Außenminister Sebastian Kurz im Gespräch mit STANDARD-Redakteur Thomas Mayer.

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STANDARD: Nach den ersten 100 Tagen im Amt hat man den Eindruck, sie tigern sich als Außenminister begeistert rein, es macht Ihnen Spaß, aber die rot-schwarze Regierung ist wie gelähmt, total in der Defensive. Frustriert Sie das?

Kurz: So würde ich das nicht sehen. Die Regierung strengt sich in der Summe an, bestmöglich ihre Arbeit zu leisten, ist allerdings in einer sehr schwierigen Phase. Das hat damit zu tun, dass beide Parteien bei den Nationalratswahlen im Herbst ein bisschen an Stimmen verloren haben. Dadurch war die Grundstimmung zu Beginn schon mal nicht die beste. Und das wird jetzt auch noch überschattet von der Hypo-Krise. Insofern sind die Bedingungen für die Regierung alles andere als leicht, aber gerade in einer solchen Zeit muss eine Regierung sich bemühen, bestmöglich die Arbeit zu erledigen. Das versuche ich auch in meinem Bereich. Ich gebe mein Bestes, und ich habe auch Freude an meiner Aufgabe als Außenminister.

STANDARD: Die Kommentare in den Medien zur ersten Bilanz waren jedenfalls extrem negativ, was die Regierung betrifft – keine Ideen, nichts geht weiter, der Hypo-Skandal wurde verschleppt. Die Umfragen sind noch schlechter als die Wahlergebnisse. Und die Hypo-Krise gibt es ja schon länger. Was müsste die Regierung anders machen?

Kurz: Dass es die Hypo-Krise gibt, das weiß man in der Tat schon länger. Aber es ist zu Recht so, dass das Thema für viel Aufregung in der Bevölkerung sorgt. Was da in Kärnten gemacht worden ist, das war ein Verbrechen am Steuerzahler. Und die Auswirkungen dafür muss nun die gesamte Republik tragen. Wenn man sich damit beschäftigt, wird einem jetzt erst bewusst, wie sehr diese FPÖ-Verbrechen am Steuerzahler das gesamte Budget der Republik belasten, und wie sehr daran auch noch meine Generation der ganz Jungen darunter leiden wird. Dass das einen Frust auslöst, gar nicht so sehr nur in Richtung der Regierung, sondern der gesamten Politik, dafür habe ich Verständnis.

STANDARD: Die Regierung könnte das ja ganz offensiv angehen, das Heft in die Hand nehmen, der Bevölkerung reinen Wein einschenken. Sie könnte die Fehler der Vergangenheit erklären und sagen, wer was zu verantworten hat, wenn sie selber glaubt, nichts verstecken zu müssen. Warum also so defensiv, warum wird abgeblockt, Stichwort Untersuchungsausschuss?

Kurz: Vielleicht kommt's noch dazu. Im Moment ist es, glaube ich, eine schwierige Phase. Die Politik hat die Aufgabe, Sacharbeit zu leisten. Es braucht nicht eine Politik der nackten Oberkörper, wie im Wahlkampf, und es braucht auch nicht die dauernde Polemik, sondern je mehr Politiker sich bemühen, sachlich und mit sehr viel Einsatz ihren Job zu machen, desto besser wird das auch mittelfristig für das Image der Politik sein.

STANDARD: Sie weichen beim Thema Untersuchungsausschuss Hypo aus. Direkt gefragt: Wären Sie dafür, einen solchen einzusetzen?

Kurz: Ich bin für Aufklärung und dafür, dass die Schuldigen auch zur Verantwortung gezogen werden. Das sollte meiner Meinung nach bei einer Angelegenheit wie der Hypo vor allem vor den Gerichten stattfinden, weil es hier strafrechtliche Verantwortung gibt. Nicht umsonst gibt es über hundert Beschuldigte vor den Gerichten. Also, der Hauptort der Aufklärung müssen die Gerichte sein. Aber darüber hinaus ist es natürlich legitim, auch nach politischer Verantwortung zu suchen.

Das kann in den unterschiedlichsten Formen stattfinden. Die Kommission, die von der Regierung eingerichtet wurde, ist eine gute Möglichkeit. Was einen Untersuchungsausschuss betrifft, bin ich sehr skeptisch gegenüber dem derzeitigen Modell. Ich habe das Gefühl, dass da oftmals nicht Expertise und Sachlichkeit im Zentrum steht, sondern gegenseitig versucht wird, den anderen mit möglichst viel Dreck zu bewerfen.

STANDARD: Aber bitte, das ist nicht ein Problem des Untersuchungsausschusses als Instrument, sondern eines der politischen Kultur im Land.

Kurz: Das ist ein Problem der politischen Kultur, aber schon auch ein Problem der Regelungen eines Untersuchungsausschusses. Mit gefällt das deutsche Modell sehr gut, wo ein Richter den Vorsitz führt; wo es Elemente gibt, die mehr Sachlichkeit herbeiführen, unabhängig davon, ob die Politiker das wollen oder nicht. Und meiner Meinung nach wäre es gut, generell in unserer politischen Kultur mehr sachliche Diskussionen zu haben. Das gilt bei einem Untersuchungsausschuss aber ganz besonders.

STANDARD: 1989 bis 1991 gab es die legendären U-Ausschüsse zu Lucona und Noricum, da ging es um sechsfachen Mord bei einer Schiffssprengung und um illegale Kanonenlieferungen der Staatsindustrie an den Krieg führenden Iran. Auch damals hat eine rot-schwarze Koalition zuerst alles abgeblockt, die Gerichte waren tätig. Am Ende gab es dann doch U-Ausschüsse, auch eine Reinigung des politischen Systems. Warum sollte das jetzt bei der Hypo anders sein? Die Regierung hätte sich einiges ersparen können an Kritik, wenn sie gleich gehandelt hätte.

Kurz: Ja, man kann sich wahrscheinlich in der medialen Kommentierung vieles ersparen. Aber am Ende des Tages geht es um Inhalte. Und da kann ich nur sagen, wenn es einen U-Ausschuss zur Hypo gibt, dann hoffentlich unter ordentlichen Rahmenbedingungen, im Idealfall nach deutschem Vorbild und nicht als plumpes gegenseitiges Anpatzen aller Beteiligten.

STANDARD: Wie fällt Ihre Erstbilanz als Außenminister nach den 100 Tagen im Amt aus? Was ist das Positive, was waren negative Erfahrungen?

Kurz: Die positive Erfahrung ist, dass man als Außenminister gute Möglichkeiten hat, innerhalb der Europäischen Union den österreichischen Standpunkt einzubringen und ein Stück weit mitgestalten kann. Man hat gute Möglichkeiten, den bilateralen Kontakt mit den wichtigsten Partnern zu pflegen. Und auch gute Möglichkeiten, nach innen einen Beitrag zu leisten, dass wir ein möglichst weltoffenes Land sind, Internationalisierung und Globalisierung nicht als Gefahr sehen sondern als Chance, die sich für unser Land ergibt. Die negative Erfahrung nach 100 Tagen ist auch ganz klar: Wir müssen auch im 21. Jahrhundert erleben, dass es möglich ist, dass ein Land in ein Nachbarland Truppen schickt wie in der Ukraine, und wir innerhalb weniger Stunden einem Kalten Krieg näher sind als wir uns alle hätten vorstellen können.

STANDARD: Hielten Sie das für unmöglich, war das eine Ernüchterung für Sie?

Kurz: Es ist eine starke Ernüchterung insofern, dass auch hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, genau das, was wir als so selbstverständlich annehmen, auch in Europa in kurzer Zeit überhaupt nicht mehr selbstverständlich sein kann.

STANDARD: Zunächst zum Positiven, waren Sie denn überrascht davon, wie selbstverständlich man sich in den EU-Gremien einbringen kann als Außenminister eines mittleren Landes?

Kurz: Ich bin froh darüber, wie gut ich aufgenommen worden bin. Ich war durchaus überrascht davon, dass es eine starke Möglichkeit zur Mitgestaltung gibt, die Meinung des eigenen Landes einzubringen und eigene Ideen voranzutreiben, wenn man sich bemüht, die richtigen Partner zu finden.

STANDARD: Wird das unterschätzt in Wien, diese Mitgestaltungsmöglichkeit? In Österreich ist der EU-Skeptizismus im Vergleich mit anderen Ländern auch außerordentlich hoch.

Kurz: Ja, wir haben Skepsis in Richtung Union. Die Kritik ist teilweise auch kein Schaden, weil sie Antrieb sein kann, die Europäische Union stetig weiterzuentwickeln. Und das ist auch notwendig und richtig, wenn ich daran denke, dass mehr direkte Demokratie in der EU gut wäre, zum Beispiel eine Direktwahl eines Kommissionspräsidenten. Auch mehr Transparenz wäre gut, wir sollten uns der Frage der Subsidiarität stellen, überlegen, wo es mehr Europa braucht und wo im Gegenzug Staaten und Regionen durchaus Entscheidungen treffen könnten.

Skepsis kann auch etwas Gutes haben, wenn sie Antrieb für Veränderung ist. In anderen Bereichen ist die Skepsis in Österreich sicher überausgeprägt, wenn etwa gesagt wird: Die EU entscheidet, und wir haben keine Möglichkeit, da irgendwie teilzunehmen. So ist es eben nicht. Es sind Entscheidungen von 28 Staaten, und jeder ist einer von 28, der mal mehr oder mal weniger beteiligt ist.

STANDARD: Apropos, mehr Demokratie, mehr Nähe der Politik zum Bürger: Es gibt eine Diskussion um die gemeinsamen Spitzenkandidaten der Parteifamilien für die EU-Wahlen im Mai. Die Europäische Volkspartei attackiert gerade den SPE-Kandidaten Martin Schulz, fordert ihn zum Rücktritt als EU-Parlamentspräsident auf, weil er nicht überparteilich sei, sondern das im Wahlkampf missbrauche. Wie sehen Sie das?

Kurz: Die Frage, ob er das Amt als Parlamentspräsident zurücklegen muss, ist ein Thema für das Europäische Parlament. Die Idee der beiden gemeinsamen Spitzenkandidaten ist unabhängig davon zu sehen, die macht man mit der Frage der Unvereinbarkeit nicht kaputt. Warum? Die beiden Spitzenkandidaten sind von den großen Parteien nominiert, sie sind bereits voll im Wahlkampf.

Ich möchte betonen, dass ich das für eine gute Idee halte. Ich glaube, dass ein Grund für die starke Skepsis in der Bevölkerung, die Frustration über die Union, auch darin liegt, dass europäische Entscheidungsträger sehr oft ganz weit weg wirken, dass man sie oftmals gar nicht kennt. Insofern ist die Idee, europäische Entscheidungsträger zu wählen, sehr gut. Das ist ein richtiger erster Schritt in Richtung der Direktwahl eines Kommissionspräsidenten in der weiteren Zukunft.

STANDARD: Aber noch einmal zu Schulz. Es gibt ja in Österreich einen Spitzenkandidaten, Othmar Karas für die ÖVP, der auch Vizepräsident im EU-Parlament ist. Soll der als solcher auch zurücktreten? Da entsteht der Eindruck, dass die Europäische Volkspartei mit zweierlei Maß misst, nicht? Ist es nicht sogar gut, wenn Spitzenparlamentarier in den Wahlkampf ziehen?

Kurz: Es ist gut, dass es europäische Kandidaten gibt. Das müssen keine Parlamentarier sein. Es wäre genauso legitim, wenn der gemeinsame europäische Spitzenkandidat einer der beiden großen Parteien ein Regierungschef ist, oder ein anderer Verantwortungsträger im europäischen Gefüge.

STANDARD: ...oder ein Außenminister...

Kurz: ...oder ein Kommissar. In diesem Fall muss man sagen, Schulz ist Parlamentarier, das ist ok.

STANDARD: Nach dem EU-Außenministertreffen in Athen scheint es so zu sein, dass die Union und Russland an einem entscheidenden Punkt angekommen sind. Was ist Ihre Einschätzung der Lage?

Kurz: Es ist noch immer nicht angebracht, von einer Deeskalation zu sprechen, weil die Situation nach wie vor angespannt ist. Es ist aber dennoch etwas besser als vor ein oder zwei Wochen. Wir haben kleine positive Signale: die Zustimmung Russlands zu einer OSZE-Beobachtermission in der Ukraine; die Aufnahme von direkten Gesprächen zwischen der russischen Regierung und jener der Ukraine; das Intensivieren der Gespräche zwischen Russland und einigen EU-Staaten, auch mit den USA. Es wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, um eine Kontaktgruppe zu starten. Man sollte dieses Zeitfenster nutzen.

STANDARD: Es hat in Athen geheißen, es soll sich um eine möglichst kleine Gruppe auf hoher Ebene handeln. Wie soll diese Kontaktgruppe aussehen?

Kurz: Ich unterstütze diese Idee, die ursprünglich aus Deutschland kommt. Und ich hoffe, dass Russland sich darauf einlässt. Ich glaube, dass die eine Variante, nach der die Europäische Union als Institution am Tisch sitzen würde, eine gute Variante wäre, ein Modell USA, EU, Ukraine und Russland. Es geht ja dann nicht nur um die Frage der Ukraine, sondern auch darum, wie geht das Verhältnis von EU und Russland weiter.

Das Unterschreiben eines Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU bringt natürlich auch Veränderungen für Russland mit sich. Es ist absolut notwendig, über die Frage nachzudenken, wie eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa mit Russland, aber auch mit Ländern wie der Ukraine, Moldau oder Georgien in Zukunft stattfindet. Es ist notwendig, mit Russland diese Perspektiven zu diskutieren. Alles andere würde wieder nur harte und teils dramatische Reaktionen von Seiten Russlands auslösen.

STANDARD: Haben die EU-Außenminister die sicherheitspolitische, die militärische Frage wieder tiefer gehängt? Die Bedrohung der Ostukraine durch russische Truppen, vor der die Nato warnte, hat offenbar keine Rolle gespielt.

Kurz: Es ist von Anfang an klar gewesen, dass die Union nicht militärisch in diesen Konflikt einsteigt, und das ist auch gut so. Es ist ein Konflikt, auf den die Union politisch geantwortet hat, und auch bereit gewesen wäre, wirtschaftlich zu antworten. Daher ist es auch absolut legitim, dass jetzt über eine politische und wirtschaftliche Perspektive diskutiert wird. Da halte ich die Idee einer großen Freihandelszone, an der Russland langfristig partizipieren kann, für die richtige.

Das wäre die Möglichkeit, das Blockdenken zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Zollunion aufzulösen. Die Auflösung dieses Blockdenkens wäre eine Voraussetzung dafür, dass die Ukraine, Georgien und Moldau eine stabile Zukunft haben können.

STANDARD: Das klingt fast nach „Der Krise eine Chance geben".

Kurz: Die Krise ist definitiv nicht positiv. Aber man kann aus der Krise lernen – politisch, indem man versucht, ein Ende des Blockdenkens zu ermöglichen, aber auch energiepolitisch, indem wir uns bewusst machen, dass wir mehr Unabhängigkeit im Energiebereich brauchen, erneuerbare Energien die Zukunft sind.

STANDARD: Wenn die Lage sich nicht entspannt, der russische Präsident Putin weiter auf eine militärische Lösung setzt und nach der Krim in der Ostukraine mit Truppen weitermarschiert, was würden dann folgende EU-Wirtschaftssanktionen für Österreich bedeuten?

Kurz: Das würde Sanktionen auslösen. Wirtschaftssanktionen sind ein Schritt, den sich die europäischen Staats- und Regierungschefs offengelassen haben, falls Russland weiter eskaliert. Wir sollten uns diese Wirtschaftssanktionen definitiv nicht herbeisehnen, denn sie würden nicht nur Russland treffen, sondern auch die Europäische Union. Je nachdem, in welchen Bereichen solche Wirtschaftssanktionen verhängt werden, würden sie die europäischen Länder unterschiedlich stark betreffen. Wir wären insbesondere im Banken- und Versicherungsbereich in Russland betroffen. (Thomas Mayer, derStandard.at, 6.4.2014)