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Michael von der Schulenburg (links) mit dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan im UN-Hauptquartier in New York.

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US-Truppen verlassen den Irak im Dezember 2011.

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Die konfessionelle und ethnische Vielfalt im Irak wird heute oft als Ursache für die Instabilität im Land betrachtet. Der ehemalige UN-Sondergesandte Michael von der Schulenburg, der am Montag in Wien diskutierte, sieht das anders: Er macht vor allem das fehlende Vertrauen der religiösen Gruppen (Schiiten, Sunniten und Kurden) in die US-Amerikaner für die nach wie vor kritische Lage im Land verantwortlich.

Von der Schulenburg war von 2005 bis 2007 stellvertretender Sondergesandter für politische Angelegenheiten der UN-Unterstützungsmission im Irak und hielt sich anlässlich des "Jour Fixe Nahost" der Österreichischen Orient-Gesellschaft Hammer-Purgstall in Zusammenarbeit mit dem STANDARD am Montagabend in Wien auf.

Vertrauensverlust

Von der Schulenberg sagte bei der Veranstaltung, dass die Schiiten ihr Vertrauen in die USA bereits im Jahr 1991 verloren hätten – als der damalige US-Präsident George Bush Senior die irakische Bevölkerung zum Aufstand gegen Präsident Saddam Hussein aufrief, an dem sich hauptsächlich die Schiiten im Süden des Landes beteiligten. Die erhoffte Unterstützung durch die US-Amerikaner blieb aber aus, stattdessen hätten sie "aktiv" dabei geholfen den Aufstand niederzuschlagen.

Hinter dem Vertrauensverlust der kurdischen Iraker steht laut von der Schulenburg das Versprechen eines eigenen Staates – eine Zusage, die bis heute nicht verwirklicht wurde. Und die Sunniten hätten ihr Vertrauen mit dem Sturz Saddam Husseins verloren, denn "die Amerikaner haben sie ja im Grunde genommen abgelöst" – nachdem sie sich nach dem Ende der Monarchie 1958 durchgehend an der Macht halten konnten.

Für von der Schulenburg stellt sich in Anbetracht dieser Ereignisse und Vertrauensbrüche die Frage, "wie wir denn da glauben wollen, dass wir Maßstäbe für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzen."

Zwei Illusionen der USA

Der Irak ist heute, elf Jahre nach der Invasion der US-Truppen und knapp zweieinhalb Jahre nach deren Abzug, ein Land voller Gewalt und Konflikte. Im Jahr 2013 wurden nach UN-Angaben 8.868 Menschen bei Anschlägen getötet, seit Jahresbeginn gab es mehr als 2.200 Tote. Am 30. April sollen Parlamentswahlen stattfinden.

Die derzeitige Lage im Irak sei auch Ursache "zweier großer Illusionen",  denen die US-Regierung noch vor dem Einmarsch 2003 aufgesessen sei. In erster Linie hätte man geglaubt, dass der Irak durch die Invasion befreit werden würde: "Das Problem war, als ich in den Irak kam, dass sich dort niemand befreit fühlte", so von der Schulenburg – denn nach 13 Jahren Sanktionen, einer damit verbundenen schweren Nahrungsmittelknappheit und der darauffolgenden Zersplitterung der Gesellschaft betrachteten die meisten Irakerinnen und Iraker die US-Invasoren nicht als Befreier.

Die zweite große Illusion sei der "Automatismus" von dem US-Strategen ausgegangen waren: Es sei angenommen worden, dass auf den Wegfall eines Diktators automatisch Demokratie folgen würde.

Verhandlungen ohne öffentliche Diskussion

Der Irak sei jedoch ein Beispiel dafür, dass Wahlen und eine Verfassung alleine noch keine Demokratie ausmachen würden, vor allem wenn die Verhandlungen über die Verfassung hinter verschlossenen Türen stattfinden, wie es im Jahr 2005 der Fall war. Kritisch sieht von der Schulenburg auch den enthaltenenen Passus, der es Provinzen ermöglicht über einen Regionalstatus mit föderalistischen Machtbefugnissen abstimmen zu können: "Das bedeutet im Grunde das Ende des irakischen Staates", so von der Schulenburg.

Seiner Ansicht nach sei fälschlicherweise geglaubt worden, man könne Frieden militärisch über die Köpfe der Betroffenen hinweg erzwingen – doch "die Menschen wollen anders leben, und man hat sie im Grunde nicht gefragt." (Noura Maan, derStandard.at, 8.4.2014)