Cholesterin in seiner puren Form.

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Ein zu viel davon führt zu Arteriosklerose, in weiterer Folge oft auch zu Herz-Kreislauf-Problemen.

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Wien - Europäische und US-amerikanische Kardiologen streiten sich, wie ein zu hoher Cholesterinspiegel am besten therapiert wird. Ginge es nach den Amerikanern, würden viel mehr Patienten einen Cholesterinsenker bekommen, und zwar in der höchsten Dosis. Als im November die Amerikanische Herzgesellschaft (AHA) und die Amerikanische Akademie für Kardiologie (ACC) neue Leitlinien zur Cholesterinsenkung herausgaben, entzündete sich eine kontroverse Debatte. Nicht nur europäische Mediziner kritisieren AHA und ACC, auch einige amerikanische Experten halten wenig von deren Entscheidung.

Ziel einer Cholesterintherapie ist dies- und jenseits des Atlantiks das Gleiche: Es geht darum, Arteriosklerose und damit verbundene Komplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu vermeiden. Einig sind sich die Experten auch darin, dass dafür das LDL-Cholesterin im Blut gesenkt werden muss, denn das verursacht die Arteriosklerose.

Bis vor kurzem verfolgten Europäer und Amerikaner dabei auch die gleiche Strategie: Je nachdem, ob der Patient noch weitere Risikofaktoren für Herzinfarkt oder Schlaganfall hat, zum Beispiel Rauchen oder Bluthochdruck, braucht der Patient einen Cholesterinsenker (Statin). Der sollte das Cholesterin auf definierte LDL-Zielwerte senken. Je höher das Risiko, desto niedriger die Zielwerte.

Auffassungsunterschiede

Die Therapie an LDL-Zielwerte anzupassen, damit soll nach den neuen US-Leitlinien nun Schluss sein. Die Autoren der Leitlinie haben nach ausführlichem Studium der Literatur vier Patientengruppen identifiziert, bei denen Statine mehr nützen als sie Nebenwirkungen verursachen: erstens diejenigen mit manifester Herz-Kreislauf-Krankheit, also beispielsweise verengten Herzkranzgefäßen.

Zweitens Menschen mit stark erhöhten LDL-Werten über 190 Milligramm pro Deziliter (mg/dl). Drittens Diabetiker mit LDL-Werten von mehr als 70 mg/dl. Viertens Personen mit mehr als 70 mg/dl, die nach einem neuen Risikorechner ein hohes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall haben. Weil in keiner der analysierten Studien die Cholesterindosis nach LDL-Zielwert verschrieben wurde, verzichteten die Autoren darauf in ihrer Leitlinie. Die Statindosis soll nun abhängig vom Ausgangsrisiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall gewählt werden: bei hohem Risiko eine "hochintensive" Statintherapie, bei geringerem Risiko eine niedrigere Dosis.

Bei den Europäern stößt die neue Leitlinie auf Kritik. "Ich halte die neue Leitlinie für unglücklich, um es vorsichtig zu formulieren", sagt Christoph Binder, Professor für Arterioskleroseforschung an der Med-Uni Wien. "Es ist zwar richtig, dass es keine Studien gibt, in denen die Statintherapie nach den Zielwerten dosiert wurde. Aber man kann nicht einfach die vielen Studien mit insgesamt mehr als 160.000 Teilnehmern ignorieren, die belegen, dass ein Absenken des LDL-Spiegels Herz-Kreislauf-Krankheiten effektiv verhindert." 

Unterschiedliche Wirkung

Dieser Meinung ist auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC): Natürlich könne man argumentieren, dass man auf Zielwerte oft von anderen Studien aus schließen würde. Sie würden aber auch bei anderen Krankheiten angewendet, etwa bei Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes. "Zielwerte haben viele Vorteile", sagt Binder. Zum einen motivierten sie die Patienten, weil diese am Absinken von Blutdruck, Blutzucker oder eben LDL-Wert erkennen könnten, dass die Therapie hilft.

"Außerdem wirken die sieben zurzeit erhältlichen Statine bei jedem etwas anders. So können Ärzte das Präparat aussuchen, das am besten wirkt und am wenigsten Nebenwirkungen verursacht." Binder kritisiert zudem an der neuen Leitlinie, dass keine anderen Cholesterinsenker mehr empfohlen werden. "Bei manchen Patienten, etwa bei erblich bedingtem erhöhtem Cholesterinspiegel, bieten sich eher andere Medikamente oder Kombinationen an."

Franz Eberli, Professor für Kardiologie in Zürich, kritisiert wie viele seiner Kollegen den neuen von AHA und ACC vorgeschlagenen Risikorechner. "Der scheint bei vielen Menschen ein hohes Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle vorauszusagen. Demnach würden viel mehr Menschen ein Statin nötig haben als mit dem europäischen Risikorechner." Mehr als 45 Millionen Amerikaner, so schätzen die Kardiologen Paul Ridker und Nancy Cook aus Boston, würden als Zielgruppe für eine Statintherapie in Betracht kommen.

Vorwürfe

Als das neue Scoringsystem bekannt wurde, sollen manche der AHA vorgeworfen haben, sie sei von der Industrie gekauft. Die AHA empfiehlt nun fast allen Menschen ab einem bestimmten Alter, vorbeugend Statine einzunehmen, auch wenn sie noch keine Krankheit an Herz oder Gefäßen hatten. Das bringt der Pharmaindustrie Milliardengewinne. "Ich glaube das nicht, viel eher wollte die AHA eine maximale Prävention erreichen und hat in meinen Augen über das Ziel hinausgeschossen", sagt Eberli.

Bedenklich findet Eberli das höhere Risiko für mögliche Nebenwirkungen, die mit höherer Statindosis häufiger auftreten: "Wir fürchten am meisten Leber- oder Muskelschäden", sagt Eberli. Einige Patienten bekämen bei körperlicher Belastung so starken Muskelkater, dass sie das körperliche Training stoppen.

"Damit erhöht sich ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten - ein Teufelskreis. "Außerdem klagen viele über Unwohlsein, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit. Ändern wird Eberli seine Therapiestrategie nicht, wie es auch die ESC empfiehlt: "Unsere Leitlinien haben gut funktioniert", heißt es dort. "Sie passen besser für Europa." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 2.4.2014)