So mondän wie einst beim Baden an der "Riviera an der Donau" ist es dort nicht mehr.

Walther Gastinger

Das Strombad vor hundert Jahren

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Wien/Kritzendorf - Langsam tappen zwei Burschen Richtung Wasser. Über den groben Schotter gehend, suchen sie nicht nur sich, sondern auch die Bierdosen in Balance zu halten. "Uaaah" - die beiden tauchen ein ins Strombad Kritzendorf. Die Schwimmprobe in der kühlen Donau verschieben die beiden auf später. Erst zischt das Bier die Gurgel runter.

Früher hätten die beiden die Probe vor dem "Schwimmmeister", gut geübt in erster Hilfe, ablegen müssen. Diese auf Verlangen zu demonstrierende sichere Fortbewegung im Wasser fand einst, kurz nach der Errichtung des Strombads, in hölzernen Schwimmkörben statt, um Badegästen ein gefahrloses Vergnügen zu bereiten. Die Burschen merken wenig später, warum: Die Donauströmung treibt sie sofort ab. Wieder am Ufer tappen sie über die Steine zu ihren Handtüchern zurück.

Seit hundert Jahren spielt sich hier das kleine Strandleben ab. Die Zufahrt zum Bad führt fast versteckt über einen Privatweg, endet vor der "Brücke". Am Ufer das Donaurestaurant, am Abend mit Tanz und Musik, näher am Wasser die Liegewiese, vom Auwald her weht immer eine Brise. Die fast 500 Hüttenbesitzer haben schon im Frühjahr Quartier bezogen, mit Klappstuhl, Grillset und Luftmatratze die Sommerresidenz ausgebaut. Das, was die in den 1920ern angereisten Großbürger aus Wien hierher brachte, ist nicht mehr zu spüren: ein Hauch von "Riviera an der Donau".

Modern und freizügig

Modernität und Freizügigkeit machten den Ruf des Badeortes aus, ehe die Nazis die Strandhäuser unter sich aufteilten, schreibt Lisa Fischer, die die Geschichte des damals - französisch exaltiert - genannten "Krizes-les-bains" zum 100-Jahr-Jubiläum dokumentiert hat. Nicht nur das Gesellschaftsleben am Strand hat Fischer nachgezeichnet, sondern auch die Geschichte derer erhoben, die es gestaltet hatten. Die von der Sozialdemokratie überzeugte Literatin Hilde Spiel, der kommunistisch orientierte Schauspieler Carl Forest, der illegale Nationalsozialist Heimito von Doderer, die Tänzerin, der Architekt, die Tuchfabrikantin, der Bankier Carl Schelhammer und Karl Farkas - sie alle gingen im Sommer hier baden, bezogen ihre Strandhäuser und Villen. Ihr gemeinsamer Nenner war der Strom. Wirtschaftlich marode Zeiten trieben viele an die Donau, statt an die Côte d'Azur. Zwischen dem Wiener Großbürgertum und den Kritzendorfern gab es Misstrauen. Gleichzeitig entwickelte sich der Ort zu einem Treffpunkt der intellektuellen Szene Wiens.

"Statt hochmondän, nur badehäuslich - scheußlich . . .", ätzte Karl Farkas in den "Sommerplänen" über Kritzendorf. So betrachtet, unterschied sich der damalige Strandplatz nicht vom heutigen. Man fühlt sich im Jahr 100 nach der Gründung und im Jahr eins nach dem Jahrtausendhochwasser noch immer wohl hier, am Wasser, auf der Liege oder mit Hund und Lockenwickler im "Rondeau" mit seinem kleinen Laden und dem "Esperanto Paradizo", Zentrum von Esperantofans aus aller Welt. Universell, nicht mondän gibt man sich in Kritzendorf. (Der Standard, Printausgabe 21.8.2003)