Bild nicht mehr verfügbar.

Beim "kreativen Problemlösen" schneiden die österreichischen Schüler bei der Pisa-Studie nur mittelmäßig ab. Die Buben allerdings sind signifikant besser als die Mädchen.

Foto: APA/Schuh

Wien - "Mittelmaß" lautete das Ergebnis der ersten Pisa-Studie vor 13 Jahren. Und "Mittelmaß" steht auch in der neuen und für längere Zeit letzten "Schulnachricht" der OECD an Österreich: Unsere Schüler sind demnach mittelmäßige Troubleshooter. Denn das aktuelle Pisa-Zeugnis widmet sich dem Kompetenzbereich "Problemlösen", der bei der Pisa-Testung 2012 zum zweiten Mal nach 2002 (Rang 15) erhoben wurde und heute international präsentiert wird. Das nächste Pisa-"Zeugnis" kommt frühestens in fünf Jahren, denn nach dem Pisa-Test-Stopp durch Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) gibt es die nächste Gelegenheit, sich der größten internationalen Schülervergleich zu stellen, erst wieder im Jahr 2018, mit Ergebnissen 2019.

Sechs Punkte über dem OECD-Schnitt

Die Problemlösefähigkeit der hierzulande getesteten 15-Jährigen brachten einen Punktewert von 506 (exakt so wie 2002) ein, der liegt in unmittelbarer Nähe des OECD-Mittelwerts von 500 Punkten, was einem recht weiten Rangbereich zwischen Platz 13 und 22 von insgesamt 44 teilnehmenden OECD-Staaten und Partnervolkswirtschaften entspricht.

Ausschließlich am Computer getestet

Getestet wurden weltweit rund 85.000 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 16 Jahren, die Erhebung in diesem Bereich wurde - anders als in den Domänen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften - am Computer durchgeführt. In Österreich nahmen repräsentativ für die rund 93.000 Jugendlichen, die im Testjahr 2012 15 Jahre alt waren, 4756 Schüler teil. Aus der Stichprobe ausgeschlossen - und für die Grundgesamtheit entsprechend gewichtet - wurden 46 Schülerinnen und Schüler mit geistigen oder körperlichen Behinderungen oder wegen Sprachdefiziten.

Zu fünft in der "Durchschnittsfalle"

Mit seiner Landung im statistischen OECD-Mittelfeld teilt sich Österreich den Platz in der "Durchschnittsfalle" mit Norwegen, Irland, Dänemark und Portugal. Die Siegernation Singapur liegt mit 562 Punkten einen Punkt vor dem ersten OECD-Mitgliedstaat Korea, gefolgt von Japan - alle weit über dem OECD-Schnitt. Vier weitere ostasiatische Partnervolkswirtschaften (Macau, Hongkong, Schanghai und Chinesisch Taipeh) rangieren auf den Plätzen vier bis sieben. Erst dahinter kommen Kanada, Australien, Finnland als erstes OECD-Land auf Platz 10 bzw., wenn man nur die OECD-Staaten nimmt, auf Rang fünf, dann England (United Kingdom), Italien, Tschechien, Deutschland, USA und Belgien, die noch über dem OECD-Durchschnitt landeten.

"Das ganze Leben besteht aus Problemlösen"

"In modernen Gesellschaften besteht das ganze Leben aus Problemlösen", begründet die OECD dieses Kompetenzfeld. Konstante Veränderungen in Gesellschaft, Umwelt und Technologie machten Anpassungsfähigkeit, Lernbereitschaft, den Mut, Neues auszuprobieren, und die ständige Bereitschaft, aus seinen Fehlern zu lernen, zu unerlässlichen Voraussetzungen, um sich in einer "unvorhersehbaren Welt" bewähren zu können. Die Frage sei also, ob die Schule diese Kompetenzen auch vermittle. 

Um das zu erheben, wurden Testbeispiele entwickelt, die den Schülern Folgendes abverlangen: Wer "kreatives Problemlösen" beim Test zeigen wolle, müsse "Neuem gegenüber offen sein, Zweifel und Ungewissheit zulassen und es wagen, intuitiv vorzugehen, um einen Lösungsansatz zu finden", heißt es in der OECD-Analyse. Wobei, darauf wird extra hingewiesen, gute Pisa-Ergebnisse in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften nicht automatisch bedeuten, dass man auch im Problemlösen leistungsstark ist.

Fahrscheinautomat und Straßenkarte

Die Definition für "Problemlösen" lautet: "Die Fähigkeit, Prozesse kognitiv zu verarbeiten, um Problemsituationen zu verstehen und zu lösen, in denen die Lösungsmethode nicht unmittelbar auf der Hand liegt." Dazu wurden Situationen aus dem realen Leben simuliert.

Die Schüler mussten zum Beispiel an einem virtuellen Fahrscheinautomaten bestimmte Tickets kaufen, auf einer Straßenkarte die Dauer der schnellsten Route von A nach B herausfinden oder mit einem kaputten Elektrogerät zurande kommen.

"Trial and Error"-Methode

Am besten können das die 15-Jährigen in Korea und Singapur. Mehr als die Hälfte von ihnen (56 Prozent), aber nicht einmal ein Drittel (31 Prozent) der Schüler in OECD-Ländern, können zum Beispiel ein nicht funktionierendes elektronisches Gerät wieder funktionstüchtig machen. In jenen Ländern, die am schlechtesten abschneiden, können mehr als die Hälfte der Schüler nur sehr einfache Problemaufgaben lösen, und das auch nur mit der Methode "Trial and Error", also Versuch und Irrtum. In den beiden asiatischen Siegerländern gehören nur sieben Prozent der Schüler zu dieser niedrigen Kompetenzgruppe. Allerdings zeigt sich generell, warnt die OECD, dass selbst in den am besten abschneidenden Ländern eine bedeutende Zahl der 15-Jährigen nicht über die grundlegenden Problemlösekompetenzen verfügt, "die in der Welt von heute - ganz zu schweigen von morgen - für ein erfolgreiches Leben unerlässlich sind". 

Selbstständiges Lernen lernen

Warum die Schüler aus Ostasien in diesem Bereich so gut abschneiden, erklären die OECD-Analysten damit, dass die Schüler dort über ein "hohes Maß an schlussfolgerndem Denken und selbstständigem Lernen verfügen". Wenn es um die Lösung interaktiver Probleme geht, also wo es darum geht, sich aktiv nützliche Informationen zu beschaffen, indem die Situation analysiert und Feedback zur Wirkung eigener Schritte eingeholt wird, sind dagegen die Schüler in Brasilien, Irland, Korea und den USA besonders gut.  

Österreich punktet bei "Low Performern"

Die Mittelfeld-Leistungen der österreichischen Schüler sind übrigens allgemein etwas niedriger, als man angesichts der Pisa-Ergebnisse in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erwarten würde, heißt es im neuen OECD-Pisa-Bericht. Immerhin, ein positives Detail gibt es für Österreich: Es gibt anteilig weniger leistungsschwache Problemlöser als in den meisten anderen OECD-Ländern. Konkret bedeutet das: Bei den "Low Performern" unterbietet Österreich mit 18,4 Prozent den OECD-Schnitt  (21,4 Prozent) doch um einiges. 

Was die "Top-Performer" anbelangt, liegt Österreich mit 10,9 Prozent, die Level 5 oder 6 lösen konnten, allerdings auch knapp unter dem OECD-Schnitt (11,4 Prozent). Der finnische Vergleichswert weist 15 Prozent Spitzenleistungen aus, Korea (27,6 Prozent) und Singapur (29,3 Prozent) liegen auch hier weit vorne.

Signifikanter Vorsprung der Buben

Anders sieht es bei der Gender-Frage aus. Da ist der Vorsprung der Buben in Österreich (12 Punkte) mehr als eineinhalb mal so groß wie im OECD-Schnitt (7 Punkte), also signifikant höher. In der Bubengruppe sind die Leistungen aber auch breiter gestreut als bei den Mädchen. Die koreanischen Mädchen liegen übrigens 13 Punkte hinter den Buben. In Norwegen, Schweden, Slowenien, Montenegro, Finnland, Bulgarien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das Geschlechterverhältnis bei der Problemlösungsperformance übrigens umgedreht: in diesen Ländern haben die Mädchen bessere Ergebnisse als die Buben. 

Generell ist es laut OECD so, dass Schülerinnen und Schüler, die in den Fachgebieten Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften gut abschneiden, in der Regel auch beim Problemlösen gute Leistungen bringen und "auch mit ihnen nicht vertrauten Problemen in außerschulischen Kontexten klarkommen". Allerdings: Die Leistungen in den klassischen Schulfächern und im Bereich Problemlösen seien weder unter den Schülern noch den Schulsystemen identisch.

Lernchancen und vergebene Potenziale

In Ländern mit einem insgesamt hohen Leistungsniveau könnte ein über Erwarten gutes Abschneiden im Bereich Problemlösen darauf zurückzuführen sein, dass es diesen Ländern gelingt, "Lernchancen zu bieten, die die Schüler besonders gut auf die Bewältigung komplexer Probleme des realen Lebens vorbereiten, denen sie in der Schule gewöhnlich nicht begegnen", heißt es im Pisa-Bericht. Umgekehrt sei es als Indiz zu werten, dass ein Schulsystem in den Kernunterrichtsfächern nicht alle Potenziale seiner Schüler hebt, wenn diese Länder mit einem insgesamt niedrigen Leistungsniveau bei den "klassischen" Pisa-Studien plötzlich besonders gute Problemlösungskompetenzen ausweisen.  

Große Unterschiede zwischen Schulen

Interessant ist ein Blick auf die Unterschiede zwischen den Schulen, die messen, wie groß die "Schuleffekte" auf die Problemlösungskompetenzen der Schüler sind. Diese sind in Österreich größer als im OECD-Schnitt. Die OECD nennt als mögliche Gründe für diese Leistungsdifferenzen zwischen den Schulen: Selektionsmechanismen, die die Kinder in die Schulen zuweisen, unterschiedliche Leitungspraxis der Schulen und lokale "Schulkulturen", die sich im Schulalltag niederschlagen. Große Leistungsunterschiede zwischen den Schulen seien ein Signal für Segregation, schreiben die OECD-Analysten. 

Geringe Differenzen innerhalb der Schulen

Geringe "between-school variation" sei dagegen ein Indiz für ein inklusives Schulsystem, während die Leistungsdifferenzen innerhalb der einzelnen Schulen ein Zeichen für die Diversität der Schüler dort seien. Diese innerschulische Leistungsschwankung ist in Österreich geringer als im OECD-Schnitt, was dadurch erklärbar ist, dass die Schüler in zwei Gruppen - Gymnasien und berufsbildende Schulen - aufgeteilt werden.  

Der sozioökonomische Hintergrund der Schüler ist im Kompetenzbereich "kreatives Problemlösen" weniger prägend als bei den sonstigen Schulleistungen. Problemlösefähigkeiten würden offenbar auch in anderen, nicht schulbezogenen Kontexten erworben. 

Vergleicht man die Leistungen im Problemlösen von Schülern, die in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften ähnliche Leistungen erbracht haben, dann zeigt sich jedoch, dass jene, deren Eltern (Hilfs-)Arbeiter sind, in Österreich schwächere Leistungen als erwartet bringen im Vergleich zum OECD-Schnitt. In Frankreich, Kanada, USA, Schweden, Finnland, aber auch Deutschland gelingt es dagegen, dieser Schülergruppe bessere Leistungen zu ermöglichen, als aufgrund ihrer Schulleistungen eigentlich erwartet werden würde.

Effekte sozialer Benachteiligung

Die OECD hat sich auch angesehen, ob Schüler aus sozial benachteiligten Familien unterschiedliche Stärken und Schwächen beim Problemlösen haben im Vergleich zu solchen aus Familien mit höherem Sozialstatus. Die größten Unterschiede haben sich bei Beispielen aus den Bereichen "Erforschen und verstehen" sowie "Darstellen und entwerfen" gezeigt. Diese Bereiche hätten eher mit formaler Wissensaneignung und abstrakter Informationsverarbeitung zu tun. Österreich gehört zu jenen Ländern, neben Italien, Singapur, Kanada und den USA, wo sich eine größere Kluft als erwartet aufgetan hat zwischen statushöheren und -niedrigeren Schülern, die "Erklären und verstehen"-Probleme lösen sollten. Die Wahrscheinlichkeit, so eine Aufgabe zu lösen, ist für Kinder, deren Eltern besser ausgebildet sind und bessere Jobs haben, 1,2 mal so groß wie für jene, deren Eltern Arbeiter sind. 

Bei Aufgaben aus den Bereichen "Beobachten und reflektieren" sowie "Planen und ausführen" sind die Leistungsunterschiede je nach sozialer Herkunft geringer. Die Performance-Gap zwischen Higher-Status- und Lower-Status-Schülern ist in Schanghai, der Türkei, Österreich, Hongkong, Kanada, Singapur, Italien und Chile deutlich kleiner bei Aufgaben, bei denen es um "Ziele setzen, Plan machen und ausführen" geht, als bei den anderen Problemlösungskategorien. Eine Erklärung, die die OECD für diese unterschiedlichen Performance-Profile nennt, ist, dass diese Schüler "mehr Möglichkeiten haben, Problemlösungskompetenzen innerhalb und außerhalb der Schule zu erwerben", weil sie es zum Beispiel bei ihren Eltern und deren Arbeitsplatz sehen.

In Deutschland schneiden Migranten besser ab

Jugendliche mit Migrationshintergrund haben beim Problemlösen im OECD-Schnitt um 32 Punkte weniger erreicht als jene ohne Migrationshintergrund. Und wer aus einer Familie mit Migrationserfahrung kommt, ist fast doppelt so gefährdet, zu den schwachen Problemlösern zu gehören, wie Schüler, deren Eltern beide in Österreich geboren sind. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie zum Beispiel Israel, Singapur, Australien oder Macau/China, wo Migranten sogar bessere Werte erreichen. Auch in Deutschland gelingt es, dass Migranten besser abschneiden, als die Pisa-Fächertests erwarten lassen würden.

Dass Schüler, die auch zu Hause einen Computer haben, besser beim Pisa-Problemlösetest, der am Computer durchgeführt wird, abschneiden, ist ebenso wenig überraschend wie die Tatsache, dass sozioökonomisch bessergestellte Familien eher einen Computer daheim haben. (Lisa Nimmervoll, derStandard.at, 1. April 2014)