Im Moment, da die Uniformen Kostüme werden und die Waffen in den Händen von Schauspielern landen, ist der Krieg erst wirklich vorbei. Da werden die Krieger Helden, und man baut ihnen Statuen und Denkmäler.

Foto: Michael Glawogger

Der renommierte österreichische Dokumentarist Michael Glawogger ("Megacities", "Workingman's Death" und "Whores' Glory") ist für sein nächstes Filmprojekt ohne vorgefertigtes Konzept zu einer rund einjährigen Reise aufgebrochen. derStandard.at bringt alternierend mit Süddeutsche.de Tagebücher in Form von kleineren Geschichten, die von diesem filmischen Experiment erzählen. Die Beiträge sind im Stil der Geschichten des Buches "69 Hotelzimmer" geschrieben, das 2015 in "Die Andere Bibliothek" erscheinen wird.

foto: liz pompe

"My name is Osama Bin Laden", verkündete der großgewachsene junge Mann. Er sagte dies ohne Stolz, aber auch ohne jede Ironie, sondern einfach so, wie man sagt: "Hallo, ich heiße Goran". Er schüttelte ihm die Hand und erkundigte sich, wie es sich gehört, nach dem Befinden. "Da body fine" verkündete Osama und lächelte strahlend. Er lebte in einer kleinen Wohnung auf der Kissy Road und verkaufte Schuhe. Sein Freund Al Quaida hingegen war ein "Bad Boy" – er erledigte kleine Aufträge für die lokale Straßenverkäufervereinigung und ließ da schon auch mal die Fäuste sprechen oder Schlimmeres. Aber das hatte nichts mit seinem Namen zu tun. So hieß er einfach. Al Quaida war eben gefürchtet, wie nur Al Quaida gefürchtet sein kann. Michael Jordan, ein kleiner, gedrungener Mann, der nur aus Muskeln zu bestehen schien und gekleidet war wie ein Gangsta-Rapper, hatte einige Mühe, mit der linken Hand seine Hose immer in der richtigen Position knapp unter seinen Hüften zu halten und sie nicht zu verlieren, als er mit ihm einschlug. Überraschenderweise waren heute alle "fine" und strahlten, was das Zeug hielt. Wenn er irgendetwas brauchen würde, wurde ihm versichert, sei er bei Bin Laden, Al Quaida und Air Jordan an der richtigen Adresse. Er brauchte gerade nichts, nahm sich aber vor, bald etwas brauchen zu wollen, angesichts dieses illustren Kreises.

Nur zwei Tage später brauchte er einen Kontakt zu Jean Claude Van Damme, kurz Van Damme genannt. Van Damme war zur Zeit des Krieges ein Kämpfer gewesen und strahlte noch immer Autorität und Brutalität aus. Er hatte, wie alle seines Berufsstandes, am Ende des Krieges für seine Waffen Geld und einen Job bekommen. Heute kontrolliert Van Damme eine Wasserquelle, die mitten in East Freetown aus dem Berg sprudelt. Er sitzt den ganzen Tag auf den Steinen neben dem Wasser und schaut seinen Boys auf die Finger, ob sie wohl die langen Schlangen der Frauen, die sich hauptsächlich Montag und Freitag um Wasser anstellen, ordentlich bedienen, und dass von dem kassierten Geld auch nichts verloren geht. Van Damme hatte im Unterschied zu Bin Laden und Jordan kein Lächeln für ihn übrig, sondern sah aus, als hätte er sein Lächeln irgendwo liegengelassen –  in den neunziger Jahren oder schon in seiner Kindheit. Dafür war er ja auch Van Damme und nicht irgendeiner der fröhlichen Menschen, die dieser Stadt ihr aus allen Fugen quellendes Leben einhauchen.

Er saß mit Van Damme eine Weile auf den Steinen neben der Quelle und schaute schweigend den Frauen zu, wie sie warteten, bis ihre gelben Plastikkanister gefüllt waren, und sie diese dann auf dem Kopf balancierend den steilen Abhang hinuntertrugen. Van Damme schien immer woandershin zu schauen. Wollte man aus den Augenwinkeln überprüfen, worauf er gerade schaute, war das nicht auszumachen. Er sah wohl etwas, was andere nicht sahen. Großen Kämpfern wie Stallone oder JCVD war es eigen, dass sie so spielten, als würden sie etwas sehen, das andere nicht sehen konnten. Und sie sahen auch mehr als andere Menschen. Es lief ihm kalt über den Rücken, als er hier saß und versuchte, dorthin zu schauen, wo Van Damme hinschaute.

"The Devil in Freetown"

Hatte Van Damme Kinder geopfert und Menschenherzen gegessen wie General Butt Naked in Liberia? War er nackt mit einer Pistole durch den Dschungel gelaufen, um seine Gegner zu töten? Hatte er mit dem Satan gesprochen? Möglich. Er hatte wohl Dinge gesehen, die man nicht unbedingt besprechen musste. Man muss gar nicht sprechen, schien er zu sagen, indem er schwieg. Man tut etwas, und dann ist es getan, und andere sind am Zug. Oder am Abzug. Hier in Sierra Leone gibt es Menschen, die sagen, sie könnten verschwinden, sich einfach in Luft auflösen, wenn sie es nur wollten. Und es gäbe welche, die verschwinden, ohne es zu wollen. Aber getanzt wird am Samstag. Oft auch am Mittwoch. Länder in den ersten zehn oder zwanzig Jahren nach einem heftigen und vielleicht unerklärlichen Krieg befinden sich in einer Art Schwebezustand, schien Van Damme zu sagen – da wird erst einmal gefeiert, die Zukunft verhandelt und die Gegenwart zelebriert. Erst dann dreht sich der Blick Richtung Vergangenheit. In zwei Tagen soll hier ein Film anlaufen, der "The Devil in Freetown" heißt. Er handelt von der Rückkehr der Rebellen in die Hauptstadt. Er sah den Film vor sich, als er mit Van Damme schweigend in Richtung Meer schaute. Es war dunkel geworden, die Generatoren fuhren hoch, und der einzige helle Fleck war ein grell beleuchtetes Tankschiff am Horizont. Die Hunde begannen, wie wild zu bellen und zu raufen. Man konnte sie winseln und Knurren hören. Territorien wurden da erkämpft.

Im Moment, da die Uniformen Kostüme werden und die Waffen in den Händen von Schauspielern landen, ist der Krieg erst wirklich vorbei. Da werden die Krieger Helden, und man baut ihnen Statuen und Denkmäler. Neue Kriege bringen neue Helden und neue Statuen. Um die Jahrtausendwende hatte man in Serbien und Bosnien genug von den alten Partisanendenkmälern gehabt. Sie wurden umgeworfen und zerstört, aber die Sockel blieben stehen, und so hatten Plätze und Parks etwas Unfertiges. Neue Helden mussten her. Man konnte sich aber auf niemanden aus der jüngeren Geschichte einigen – zu unterschiedlich waren die Ansichten, wer es verdienen würde, für die nächste Ewigkeit in Stein gehauen zu werden. Heute hebt Rocky Balboa steinerne Fäuste in Zitiste, Bruce Lee steht seinen stählernen Mann in Mostar, und man munkelt sogar von einer Samantha Fox aus Marmor in Cacak. Es gibt Gerüchte, dass die schon wieder gestürzt oder gar nie fertiggebaut worden wäre, weil die echte Samantha Fox nicht mehr die Samantha Fox war, die der Bürgermeister einst als Poster in seinem Jugendzimmer hängen gehabt hatte. Der einzige, der bisher alle Zeiten überdauert hat, ist Mao Tse Tung. Seine Statue in Shenyang ist zu groß, um zerstört zu werden.

Van Damme gab ihm seine Telefonnummer, und sie verabredeten sich für den nächsten Montag. Er freute sich, denn er schwieg gerne mit Van Damme, so wie er gerne mit Bin Laden und Jordan kiffte. Man kann nicht mit jedem alles machen. Er, Bin Laden und Jordan beschlossen, noch ins Kino zu gehen. Al Quaida wollte nachkommen. Der Saal war komplett voll, und drinnen hatten sich die Gemüter vor der Vorstellung schon erhitzt. Es war laut, und zusätzliche Sessel wurden gebracht. Die Vorstellung begann, und es lief Real Madrid gegen Barcelona. Es versprach, spannend zu werden – spannender als anderswo. Spannender als in Madrid im Stadion, spannender als am Computer oder im Fernseher in seinem Hotelzimmer. Er sah, dass Cristiano Ronaldo schon zu Lebzeiten aussah wie seine eigene Statue. Er hob die Hände zum Jubel, als wären sie aus Stein.

Wieder sah er General Butt-Naked vor sich. Diesmal als Staue, mit nacktem Arsch, in der einen Hand eine Pistole, in der anderen ein Menschenherz. Er nahm sich vor, Van Damme zu fragen, ob er Butt-Naked je persönlich getroffen habe. Der Film endete mit 4:3 für Barcelona. (Michael Glawogger, derStandard.at, 31.3.2014)