Die Insel Chodo liegt im Süden, abgelegen von den anderen Inseln.

Foto: googlemaps

Ein Großteil der südkoreanischen Gesellschaft (ca. 85%) lebt in urbanen Räumen und Megastädten (Seoul ist mit anderen Millionenstädten wie Incheon und Seongnam zusammengewachsen, die Hälfte der 50-Millionen Bevölkerung Südkoreas lebt in diesem Ballungsraum), in denen Sardinen Trainingseinheiten ableisten, bevor sie dann in Konservendosen leben. Die Adaptionsrate von Sardinen in den Konservendosen ist nach Ableistung der zertifizierten Trainingseinheiten signifikant höher, der Zufriedenheitsfaktor der Sardinen liegt laut Umfragen bei 9%, eine Steigerung um das vierfache im Vergleich mit Sardinen die nicht die Chance hatten südkoreanische Stadtluft zu atmen.

Zurück aufs Land

Da ist es nicht verwunderlich, dass es seit mehr als fünfzehn Jahren eine "Zurück-aufs-Land-Bewegung" gibt (von Menschen, nicht Sardinen). In losen Kommunen siedeln sich Leute in und um kleine Dörfer an und bauen sich ein neues Leben auf. Das ist nicht immer so leicht, da aufgrund großer Landflucht wenig Arbeitskräftebedarf in solchen Gegenden herrscht. Diese Populationen sind in sich sehr unterschiedlich: Da gibt es Leute, die ihre Pension genießen wollen, andere verdienen sich ihren Unterhalt durch Landwirtschaft, unterrichten an Schulen oder ein Partner arbeitet in der Stadt, sogenannte Wochenendpärchen. Diese Menschen sind zumeist Einsteiger, sie steigen zwar aus dem Stadtleben aus, steigen aber in ein anderes, neues Leben ein.

Doch es gibt auch Exzentriker (zum Glück, John Stuart Mill bezeichnete die originelle Schaffenskraft von Exzentrikern als wichtig für den Staat und die Realisierung der Freiheit), die sich zwar auch manchmal solchen Bewegungen anschließen, aber sehr oft wirklich "außerhalb des Zentrums" (ex-zentrum) leben. Von so einer Begegnung mit so einem Menschen möchte ich heute erzählen.

Chodo, eine Insel für Exzentriker

Wenn man die Freiheit eines Staates an Exzentrikern messen würde, würde Südkorea gar nicht so schlecht abschneiden (bezieht sich leider nicht auf politische Exzentriker oder Alternative, da könnte es schnell brenzlig werden). Ein Exzentriker, den ich auf einer Reise mit einem anderen Exzentriker kennengelernt habe, wohnte z.B. auf der Insel Yokjido in einer baufälligen, nicht benutzten Kirche. Ein sehr freundlicher Mann, bei dem wir eine Nacht verbrachten. Es gibt bei Exzentrikern verschiedene Subtypen, die anstrengenste Type ist die des missionarischen Exzentrikers, der einem unbedingt sein Weltbild aufzwingen will. Diese sind unbedingt zu vermeiden, zum Glück gehörte unser Kircheneinsiedler nicht dazu.

Schon die Lage der Insel verdeutlicht es: Klar abgelegen von den anderen Inseln, handelt es sich um eine sogenannte "Exzentriker-Insel".

Eine Fähre brachte mich von Yeosu (in dieser Stadt fand 2012 die Expo statt) nach Chodo, einer kleinen, grünen, hügeligen Insel mit nur einem Gästehaus am Hafen, wie mir auf Anfrage mitgeteilt wurde. Dort wollte ich nicht absteigen, der braune Betonklotz sah nicht gerade einladend aus. Also beschloss ich die Insel per pedes zu erkunden.

Der Hafen. Der Betonklotz im Hintergrund ist das Gästehaus.
Foto: Alexander Reisenbichler

Kleine Dörfchen mit orangen Dächern, Steinmauern mit sehr kleinen Steinen, die richtig putzig und unwirklich aussahen (hier im Jirisan sind die Mauern aus teilweise 50-100 Zentimeter hohen Steinen errichtet) schmiegen sich an Nadelwäldchen, die sich bis zum Sandstrand erstreckten. Nach zwei Stunden kam ich in ein Dorf, das sich auf einer kleinen Anhöhe befand, von der aus man einen wunderbaren Ausblick auf das offene Meer hatte. Es gab zwar zwei Gästehäuser, doch die würden Zimmer nur während der Saison vermieten.

Inmitten üppiger Vegetation liegen die Dörfer mit ihren orangen Dächern.
Foto: Alexander Reisenbichler

"Wie sind sie eigentlich hierher gekommen?" fragte mich die erstaunte Besitzerin, "es gibt hier ja keinen Bus?" "Zu Fuß, ist ja nicht so weit," antwortete ich. Sie lachte und meinte noch einmal, dass es ihr leid tue, die Zimmer wären nicht aufgeräumt und gekocht hätte sie auch nicht. Also ging ich wieder zurück in Richtung Hafen. Gerade als ich in dem Dorf Ausschau nach einer Unterkunft hielt, sprach mich ein älterer Mann an: "Trinkst du Alkohol?" Als ich das bejahte, wollte er wissen, ob ich schon ein Zimmer hätte. "Nein? Wenn du willst kannst du bei mir übernachten, mein Haus ist gleich dort drüben." Freudig sagte ich zu.

Der Inseleinsiedler

Herr Lee, der Inselexzentriker.
Foto: Alexander Reisenbichler

Herr Lee kommt ursprünglich aus Busan und ist verheiratet, wohnt aber schon seit einigen Jahren hier auf der Insel, seine Frau besucht er nur selten. Er hat fast zwanzig Jahre lang in Shanghai gearbeitet und Anglerausrüstungen vertrieben, jetzt will er sich hier vom Stress des Stadtlebens und der Menschen erholen. Als wir durch die engen Gassen gehen, fällt mir auf, dass er mit den Nachbarn kein einziges Wort wechselt, nicht einmal ein "Wohin gehst du?" oder "Woher kommst du?", das oft anstatt eines Grußes gefragt wird.

Der "Chodo-Highway"
Foto: Alexander Reisenbichler

Mit seinen Nachbarn hat er keinen Kontakt, meint er, dass sei ihm auch lieber so. Herr Lee bewohnt ein kleines Haus, bestehend aus einer Küche, Abstellraum und einem großen Wohnzimmer. Toilette und Bad befinden sich draußen. Das Wohnzimmer wirkt sehr chinesisch, überall chinesische Landschaftsbilder und Antiquitäten, dazu noch einen selbst gebauten Kang, ein traditionell gemauertes Ofenbett. Während die traditionelle, holzbefeuerte südkoreanische Fußbodenheizung den ganzen Boden heizt, ist der Kang eine beheizte Erhöhung im Zimmer, auf der gegessen und geschlafen wird. Darauf war er sehr stolz.

Im Garten hingen getrocknete Fische, die er selbst gefangen hat, am Strand steht ein kleines Motorboot, mit dem er aufs Meer fährt. Hinter dem Haus hat er sich einen Garten angelegt, man muss sich doch mit irgendetwas die Zeit vertreiben, davon habe er ja genug, meinte er. Viel habe er gesehen von der Welt, doch hier gefalle es ihm am Besten, abgeschieden, besonders im Winter, da einige andere Dorfbewohner diese Jahreszeit oft bei ihren Familien am Festland verbringen. "Dann gehört das Dorf mir," meinte er lachend.

Wer Ruhe und Einsamkeit sucht, wird beides hier finden.
Foto: Alexander Reisenbichler

Bei unserem Abschied lade ich ihn zu uns nach Hause ein und wirklich, ein paar Monate später, im Sommer, kam er. Etwas verschüchtert stand er am Busbahnhof in Hamyang, als ich ihn mit meiner Tochter Lea abholen kam. Bei uns zu Hause inspizierte er unseren Garten, den meine Frau hegt und pflegt und erklärte ihr ausführlich, was sie alles besser machen könne. Beim Kochen hatte er auch viele Ratschläge parat, die zweite Domäne, die man meiner Frau nicht streitig machen sollte. Mühsam hielt sie sich zurück, bis Herr Lee seine Vorliebe für die konservative Präsidentschaftsanwärterin zum Besten gab. Somit ließ er also zielsicher kein einziges Fettnäpfchen aus. Doch, wie in Südkorea üblich, lächelte meine Frau immerzu, verabschiedete sich jedoch bald nach dem Abendessen und wünschte ihm am nächsten Tag eine frohe Heimreise.

Am Abend musste ich meiner Frau versprechen, ihn nie wieder einzuladen. Werde ich ihn wohl einmal alleine besuchen müssen, diesen freundlich schrulligen Kauz. (Alexander Reisenbichler, derStandard.at, 25.3.2014)