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Momentaufnahme wie Konstante: Schwarz gekleidetes Paar im Leipziger Juni beim 'Wave-Gothic-Treffen'

Foto: APA/dpa/Peter Endig
Mit Bands wie Evanescence, Within Temptation, H.I.M. oder The Rasmus wird er allerdings eher im Zeichen des Teenie-Pop gedeutet.


Wien – Schuld an der Entwicklung hat natürlich Buffy – das dienstälteste Mädchen aus dem Fernsehen, wenn es darum geht, "im Bann der Dämonen" zu stehen. Buffy kam Ende der 90er-Jahre gleich im Anschluss an Akte X, der Mutter aller heute angesagten Mystery-Serien. In denen kommen nur wenig Tageslicht, dafür aber viele batteriebetriebene Stablampen vor.

Hier werden auf dem vor allem für Teenager relevanten Ideenmarkt für den Sinn des Lebens wohlige Gruselschauer und auch jede Menge Esoterik für die ganz Eiligen auf Kollisionskurs mit Popcorn-Sackerln geschickt.

Damit und mit Buffy-Kopien wie Charmed oder Angel oder zeitweise auftretenden Engpässen bei der Kabbala oder dem Tibetanischen Totenbuch in Libro-Filialen ist es allerdings längst nicht getan. Als künstlerisches Nebenprodukt all des übersinnlichen Hokuspokus sorgt die vor allem bei Mädchen beliebte Mystery-Serie nun auch noch für das Wiedererstarken eines eigentlich schon Ende der 80er-Jahre tiefstmöglich in der Grube liegenden Trends.

Man erinnere sich an den Gothic- oder Gruftie-Rock von gar schröcklich zu Mollakkorden grundelnden Klassikern des Genres wie Sisters Of Mercy, The Mission oder Fields Of The Nephilim: kleine, dünne Männer mit Porsche-Sonnenbrillen, knöchellangen schwarzen Italo-Western-Mänteln und Cowboyhüten, auf denen statt Wüstensand aus Kostengründen griffiges Mehl pappte – weil das im wallenden Bühnennebel sowieso nicht aufgefallen ist.

Zwar hat sich seit der Erfindung der Blauen Blume oder spätestens jener des schwarzen Rollkragenpullovers für Fremde am Privatstrand von Albert Camus nur wenig Neues getan, wenn es darum geht, Robert Smith und The Cure wegen Besitzstörung zu verklagen. Allerdings wurde das Gothic-Genre jetzt beinahe unbemerkt, weil schleichend kommerziell erfolgreich wie nie, wiederbelebt. Die Bands der Stunde verkaufen millionenfach, also jugendfrei.

Lebensmüde Finnen

Da wäre neben dem aktuellen Gothic-Video von Christina Aguilera (Fighter) zuallererst der Erfolg der US-Düster-Entsprechung von Britney Spears, das Quartett Evanescence um Tragödin Amy Lee und ihr "Heaven Metal" auf dem Debüt Fallen. Da wäre auch zwei Jahre nach seinem Ersterscheinen ganz überraschend der Hit Ice Queen mit dem Fliegeralarmgesang von Sharon Adel und ihren niederländischen Operetten-Grufties Within Temptation.

Vor allem aber scheinen sich die Finnen hier eine neue Deutungshoheit zu erarbeiten. Neben der aktuellen CD Love Metal von Kuschelzombie Ville Valo und H.I.M. schaffen nach zehnjährigem Bandbestehen jetzt auch The Rasmus gerade mit der Single In The Shadows und dem Album Dead Letters den Sprung in die Hitparaden. The Rasmus haben sich dafür einem gröberen Imagewandel unterziehen müssen. Weg vom bunten und lokal schon über vier Alben erfolgreichen Alternative-Rock hin zum zart lebensmüden Schwarz des Gothic-Pop führt der Weg zum gesamteuropäischen Ruhm.

Eingedenk des alten Leitspruchs, dass klassisch zwar das Gesunde, romantisch aber das Kranke sei (Copyright: Goethe), werden hier in zehn imaginären Briefen an das weibliche Zielpublikum ein Liebes-Ach und ein Welt-Weh inszeniert, die von den Texten her im dafür ohnehin unschlagbaren Teenie-Pop ihresgleichen suchen: Hand in Hand gehen wir hier mit The Rasmus in der Dunkelheit, würden uns lieber erschießen, bevor wir zu Sklaven werden, warten auf das Donnergrollen, auf Wunder, auf Heilung vom Krebs, den sie das Leben nennen. Wir werden das Leben aber nicht aufgeben, weil wir im nördlichen Licht stehen. Kein Wunder, wenn nachts der Himmel brennt und uns die Furcht vor der Dunkelheit innerlich zerreißt. Ein Bett ist hier immer das letzte Bett. Nennen wir es Kapelle aus Stein. Auf zum Funeral Song!

Aber Rettung naht! Liebe Kinder, nach dem ersten Geschlechtsverkehr sieht das Leben meist gleich heiterer aus! Alt werden muss auch Vorteile haben. Wenn man's überlebt. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2003)