Olusegun Obasanjo ist am Mittwoch und Donnerstag in Wien zu Gast bei einer Konferenz, auf der sich ehemalige Staats- und Regierungschefs und Vertreter der Weltreligionen mit ethischen Prinzipien im politischen Handeln von Staatenlenkern befassen. Die Konferenz, zu der Österreichs Ex-Kanzler Franz Vranitzky lädt, kann mit Namen wie Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing aufwarten.

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"Die zentrale Frage ist immer die nach den Gründen dafür, warum Terrorismus entsteht". Olusegun Obasanjo, Ex-Präsident Nigerias, bezweifelt im Interview mit derStandard.at, dass religiöser Fundamentalismus der Hauptgrund für Terrorismus in Nigeria ist. Soziale Probleme wie Armut und Perspektivenlosigkeit seien die Grundlagen für Terrorismus. 

Mittlerweile habe das Problem des Terrorismus in Nigeria und der gesamten Sahelzone eine internationale Dimension, die auch die Sicherheit der EU bedrohe. Dass sich die EU-Mission in der Zentralafrikanischen Republik derzeit verzögert, hält Obasanjo für kein massives Problem. Wichtiger als rasches militärisches Einschreiten sei es, zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit "die Afrikaner selbst in Krisenherden eingreifen können". Die Korruption in Nigeria, der er als Präsident den Kampf angesagt hatte, müsse weiterhin "eisern" bekämpft werden. "Sobald man die Anstrengungen verringert, hat man schon verloren."

derStandard.at: Sie waren bis 2007 acht Jahre lang Präsident Nigerias und haben dabei auch den Kampf gegen die massive Korruption zum Thema gemacht. Nigeria belegt im Korruptionswahrnehmungsindex derzeit Platz 144 von 175.

Obasanjo: Als ich 1999 Präsident wurde, war Nigeria in diesem Ranking an vorletzter Stelle. Als ich nach acht Jahren das Amt übergab, haben wir uns um mehr als 40 Ränge verbessern können. Das hat danach wieder etwas variiert, aber trotzdem hat sich Nigeria massiv verbessert. Es braucht sehr viel Zeit, eine im Alltag derart verankerte Sache wie Korruption auch tatsächlich nachhaltig zu bekämpfen. Ich habe eine Antikorruptionsbehörde eingesetzt und eine gegen institutionelle Kriminalität. Man muss im Staat auf der höchsten Ebene beginnen, es darf auf Regierungsebene keine Schlupflöcher geben. Der Widerstand ist groß, denn natürlich gibt es zahlreiche Gruppen auf allen Ebenen, die den Status quo beibehalten wollen. Sobald man aber die Anstrengungen verringert, hat man schon verloren.

derStandard.at: Nigeria konnte seine reichen Ölvorkommen bisher nicht gegen die massive Armut nutzen. Die Menschen profitieren nicht von den Öleinnahmen. Im Gegenteil, teilweise zerstört die umweltschädliche Ölproduktion sogar ihre Lebensgrundlage. Nun wurde Notenbankchef Lamino Sanusi von Präsident Goodluck Jonathan entlassen, weil er anhaltend die Korruption in der Ölbranche anprangerte.

Obasanjo: Ich würde nicht sagen, dass die Menschen gar nicht von den Öleinnahmen profitiert haben, sie profitierten nur nicht in dem Ausmaß, in dem sie profitieren sollten. Das liegt natürlich an Korruption und Misswirtschaft und schlechter Staatsführung. Sanusi war ein Whistleblower, was aber Teil seines Jobs ist. Er muss darauf aufmerksam machen, dass die staatlichen Einnahmen aus der Ölbranche höher sind als das, was offiziell angegeben wird. Sanusi sprach von einem Fehlbetrag von 20 Milliarden Dollar. Goodluck meinte, es seien nur zehn Milliarden, und warf ihm vor, nicht korrekt zu arbeiten. Wenn er dafür suspendiert wird, dann ist das für mich mehr als verwunderlich.

derStandard.at: Kann man politisch überhaupt erfolgreich sein, ohne sich dem Korruptionssystem zu beugen? Was raten Sie jungen Politikern, die integer bleiben wollen?

Obasanjo: Es gibt keine Alternative zu Integrität und Ehrlichkeit. Es ist für alle Politiker weltweit, aber besonders für afrikanische Poltiker wichtig, in dieser Sache klar und eisern zu bleiben. Auch wenn das nicht gerne gehört wird, am Ende des Tages wird sich das auszahlen. Im Fall Sanusis gehe ich davon aus, dass nach eingehenden Untersuchungen klar wird, dass Sanusi in der Sache recht gehabt hat.

derStandard.at: Ein weiteres massives Problem ist der Terrorismus vor allem im Nordosten Nigerias. Vor wenigen Tagen wurden erneut zahlreiche Menschen bei einem Bombenanschlag getötet. Die islamische Extremistengruppe Boko Haram versucht seit Jahren, den Staat zu unterminieren. Gibt es kein Rezept dagegen, oder ist die Regierung zu schwach?

Obasanjo: Die zentrale Frage ist immer, was sind die Gründe dafür, dass Terrorismus entsteht? Ist es Armut, Arbeitslosigkeit, fehlende Bildung, religiöser Fundamentalismus, Rache, Drogenhandel, oder ist es politisch? Und wenn politisch, was will man erreichen? Erst wenn man Antworten auf diese Fragen hat, hat man einen Ansatzpunkt für eine Lösung. Natürlich kann Armut oder Arbeitslosigkeit nicht über Nacht verschwinden, aber man kann und muss beginnen, Maßnahmen zu setzen. Die Regierung begegnet dem Problem des Terrorismus nur mit Gewalt. Man muss allerdings die Politik von Zuckerbrot und Peitsche anwenden, um etwas zu erreichen.

derStandard.at: An welcher Stelle steht religiöser Fundamentalismus in Ihrer Liste? Schließlich gibt Boko Haram an, für einen islamischen Gottesstaat und gegen westlichen Einfluss zu kämpfen.

Obasanjo: Religiöser Fundamentalismus ist nur ein Element, kein Hauptgrund. In zwölf nigerianischen Bundesstaaten ist die Scharia bereits verfassungsrechtlich verankert, das ist also nichts Neues (seit 1999, Anm.). Was mir größere Sorgen macht, sind die sozialen Probleme und die kriminellen Strukturen. Was den religiösen Aspekt betrifft, haben natürlich auch die Religionsführer eine wichtige Rolle zu spielen. Und zwar aller Religionen.

derStandard.at: Terrorismus ist kein rein nigerianisches Problem. Das Problem zieht sich durch die gesamte Sahelzone.

Obasanjo: Das nigerianische Problem hat zwar als regionales Phänomen begonnen, ist aber mittlerweile ebenfalls ein internationales. Boko Haram hat in den vergangenen Jahren seine Verbindungen zu anderen Terrorgruppen ausgebaut. Für die gesamte Sahelzone gilt: Der Terrorismus in der Region ist längst kein rein afrikanisches Problem mehr, sondern eine Sache der internationalen Sicherheit und der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität.

derStandard.at: Sie haben auch deshalb die Intervention Frankreichs in Mali begrüßt?

Obasanjo: Ja, das habe ich. Ich habe sogar dazu geraten. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn die Afrikaner zuerst eingeschritten wären, um dann um Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu bitten.

derStandard.at: Wie sehen Sie im Speziellen die Rolle der Europäischen Union?

Obasanjo: Die europäischen Länder haben natürlich dahingehend eine Verantwortung, dass sie international ein viel größeres politisches Gewicht haben als die afrikanischen Länder oder die Afrikanische Union. Vor allem was wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit betrifft, sollten die afrikanischen Länder nicht alleine gelassen werden. Das ist nicht nur gut für Afrika, denn in der Zeit, in der wir leben, hängt alles mit allem zusammen. Kein Land, keine Region steht nur für sich allein. Afrikanische Führer sollten natürlich dazu ermutigt werden, die Hauptverantwortung für ihre Länder zu tragen, können aber eine helfende Hand brauchen.

derStandard.at: Eine helfende Hand könnte auch in der Zentralafrikanischen Republik gebraucht werden. Die EU hat zwar eine Militärmission beschlossen, die verzögert sich allerdings ständig.

Obasanjo: Ich glaube, dass die Europäische Union hier nichts überstürzen muss. Wichtiger ist es, von Beginn an Ressourcen zur Verfügung zu stellen, sodass die Afrikaner selbst in den Krisenherden eingreifen und Verantwortung übernehmen können. In Sierra Leone, in Darfur, im Sudan waren afrikanische, nigerianische Truppen als Erste zur Stelle. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 27.3.2014)