Illustration: Aydogdu Fatih
Grafik: DER STANDARD

Uppsala - Schweden, das pädagogische Sehnsuchtsland: Wenn bei uns in Österreich mal wieder über das Schulsystem geschimpft wird, ziehen Journalisten oft die skandinavischen Länder als Idealbeispiel heran. Noch 2010 besuchte Michael Spindelegger als damaliger Außenminister eine Stockholmer Gesamtschule, um sich über das dortige Schulsystem belehren zu lassen.

Ich denke mir bereits nach dem ersten Tag an meiner neuen Gastschule in Uppsala: "Bin ich hier wirklich richtig?"

Erste Stunde, Englisch: Wir schauen einen Hollywoodfilm mit Untertiteln an, anschließend konjugieren wir Verben - also all den Stoff, den ich bereits vor zwei Jahren durchgenommen habe.

Naturwissenschaftsunterricht

Im Naturwissenschaftsunterricht erklärt uns dann der Lehrer, dass es so etwas wie das Morsealphabet gibt und was der Holocaust war. Meine Mitschüler zeigen sich schockiert - ich bin es ebenso, dass viele von ihnen als 15-Jährige heute das erste Mal vom Genozid an der jüdischen Bevölkerung Europas erfahren.

Auch mein Mathematiklehrer kann mir die Rechenbeispiele, die ich ihm aus meinem österreichischen Schulbuch mitgebracht habe, nicht erklären. Seine Begründung: Er habe solche Aufgaben zum letzten Mal vor 20 Jahren gelöst. Somit bin ich letztlich auf mein tägliches Selbststudium angewiesen, um in meinem Auslandsjahr nicht allzu sehr zurückzufallen. In Mathe ist der Niveauunterschied am drastischsten.

Und zum krönenden Abschluss stellt mir eine Mitschülerin eine Frage, die ich in den nächsten Wochen noch mehrere Male zu hören bekommen werde: "Wo in Deutschland liegt Österreich eigentlich?"

Ich besuche eine durchschnittliche Mittelschule in Schweden, doch mein Resümee fällt ernüchternd aus: Innerlich schwöre ich mir, nie wieder über das österreichische Schulsystem zu schimpfen.

Als ich mich bei meiner Gastmutter, die selbst Lehrerin ist, nach der Pisa-Studie erkundige, finde ich heraus, dass Schweden gar nicht so gut abschneidet, wie man es erwarten würde. "Die Europäer glauben, ganz Skandinavien sei Finnland", sagt mir mein Gastvater.

Während Österreich seinen Pisa-Schock 2009 durchmachte, erlebt ihn Schweden derzeit aktuell (siehe Grafik). Die 15-jährigen Schüler erreichten bei der aktuellsten Erhebung von 2012 nicht mal mehr das Mittelfeld aller OECD-Länder, was eine kontroverse Debatte über das Schulsystem im Land auslöste.

Legerer Klassenraum

Auf jeden Fall ist das Klima im Klassenraum sehr leger und antiautoritär. Im Schwedischen gibt es dafür das schöne Wort "flummig", und das klingt genau nach dem, was es bezeichnen soll: Wer nicht mitschreiben möchte, fotografiert einfach die Tafel ab, auch das Musikhören während des Unterrichts wird von vielen Lehrern allzu gerne übersehen.

Doch natürlich hat jede Medaille zwei Seiten: Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist großartig. Verängstigende Lehrer gibt es hier nicht, denn mit Lehrkörpern ist man grundsätzlich "per Du". Zudem begegnet man einander auf Augenhöhe. Die Lehrer genießen dabei trotzdem hohe Autorität, die sich jedoch nicht auf Respekteinflößung begründet, sondern auf Vertrauensbasis.

"Ich könnte nach der Schule stundenlang mit Christian plaudern", sagt mir eine Klassenkollegin über unseren Mathelehrer, viele Schüler sind mit Lehrern sogar befreundet. Bei uns wäre das undenkbar. (Maximilian Schwaiger (15), DER STANDARD, 24.3.2014)