Gemischte Gefühle: Neben fröhlich (links) und angewidert (Mitte) hat auch "fröhlich angewidert" einen eigenen Ausdruck (rechts).

Foto: OSU

Washington/Wien - In seinem neuen Buch "Der Gefühlscode" (Hanser) verspricht der junge italienische Dramatiker und Neurowissenschafter Giovanni Frazzetto nicht mehr und nicht weniger als "die Entschlüsselung unserer Emotionen". In sieben Kapiteln geht es um Wut, Schuld, Angst, Trauer, Empathie, Freude und Liebe. Doch sind das auch schon alle wichtigen Gefühle? Und würden wir sie auch an den Gesichtern anderer Personen ablesen können?

In der wissenschaftlichen Erforschung der Gefühle, die in den vergangenen Jahren stark boomte, geht man traditionell von sechs allgemein anerkannten Emotionen aus, die sich auch im Gesicht widerspiegeln: Wut, Angst, Trauer, Freude, Ekel und Überraschung. Doch diese Zahl scheint weitaus zu gering angesetzt, behaupten nun Forscher um Aleix Martinez (Ohio State University) im Fachblatt PNAS.

Sie haben bei Experimenten mit 230 Männern und Frauen nämlich nicht nur für insgesamt sechs Gefühle, sondern auch für 15 "gemischte Gefühle" eindeutig zuordenbare Bewegungen der Gesichtsmuskeln gefunden. Das wiederum bedeute, "dass fast jeder Mensch diese 21 Emotionen auf die gleiche Art ausdrückt, zumindest in unserer Kultur", so Martinez.

21 Gefühle und Gefühlsmischungen

Für ihre Studie konfrontierten die Wissenschafter ihre Testpersonen zunächst mit imaginären Szenarien, die bestimmte Gefühle auslösten. Dabei fotografierten sie die Gesichter. Im Anschluss daran analysierten sie die rund 5000 Aufnahmen auf Veränderungen der Mimik - und kamen so auf die 21 Gefühle und Gefühlsmischungen, die mit typischer Mimik einhergingen.

Wenn sich die Teilnehmer beispielsweise glücklich fühlten, ging das nahezu bei allen mit hochgezogenen Wangen und einem Lächeln einher. Waren sie überrascht, öffneten 92 Prozent der Probanden ihre Augen weit und ließen auch den Mund offen. Bei der Gefühlsverbindung "glücklich überrascht" kam es bei 93 Prozent zu einer eindeutigen Kombination der beiden Mimiken. Sogar widersprüchliche Gefühlsregungen wie "fröhlich angewidert" (siehe Foto) lösten bei den Versuchspersonen ziemlich eindeutig identifizierbare Gesichtsausdrücke aus.

Basis der neuen Studie war das bereits 1978 entwickelte Facial Action Coding System (FACS), ein unter Psychologen weltweit verbreitetes Kodierungsverfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken. FACS war auch die Grundlage für den zweiten Teil der Studie, in dem die Forscher testeten, ob die sechs Gefühle und die 15 "gemischten Gefühle" auch für Computerprogramme lesbar sind.

Tatsächlich konnte auch die Software die sechs Grundgefühle zu 97 Prozent richtig entschlüsseln, und bei den 15 "gemischten Gefühlen" lag die Zuverlässigkeit immer noch bei 77 Prozent. Die Forscher erhoffen sich, dass die Software Autisten dabei helfen könnte, die Gefühle anderer Menschen besser zu erkennen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 2.4.2014)