die in Wirklichkeit eine geflüchtete serbische Kriegsverbrecherin ist, kämpft mit ihr und einem balkanesischen Immobilien-Mogul um die Herrschaft in den Schluchten der Stadtruinen.

Überhaupt spielen ukrainische Mafia-Figuren im Science-Fiction-Metier eine große Rolle, weil sie erprobt sind im skrupellosen Geschäftemachen und im Management von Bürgerkriegen. Der Riesenstaat zwischen EU und Russland ist längst zu einem Thema aggressiver Kriegs- und Geheimdienstspiele geworden. Jetzt scheint es, dass die Wirklichkeit die Fiktion einzuholen beginnt. Aber sind die realen Oligarchen tatsächlich an einer Destabilisierung der Ukraine bis hin zum kriegerischen Konflikt interessiert?

Niemand im Westen weiß es. Aber es gibt Indizien für die Version, dass Moskau eine Abspaltung der Ostukraine bzw. einiger Verwaltungsbezirke wie des mehrheitlich russischen Donezk wolle. Die andere Variante: Es gehe lediglich um eine regionale Autonomie. Denn die gab es auch unter dem abgesetzten Premier Janukowitsch nicht. Jetzt, da die Vasallen der ehemaligen West-Oligarchin Timoschenko in Kiew an der Macht sind, stellt sich eine Föderalisierung als brauchbares Modell heraus.

Dafür spricht auch, dass die (mithilfe russischer Waffen) meuternden Separatisten bisher keine Unterstützung im "Volk" gefunden haben. Dafür scheint der 47-jährige Großoligarch Rinat Achmetow zu sorgen, dessen Imperium Kohle, Stahl und Energie umfasst. Die Zentralvertretung seiner Bergarbeiter hat einen Aufruf der Separatisten, sich ihnen anzuschließen, abgelehnt. Und Achmetow selbst hat sich für den Weiterbestand der Ukraine ausgesprochen.

Kleinere Oligarchen, so berichtete die US-Internet-Zeitung The Daily Beast, unterstützen jedoch die vermummten Besetzer von Regierungs- und Gerichtsgebäuden. Sie erhoffen sich offenbar eine Schwächung Achmetows und spekulieren damit, Wladimir Putin persönlich könnte hinter den Sezessionsbestrebungen stecken. Das ergäbe dann die Variante eins.

Nicht falsch muss die Behauptung des russischen Außenministeriums sein, 150 Experten der auch in Afghanistan und im Irak tätigen US-Sicherheitsfirma Greystone seien in der Ostukraine eingetroffen, um den offiziellen Kiewer Kräften zu helfen.

Das verhieße nichts Gutes, weil solche Entwicklungen zu einer Verschärfung führen könnten, über die Rückkehr des Kalten Kriegs hinaus.

Andererseits sollten wir uns in Westeuropa daran erinnern, wie gleichgültig man letztlich dem georgisch-russischen Kurzkrieg begegnet ist. Und dass wir vor nicht so langer Zeit einen De-facto-Krieg in Nordirland erlebt haben.

Kiew liegt Wien nicht nur geografisch näher. Die Betroffenheit und die Auswirkungen der Krise sind daher keine Science-Fiction-Szenarien. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 14.4.2014)