In einem "100 Tage"-Bericht stellte kürzlich US-Präsident George Bush die Fortschritte vor, die seit Kriegsende im Irak gemacht wurden. Im antiamerikanischen Kampfblatt New York Times wurde dieser Bericht vergangene Woche unter dem Titel "Irak-Fantasien des Weißen Hauses" kommentiert: Mit der Realität habe das beschriebene Bild wenig zu tun. Die Realität war jedoch vor einer Woche weniger schlimm als heute. Der Anschlag auf das UNO-Hauptquartier in Bagdad ist ein schreckliches Fanal für das, was noch kommen könnte.

Die US-Regierung geht durch den finsteren Wald und pfeift laut, um sich nicht zu fürchten. Zwar sind Berichte über einen völligen Verlust der US-Kontrolle im Irak stark übertrieben, aber die angekündigten Fortschritte - man erinnere sich, nach dem Tod der Saddam-Söhne Uday und Kusay - sind völlig ausgeblieben. Der düstere Befund beschränkt sich außerdem nicht nur auf den Irak allein, der für die USA nicht mehr und nicht weniger als ein Angelpunkt einer angestrebten Neuordnung der Region sein sollte.

Die Befreiung und Demokratisierung des Irak sollte ein Beispiel für die anderen arabischen Länder und den Iran sein. Bis jetzt ist davon nichts zu erkennen, der Nahe Osten ist höchstens noch extremistischer und gewalttätiger geworden, das Wort von der "Libanonisierung" des Irak macht die Runde. Neben den nahöstlichen Autokraten, deren Lebensberechtigung durch den ungebrochenen Bedarf an Sicherheit wieder steigt, freuen sich ja auf der anderen Seite vielleicht ein paar verrückte christliche Fundamentalisten darüber, die auf das Armageddon warten.

Noch ist nichts in der Region geschehen, was auch nur einem Extremisten den Boden seiner Überzeugung entziehen könnte. Im Irak selbst wurde von den USA ein saft- und kraftloser Regierungsrat eingesetzt, der gerade dabei ist, Ministerposten zu vergeben wie alte feudalistische Pfründe. Selbst am Tag nach dem Anschlag versäumte der amerikanische Vizekönig Paul Bremer nicht, die "economy" zu erwähnen, an deren allumfassende Heilkraft er zu glauben scheint. Vielleicht könnte man langsam mit ein paar anderen, überzeugenderen Konzepten kommen.

In Israel und "Palästina" beginnt sich das kleine "window of opportunity" zu schließen, die Roadmap ist vielleicht am Ende. Die recht schwammige Hoffnung war, dass durch die Beseitigung Saddam Husseins die alte Garde um Yassir Arafat leichter marginalisiert und folglich ein neuer Prozess auf den Weg gebracht werden könnte. Dieses Szenario ließ erstens die Tatsache aus, dass Saddam Hussein im israelisch-palästinensischen Konflikt ohnehin kein politischer Spieler mehr war, allenfalls ein billiger Straßenheld.

Zweitens gab und gibt es in den USA keinerlei Konsens darüber, was mit der Erleichterung des Prozesses eigentlich gemeint war: dass Israel oder die israelische Rechte ihre Vorstellungen leichter durchsetzt, das heißt ihren Frieden diktieren kann, oder dass durch den Wegfall der latenten (wenn auch nicht, wie propagiert, akuten) Bedrohung durch Saddam eine neue Sicherheitslage in Israel neue Konstellationen bei Verhandlungen erlauben würde.

Diese Frage wurde nie offen aufgegriffen. Die Überein^stimmung beschränkte sich darauf, dass es eine gute Sache sei, wenn Saddam Hussein über die Klinge springt. Dem zuzustimmen ist allerdings relativ leicht.

Die Gewinner der Lage, in der die USA sich im Irak befinden, sitzen in Riad, weiters in Damaskus: Sich von der Abhängigkeit von den Saudis in strategischen und energiepolitischen Belangen unabhängig zu machen war einer der unmittelbaren Kriegsgründe für die USA. Davon ist man weit entfernt. Und Syrien ist zwar in einer äußerst unbequemen Situation, von US-freundlichen Staaten umgeben und wirtschaftlich durch den Wegfall des irakischen Erdöls schwer unter Druck. Gleichzeitig ist aber eines klar: Die "Syria next"-Verfechter in den USA und in Israel müssen jetzt erst einmal Pause machen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.7.2003)