Begrüßen das Urteil (von links): Ewald Scheuer (AK Vorrat), Hannes Tretter (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (LBI), Uni Wien), Andreas Krisch (AK Vorrat, edri) und Christof Tschol (LBI, AK Vorrat)

Foto: Standard/fsc

Bild nicht mehr verfügbar.

Aktivisten wie Sigrid Maurer (damals ÖH Vorsitzende, heute Grüne) bringen 2012 Unterstützungserklärungen zum Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Foto: APA/Schlager

Sensationell, extrem erfreulich, ein epochaler Sieg: Vertreter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte und des AK Vorrat ließen am Donnerstagvormittag keinen Superlativ aus, um die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur  Vorratsdatenspeicherung zu loben.

Generelle Absage

Jurist Christof Tschohl analysiert das Urteil dahingehend, dass der "EuGH eine Absage an das Konzept der flächendeckenden Speicherung ohne konkreten Verdacht" erteilt habe. Es gebe keinen Spielraum, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof anders als der EuGH entscheiden könne, so Tschohl.

Er hatte als Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts (LBI) die Vorratsdatenspeicherung im Auftrag des österreichischen Verkehrsministeriums umgesetzt und dabei "versucht, die Giftzähne zu ziehen". Das LBI habe sich aber von Anfang an – ebenso wie Ministerin Doris Bures (SPÖ) – prinzipiell gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.

"Gläserne Mensch" abgewendet

Verfassungsjurist Hannes Tretter, wissenschaftlicher Direktor des LBI, ergänzt, dass das Innenministerium bei der Umsetzung damals nicht ins Boot geholt werden konnte. Er zeigt sich über das Urteil hoch erfreut: "Der gläserne Mensch wurde zumindest abgewendet, wenn nicht verunmöglicht."

Wichtig am Urteil findet Tretter, dass der EuGH die Freiheit auf Meinungsäußerung durch die Datenspeicherung beeinträchtigt sehe: "Die massenhafte Speicherung von Daten hat also Auswirkungen auf unser Verhalten und die Demokratie". Drei Monate Speicherdauer seien ausreichend, so Tretter.

Signalwirkung

Rechtsanwalt Ewald Scheucher vom AK Vorrat sieht im Urteil eine starke Signalwirkung: "Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat es massive Eingriffe ins Rechtssystem geben. Der EuGH-Entscheid könnte jetzt den Start für einen Roll-Back einleiten und das Ende der Hysterie bedeuten".

Vor allem stelle sich, so AK Vorrat-Obmann Andreas Krisch, die Frage nach der Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung: "Die überwiegende Anzahl der Anfragen wurde für Bagatelldelikte gestellt – das muss sehr kritisch hinterfragt werden." Tatsächlich kam die Vorratsdatenspeicherung gegen Zigarettenfälscher, Stalker und Diebe zum Einsatz – allerdings in Österreich nie gegen terroristische Vereinigungen.

Knackpunkt "Geheimnisträger"

Durch das EuGH-Urteil sei eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung in der Form  kaum möglich, so die Vertreter unisono. Ein Knackpunkt sei etwa, dass auch über "Geheimnisträger" Vorratsdaten gespeichert würden, erklärt Tschohl: Dadurch werde das Redaktionsgeheimnis bei Journalisten oder die Verschwiegenheitspflicht bei Psychotherapeuten verletzt. Nun könne man diese Kommunikation aber kaum filtern und so von der Speicherung ausgeben – das ergebe ein juristisch kaum lösbares Dilemma.

Quick Freeze

Als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung nennen die Experten den "Quick Freeze": Da Telekomkonzerne ohnehin für Rechnungszwecke Verbindungsdaten speicherten, könnten diese im Bedarf individuell "eingefroren" und für Ermittlungen genutzt werden. Die Speicherdauer von drei Monaten sei hierfür völlig ausreichend, so Tschohl.

NSA-Massenüberwachung

Bezüglich der Frage, ob die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nicht ohnehin müßig sei, wenn die NSA und andere Geheimdienste Massenüberwachung betrieben, meint Krisch, dass es hier einen "politischen Auftrag" an die EU geben muss, um Grund- und Menschenrechte auch bei "Ausnahmen für nationale Sicherheit" zu wahren.

In seiner Funktion als Vorstand der European Digital Rights (edri)-Initiative hat Krisch eine neue Plattform namens WePromise.Eu eingerichtet, auf der sich KandidatInnen zur EU-Wahl zu digitalen Grundrechten äußern können. Auch Wähler können sich deklarieren, sie sollten sich "genau überlegen, wem sie bei der EU-Wahl ihre Stimme geben", so Krisch.

"Stolz auf Österreich"

Abschließend bleibt noch Zeit für Patriotismus: Dass die EuGH-Entscheidung durch Österreich (mit-)ausgelöst wurde, freut alle Podiumsteilnehmer einhellig. Der AK Vorrat hatte über 105.000 Unterschriften gegen die Vorratsdatenspeicherung gesammelt und war an der Klage, die schlußendlich zum Prozess führte, mitbeteiligt. AK-Vorrat-Rechtsanwalt Scheucher ist daher "Stolz auf die Österreicherinnen und Österreicher, die an der Spitze dieses Freiheitsmarsches marschiert sind." (fsc, derStandard.at, 10.4.2014)