Julia von Sell und Moritz Vierboom in  "Meine Mutter, Kleopatra".

Foto: Josef Gallauer

St. Pölten / Baden - Der Staat gebietet über seine Bürger bis in das private Leben hinein. Umso mehr, wenn Menschen den Mächtigen unliebsam geworden sind. Im Roman Die Ruhe bildet Attila Bartis den Vorgang am Beispiel Ungarns vor der politischen Wende 1990 ganz schlicht ab: Da ihre Tochter Judit, eine virtuose Geigerin (Marion Reiser), ins westliche Exil flieht, straft man die Mutter in Budapest mit Berufsverbot. Subtiler: Auf Einwirken der Partei legt man der Starschauspielerin nahe, fürderhin nur mehr in Statistenrollen aufzutreten (anstelle von Titelrollen wie die der Shakespear'schen Kleopatra).

Bartis' Roman, 2001 geschrieben, schlug aus einem solchen Leben in Bedrücktheit die schärfsten Kanten. Am Landestheater Niederösterreich, wo die Bühnenfassung mit dem Titel Meine Mutter, Kleopatra in der Übersetzung Anna Lengyels nun Premiere feierte, ist das Zuhause der Familie als Käfig markiert (Bühne: Anni Füzér). Ein riesiges Gehege aus Maschendrahtzaun zieht sich auf zwei Etagen schräg über den Bühnenhintergrund. Die unwohnliche Beschaffenheit verkehrt die eigentliche Opulenz in ein Bild des Elends.

Vorn an der Rampe lehnt die Mutter, Rebekka Weér (Julia von Sell), in ihrem privaten King-Lear-Stuhl und lässt ihren schillernden Hausmantel hinter sich herflattern, wenn sie unwirsch in die Wohnung nach hinten stürzt. Ein schnöder Parteisekretär (Michael Scherff) hat sie auf dieses triste Königinnenreich verwiesen. Und hier herrscht sie nun zwangsläufig über sich und ihren Sohn Andor (Moritz Vierboom). In Hassliebe sind die beiden verbliebenen Familienmitglieder aneinandergekettet. Der Vater ging vor Jahren nach Amerika, Judit tourt durch Westeuropa. Rebekka und ihr Sohn haben ihre liebsten Menschen verloren und finden keinen Platz mehr im eigenen Land.

Róbert Alföldis Inszenierung treibt die Auswirkungen der politischen Repression bis zur Kenntlichkeit auf die Spitze. Denn der Zustand der Bedrohung gebiert Ungeheuer. Die Mutter projiziert ihre Ängste auf den Sohn; einerseits fürchtet sie, ihn zu verlieren, zum Beispiel an Eszter (Lisa Weidenmüller), andererseits, von ihm ins Heim abgeschoben zu werden. Dabei fechten Julia von Sell und Moritz Vierboom einen heftigen Psychokrieg zweier Gefangener aus, den Alföldi auf körperlicher Ebene schmerzhaft spürbar werden lässt. Ihre Zuneigungsversuche gleichen Akten der Selbstzerstörung.

Rasende Körper

Alföldi, bis Sommer 2013 Intendant am Ungarischen Nationaltheater und alles andere als ein Liebkind der aktuellen ungarischen Regierung (DER STANDARD berichtete), schiebt die Szenen geschickt ineinander. Manchmal tritt die Inszenierung auch auf der Stelle. Dennoch generiert die Wucht der Physis immer wieder neuen Sog. Alföldi treibt seine Schauspieler über Grenzen. Sie werfen ihre rasenden Körper ins Spiel und massieren ihre kaputtgemachten Herzen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 2.4.2014)