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Die Bewegung "Occupy Wall Street" machte gegen die Macht der Banken- und Finanzwelt mobil.

Foto: Reuters/Jackson

Standard: Ihr Buch heißt "Wie viel Bank braucht der Mensch?" - also, wie viel Bank braucht der Mensch?

Fricke: Der Mensch bräuchte eigentlich relativ wenig Bank. Wir könnten ganz gut leben in einer Welt, in der Banken das machen, was sie früher auch gemacht haben: Einlagen aufnehmen, Kredite vergeben und dafür sorgen, dass die Wirtschaft rund läuft.

Standard: Die Banken sind in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Hatten wir damit zu viel Bank - oder haben wir jetzt zu wenig, wenn immer wieder auch von Kreditklemme die Rede ist?

Fricke: Wir haben in den letzten 30 Jahren ein Experiment gemacht: Eine Finanzglobalisierung, in der die Finanzmärkte sehr frei waren. In dieser Zeit haben sich die Banken in allen Bereichen entwickelt. Das Zahlungssystem hat sich entwickelt, die Volumina haben sich vervielfacht, neue Produkte wie Hedgefonds kamen hinzu. Das hat zu einem Bankensektor geführt, der viel Macht hat. Die Kreditklemme, die jetzt befürchtet wird, ist auch Ausdruck dessen, was da schiefläuft. Innovationen und Exportwachstum zu finanzieren hat ökonomischen Nutzen. Beim Rest - etwa Umsätze aus Devisengeschäften - darf man schon zweifeln, wie viel Nutzen der hat.

Standard: Also sind die Banken mehr mit sich und dem internationalen Markt beschäftigt als mit dem Kunden vor der Türe?

Fricke: Ja, das ist im Grunde genommen das ganze Drama der Finanzkrise. Dass man gemerkt hat, wie fatal das wird, wenn eine Blase platzt und die Banken über die Grenzen hinweg derart miteinander verbunden sind, dass das System wie beim Dominoeffekt kippen kann. Man hat eindeutig zu wenige Lehren aus der Bankenkrise in den 1930er-Jahren gezogen.

Standard: Die Krise bringt auch viel Regulierung. Basel III wurde verschärft, es gibt Stresstests, eine europäische Bankenaufsicht ist im Entstehen ...

Fricke: Das geht von der Tendenz her in die richtige Richtung. Man muss aber sagen, dass die Regulierung nicht immer den Kern des Problems trifft und man den Eindruck gewinnen kann, dass da gerade eine neue Komplexität entsteht. Ich denke, man könnte die Probleme einfacher beheben, indem man sich auf das Kernproblem konzentriert, wo der Ursprung der Finanzinstabilität ist, und dort kräftig interveniert, statt an vielen Punkten mit einzelnen Maßnahmen anzusetzen.

Standard: Wo ist das Kernproblem?

Fricke: Das Kernproblem liegt darin, dass die Grundannahme, die man für die Finanzglobalisierung gemacht hat, nicht eintrifft. Die Annahme war: Geraten Märkte aus ihrem Gleichgewicht, wird immer ein schlauer Spekulant da sein, der dagegen wettet, damit stabilisiert und den Markt wieder ins Gleichgewicht bringt. Man hat in 30 Jahren Finanzglobalisierung nun die Erfahrung gemacht, dass Märkte so nicht funktionieren, weil keiner weiß, wo das Gleichgewicht ist. Keiner weiß, wo der "richtige" Kurs des Doller zum Euro ist. Das ist ein Spiel, wo viele Akteure dabei sind und wie eine Herde in die gleiche Richtung laufen. Wenn alle mitmachen, glaubt man sich auf der sicheren Seite. Aber das ist genau das Gegenteil der Theorie der stabilisierenden Spekulation. Wenn die Masse merkt, dass sie mittlerweile weit von der Realität entfernt ist, wackelt der Markt und bricht zusammen. Das war bei der Dotcom-Blase so, beim Run in die Schwellenländer und bei der Aktienblase Ende der 1980er-Jahre. Das ist das Kernproblem, deswegen haben wir auch alle paar Jahre eine Krise. Dagegen muss man angehen.

Standard: Wie?

Fricke: Eine Finanztransaktionssteuer wäre ein gutes Mittel, um die Dynamik der Märkte zurückzunehmen. Man könnte zumindest den sehr spekulativen Hochfrequenzhandel eindämmen, weil sich der mit einer Steuer nicht mehr lohnen würde. Damit kann man die Herde verkleinern. Man müsste bei der Anforderung des Eigenkapitals bei Banken viel weiter gehen und diese auf 25 bis 30 Prozent hochschrauben.

Standard: Die Abwertung einiger Währungen ist aktuell ein großes Thema. Erwarten Sie in diesem Markt die nächste Krise?

Fricke: Das kann man nicht vorhersagen. Ich ziehe den Schluss aus der Vergangenheit, dass es sinnvoll wäre, zu einem Weltwährungssystem mit festen Wechselkursen zurückzukommen. Wenn man sich ansieht, wie instabil die Wechselkurse im Laufe der letzten Jahre gewesen sind und wie wenig effizient die Märkte funktioniert haben gemessen daran, was man sich erwartet hat, muss man sich fragen, ob das ein sinnvoller Mechanismus ist. Die Schweiz hat ihren Wechselkurs zum Euro auch fixiert, weil ihr die Spekulation zu heiß geworden ist.

Standard: Die Finanzkrise hat die Banken in eine Vertrauenskrise gestürzt. Ist diese ausgestanden?

Fricke: Ich glaube, den Vertrauensverlust bekommen die Banken so schnell nicht wieder weg. Aber die Institute machen das schon ganz geschickt: Öffentlich geben sie sich demütig. Hinter den Kulissen wird aber stark gekämpft, um die alte Welt zu erhalten. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 14.4.2014)