Besuch in Tirol: Die grüne Bundeschefin Eva Glawischnig im Büro der Vizelandeschefin Ingrid Felipe (rechts). 

Foto: Florian Lechner

STANDARD: Auf Bundesebene ist die ÖVP derzeit der erklärte Feind. Nicht nur in Tirol, sondern auch in Salzburg, Oberösterreich und Kärnten ist sie den Grünen Partner. Wie geht das zusammen?

Glawischnig: Ich würde die These des erklärten Feindes nicht unterschreiben. Die Familienministerin ist bemüht, sowas wie ein modernes Familienleben anzuerkennen, der Umweltminister bricht mit der Vergangenheit, indem er nicht ausschließlich auf Landwirtschaft setzt. Bei der Hypo Alpe Adria war es im Wesentlichen die SPÖ, die die Gläubigerbeteiligung verhindert hat.

STANDARD: Rückendeckung aus Ihrem Mund - müssen Sie sich mit Kritik also zurückhalten?

Glawischnig: Gerade wenn man zusammenarbeitet, muss man auch aussprechen, was nicht geht. Ich sage: Kritik dort, wo es notwendig ist, und Zusammenarbeit, wo immer möglich. Wir sind hier nicht pragmatisierte Opposition und Widerstandsgeist.

Felipe: Wir pflegen auch in Tirol einen kritisch-konstruktiven Umgang mit der ÖVP. Eine Koalition soll ja kein Einheitsbrei sein. Natürlich gibt es auch Auseinandersetzungen. Es ist ein tägliches Ringen nach gemeinsamen Lösungen.

STANDARD: Ist es denn aus Bundesperspektive schlicht egal, mit wem die Landesgrünen kooperieren?

Glawischnig: Nein, Inhalte entscheiden. Tatsache ist, dass sich durch das Regieren Kompetenz und Know-how entwickeln. Ich möchte nicht nur am Schreibtisch vorzeigen, was besser geht. Vieles ist aus der Opposition leichter gesagt.

STANDARD: Es gibt nun mit den Neos noch einen bürgerlich-liberalen Spieler auf dem Feld, der von den Grünen lange unterschätzt wurde. Wie will man mit denen künftig umgehen?

Glawischnig: Es gibt punktuell Zusammenarbeit, es gibt aber auch deutliche Unterschiede, insbesondere was die Sozial- und Europapolitik betrifft. Wenn man den Kindern die Zahnspange nicht gönnt, ist das das eine. Was mich aber vor allem irritiert, ist ihr extrem positiver Zugang zum Freihandelsabkommen. Ich möchte Errungenschaften in der Lebensmittelproduktion wie Gentechnikfreiheit nicht für das goldene Kalb "freier Handel" aufgeben.

STANDARD: Hätten Sie früher begonnen, Unterschiede deutlich zu machen, glauben Sie, hätten Sie die Neos verhindern können?

Glawischnig: Also sorry, warum soll ich denn bitte eine Fünf-Prozent-Partei verhindern? Die Frage versteh ich nicht. Solange die Grünen weiter wachsen und die Neos der ÖVP die Stimmen wegnehmen und diese dadurch auf gesellschaftsliberalere, modernere Wege bringen, kann das für Österreich nicht schlecht sein. Ich kann auch mit dem Wort "unterschätzt" nichts anfangen. Die Stronach-Partei hat vor einem Jahr noch die Schlagzeilen dominiert, und jetzt ist sie nicht mehr existent. Ich versuche, möglichst freundlich mit den neuen Kollegen umzugehen.

Felipe: In Tirol haben wir eine Tradition von kleinen ÖVP-Ablegern: die Liste Fritz, Vorwärts Tirol, der Fritz Gurgiser - und ja, die Überlebensfähigsten waren sie nicht. Mir ist bis heute nicht ganz klar, was der Inhalt der Neos eigentlich ist. Die Grünen arbeiten seit bald dreißig Jahren an einem Programm, das von allen getragen wird. Das ist nicht etwas, das man mal schnell irgendwie zusammenschreibt.

STANDARD: Sie sagen also weiterhin, die sind keine Gefahr?

Glawischnig: Was bedeutet Gefahr?

STANDARD: Na, dass eine junge, frische Partei, die mit den Grünen eine nicht zu leugnende Überschneidungsfläche hat, für viele Wähler attraktiver ist.

Felipe: Mit dem ökosozialen Flügel der ÖVP kann ich besser als mit den Neos, wenn es um Überschneidungen geht.

Glawischnig: Entscheidend ist, ob SPÖ und ÖVP noch einmal eine gemeinsame Mehrheit erreichen. Die rot-schwarze Sozialpartnerdemokratie ist zu Ende, und wir bereiten uns auf die politische Zeit danach vor. Durch die Neos ergeben sich neue Mehrheiten. BZÖ und FPÖ waren für uns als Koalitionspartner zu hundert Prozent ausgeschlossen, das gilt für die Neos nicht. Die könnten für uns eine spannende Zukunftsoption werden, wenn sie sich positiv entwickeln.

STANDARD: In Umfragen zur Europawahl erreichen die Neos annähernd die Werte der Grünen. Das kann Ihnen doch nicht egal sein?

Glawischnig: In dieser konkreten Frage sehe ich das auch anders, weil die europäische Liberalenfamilie - der die Neos angehören würden - Positionen vertritt, die ich für grundverkehrt halte: Finanzmarktliberalisierung, Deregulierung, Privatisierung der Wasserversorgung, keine Frauenquoten - das würde ich alles nur sehr ungern gestärkt sehen. Von neoliberaler Politik hatten wir genug.

STANDARD: Werden die Grünen die Neos in diesem Wahlkampf also stärker angreifen?

Glawischnig: Die Unterschiede werden immer sichtbarer werden, und gerade in Bezug auf die EU sind sie das besonders. Wenn es um ein ökologisches, soziales Europa geht, stehen die Neos meist auf der falschen Seite.

STANDARD: Sie beide verbindet, dass Sie als junge Frauen in politische Führungspositionen kamen. Auf welche Hürden stößt man?

Felipe: Auf viele. Mein Aufgabenbereich ist sehr männlich dominiert. Wenn man als junge Frau Chefin ist, wird man zu einer fleischgewordenen Intervention. Gerade im traditionsverbundenen Tirol merkt man das bei diversen Ritualen. Schlussendlich hat man aber als Politikerin mit denselben Vorurteilen und Hürden zu kämpfen wie Frauen in Verantwortungspositionen überall.

Glawischnig: Was uns auch eint, sind die Familienpflichten. Es kommt nach fast jeder Veranstaltung einer, der sagt: Eh super, was Sie machen, aber wissen S', eine Mutter gehört doch zum Kind. Man bekommt vermittelt, dass man als Frau in der Öffentlichkeit am falschen Ort ist, wenn man zwei kleine Kinder zu Hause hat.

STANDARD: Im Tiroler Landtag sitzt für die Grünen nur eine Frau. Finden sich sogar in den eigenen Reihen nur schwer Kandidatinnen?

Felipe: Wir haben auch zwei Landesrätinnen und eine Bundesrätin, die Mitglied im Club ist.

Glawischnig: Es ist aber schon so, dass wir Frauen stärker ermutigen müssen, sich auf Listenplätze zu bewerben, um genügend Kandidatinnen zu finden. Das ist bei den Männern nicht so. Grundsätzlich erfüllen wir unsere Quote aber in allen Gremien. In dieser Frage hinken die Neos ziemlich hinterher. Unter ihren neun Abgeordneten finden sich bloß zwei Frauen. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 3.4.2014)