Noch im Abgang von der politischen Bühne präsentiert sich der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin in Höchstform, so, wie wir ihn nun seit Jahren in seiner Selbstinszenierung als angeblicher "Rächer der Enterbten" und des Missbrauchs von EU-Geldern kennen: rechthaberisch, selbstverliebt, als Opfer böser Mächte, uneinsichtig gegenüber den eigenen Fehlern.

Schuld sind beim Ego-Typ Martin grundsätzlich die anderen. Er selber habe immer nur das Gute gewollt, für Recht, Demokratie und Gerechtigkeit gekämpft. Und für eine bessere Europäische Union. Angeblich. Das Interview, das er Armin Thurnher im "Falter" gab, ist diesbezüglich ein Gustostückerl des Martinismus: Kein Journalist könnte den früheren Journalisten so nachdrücklich beschreiben oder zeichnen wie Hans-Peter Martin selbst, wenn man ihn über sich und seine Arbeit reden lässt.

Abgangsinszenierung

Wobei die von ihm gewählte Abgangsinszenierung natürlich dazugehört. Er landete noch im Scheitern einen kleinen Coup, indem er in Brüssel unter seinen Abgeordnetenkollegen bis zuletzt ausstreute, dass er bei der EU-Wahl wohl antreten werde, und für Mittwoch eine Pressekonferenz zum "Thema: EU-Wahl" ankündigte – um dann tags davor via "Falter" den Rückzug zu erklären. Ätsch, mag er sich gedacht haben. Alle reingefallen.

Besonders pikant daran ist, dass er Thurnher (leider unwidersprochen) die Saga auftischte, ausgerechnet der ORF sei verantwortlich dafür, dass er aufhöre und auf EU-Ebene nun nicht mehr gegen die erstarkten Rechtsextremen weiterkämpfe. Der Küniglberg habe ihm öffentlichkeitswirksame Auftritte versagt, die Medien hätten ihn totgeschwiegen. Das klingt ein wenig grotesk: Denn der ORF versuchte bis zuletzt, Martin in Debattensendungen mit den EU-Kandidaten einzuplanen, weil man davon ausgehen musste, dass er weitermacht. Sogar eine "Pressestunde" mit ihm stand in Aussicht, aber er wollte partout nicht offiziell bekanntgeben, was er zu tun gedenke.

Verdienste erworben

So wirkt auch dieser Teil der Erklärungen des Rebellen geflunkert. Wie so vieles, was er in seiner Zeit als EU-Abgeordneter getan hat, in der er sich ganz auf das Aufdecken von Missbräuchen und der Verschwendung von EU-Mitteln konzentriert hatte - und auf das Aufzeigen des Einflusses von Lobbyisten bei der EU-Gesetzgebung. Dabei hat er sich durchaus Verdienste erworben, oft freilich mit seltsamen Mitteln, wenn er Abgeordnete zum Beispiel in persönliche Gespräche verwickelte und das dann mit Knopflochkamera aufnahm, um es an die Medien weiterzuspielen. Mit solchen Methoden hat er über die Jahre das Vertrauen im Europäischen Parlament nachhaltig verspielt. Niemand wollte am Ende mit HPM etwas zu tun haben.

Am meisten Kredit verspielte er aber, als sein Ex-Assistent und -Vertrauter Martin Ehrenhauser aufdeckte, Martin habe hunderttausende Euro, die er als Wahlkampfkostenersatz bekam, für sich (Stichwort: Privatwohnung als Büro), für seine Frau und einen engen Freund ausgeben. Der Abgeordnete bestritt alles kategorisch, bis heute. Aber er verweigert ebenso bis heute jeden Einblick in seine Finanzgebarung, sagt, dass alles erklärbar sei. Kritische Journalisten putzt er ab.

Saubermann-Image

Sein Saubermann-Image hat er damit auch selbst zerstört, und wer weiß, vielleicht will er sich ja auch deshalb einen Wahlkampf ersparen, weil all diese Geschichten damit wieder ein öffentliches Thema werden würden. Der Hauptgrund für den Rückzug liegt aber bei der "Kronen Zeitung". Diese bescherte ihm mit einer einmaligen Unterstützung und Kampagne einen grandiosen Wahlsieg, mehr als 17 Prozent Wähleranteil und drei Mandate. Gemacht hat er daraus wenig, mit seinen Mitstreitern Ehrenhauser und Angelika Werthmann hat er sich total zerstritten. Mit einer solchen Unterstützung durch die "Krone" konnte er diesmal nicht rechnen.

Bleibt die Frage, wohin diese gut 500.000 Wähler, die 2009 ihr Kreuzerl bei Martin machten, diesmal wandern werden. Zur Anti-EU-Partei FPÖ? Zu den Nichtwählern? Zu den neuen Neos? So ganz klar ist das nicht beim schrägen politischen "Gesamtkunstwerk" HPM. Er hat unterschiedlichste Wähler angesprochen. Wahlforscher beziehungsweise -prognostiker möchte man bei dieser EU-Wahl nicht sein. (Thomas Mayer, derStandard.at, 26.3.2014)