Wladimir Putin hat in Ankara angerufen und dem Premier zum Sieg bei den Kommunalwahlen gratuliert. Man sieht schon: Die türkische Politik und ihr alles dominierender Regierungschef Tayyip Erdogan sind mittlerweile aus der europäischen Rationalität hinausrotiert. Wahlsiege in Serie trotz Korruptionsvorwürfen, Internetzensur und Aushebelung der demokratischen Gewaltenteilung fordern die Vernunft heraus. Aber Wladimir Putin regiert ähnlich in Russland. Hugo Chávez hat es länger als ein Jahrzehnt in Venezuela vorgemacht.

Politiker der konservativ-islamischen AKP in der Türkei haben es angekündigt, und genau so ist es auch gekommen: Die monatelangen kompromittierenden Enthüllungen über Machtmissbrauch und angebliche korrupte Praktiken haben die Unterstützung für den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan nur gefestigt. Der Versuch der Justizermittlungen ist zum Bumerang geworden. Eine große Mehrheit der Türken glaubt die Mär vom ausländischen Komplott und von den Nationen, die sich gegen das Land verschworen haben.

Man mag es auf den niedrigen Bildungsstand schieben, dass viele in der Türkei nichts dabei finden, wenn ein Regierungschef sich telefonisch bei Fernsehdirektoren und Zeitungsherausgebern meldet und Konsequenzen für Berichte fordert, die ihm nicht gefallen. Dass erwachsene Türken treuherzig sagen: Schon möglich, Erdogan und seine Minister haben "gestohlen" - aber dann sicher nur für einen guten Zweck. Schließlich gibt es doch jetzt all die Flughäfen, Hochhäuser und Hochgeschwindigkeitszüge im Land.

Doch es gibt auch andere Gründe für Erdogans jahrelangen Siegeszug. 87 Prozent der Wähler sind am Sonntag an die Urnen gegangen. Nirgendwo in Europa glauben die Bürger so an ihre Stimme. Regierung wie Opposition haben ihre Anhänger mobilisiert, und das Ergebnis ist deutlich: Die Mehrheit will Erdogan und das Versprechen von wirtschaftlicher Stabilität und nationaler Größe. Selbst die Wahl eines Kleinstadtbürgermeisters wird da zur Loyalitätsfrage gegenüber dem Premier in Ankara.

Trotzdem ist nun vieles anders: Erdogans Triumph bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag ist nicht wie der Triumph bei den Parlamentswahlen vor drei Jahren. Das ähnliche Ergebnis täuscht. 2011 waren die Konservativ-Religiösen wegen ihres Versprechens einer neuen demokratischen Verfassung gewählt worden; 2014 wegen der angeblichen Bedrohung des Staats durch dunkle Mächte. Längst mischen sich Demokratie und Demagogie. Erdogan ist vom Reformpremier zum Rächer in eigener Sache geworden. Mehr, nicht weniger autoritäre Führung kommt.

In knapp vier Monaten ist wieder Wahl in der Türkei. Dann geht es um das Amt des Staatspräsidenten. Erdogans Sieg ist nun so hoch ausgefallen, dass er an seinem ursprünglichen Plan festhalten könnte, sich zum Präsidenten wählen lässt und seine Macht ins neue Amt mitnimmt. Staatschef Abdullah Gül wird den Platz räumen, wenn Erdogan es will. Ein Oppositionskandidat, der es mit Erdogan aufnehmen kann, ist nicht in Sicht.

Für die Türkei kündigen sich schwierige Zeiten an. Ein Regierungschef, der einem Teil der Gesellschaft den Kampf angesagt hat, ist eine schlechte Wahl für das Amt des Präsidenten. Erdogan aber wird sich nach diesen Kommunalwahlen noch unbesiegbarer fühlen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 1.1.2014)