Wien - In der Wiener Rechtsanwaltskammer ist ein Konflikt um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ausgebrochen. Ausgelöst hat diesen Kammer-Vizepräsidentin Brigitte Birnbaum mit einer bezahlten Anzeige in der Tageszeitung "Die Presse", in der sie gegen Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) polemisierte. Dieser hatte ein Adoptionsrecht für Homosexuelle befürwortet.

Birnbaum nannte daraufhin in einer von der Rechtsanwaltskammer finanzierten und am 10. März veröffentlichten Kolumne Rupprechter einen "mit der Materie nicht vertrauten Minister", der "eine völlig falsche Sicht" vertrete, die nicht "primär die Interessen der Kinder sieht". In der Gesellschaft sei "eine große Gruppe überzeugt, dass der Idealzustand für ein Kind Erziehung durch Mutter und Vater ist".

Anwälte protestieren

Diese Ansichten lösten bei mehreren namhaften Wiener Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen scharfe Kritik aus, die ihren Unmut auch in Protestschreiben ausdrückten. Sie warfen Birnbaum vor, mit Kammergeld und im Namen der Wiener Anwaltschaft Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu betreiben und reaktionäre Ansichten zu vertreten. Das Kindeswohl hänge nicht von der sexuellen Orientierung ab, sondern anderen Faktoren wie der Persönlichkeit der Erziehenden und der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung.

"Als führende Vertreterin einer Kammerorganisation öffentlich und kategorisch einer wertkonservativen Meinung das Wort zu reden widerspricht dem historisch gewachsenen Grundverständnis unseres Standes", meinte etwa die renommierte Anwältin und Strafverteidigerin Alexia Stuefer, die sich darüber hinaus gegen die Verwendung von Kammerbeiträgen "zur Artikulation von individuellen politischen Meinungen" aussprach.

Präsident verteidigt Vizepräsidentin

Die Vielzahl der Reaktionen hat nun den Wiener Kammer-Präsidenten Michael Auer auf den Plan gerufen, der Birnbaumer verteidigt. Diese habe mit ihrer Kolumne einen Diskussionsbeitrag "zu einem in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Thema" geleistet und dabei berücksichtigt, "dass die derzeitige Gesetzeslage auf einem bisher geltenden gesellschaftspolitischen Konsens fußt". Für das Präsidium und den Ausschuss der Wiener Rechtsanwaltskammer sei "das Kindeswohl das entscheidende Kriterium für die Beurteilung, weshalb es unerlässlich ist, darüber eine seriöse und wissenschaftlich fundierte Debatte zu führen", heißt es in einem mit 28. März datierten Schreiben, das eine Birnbaum-Kritikerin am Donnerstag in ihrer Kanzlei erhielt.

Auch andere Anwälte sollen Post ähnlichen Inhalts von ihrem Präsidenten erhalten haben. Auer verweist dabei darauf, dass es auf Birnbaumers Äußerungen auch positive Rückmeldungen gegeben habe, weshalb er "um Unterstützung ersuche, die Anregung unserer Kollegin in der Kollegenschaft zu transportieren und dafür Sorge zu tragen, dass der Artikel so verstanden wird, wie er geschrieben wurde". Die Wiener Rechtsanwaltskammer habe mit der Kolumne in der "Presse" über die derzeitige Gesetzeslage informieren, vor Strafverschärfungen gegen Homosexuelle warnen, den Mangel an Pflegeeltern und das Kindeswohl als "entscheidendes Kriterium" hervorheben wollen. (APA, 4.4.2014)