"Die bunten Kaugummis waren nicht die eigentlichen Objekte der Begierde. Egal: Totenkopfringe! Taschenlämpchen! Glitzersteine! Funkelnde Kettchen!"

Foto: Standard/Cremer

Haben Sie auch schon ein eigenes Platzerl für das ganze Gutschein-, Club-, Und-was-weiß-ich-noch-Zeugs? Plastikkarten, Rubbelbilder, Pickerln, Ausschneidebons, Gutscheinhefte - also mich macht das wahnsinnig. Überall Ablaufdaten, Bedingungen und beschränkte Gültigkeiten, und der Bon mit dem Sie für 100 Punkte zehn Prozent kriegen, gilt nur noch bis gestern und leider auch nur mit der Karte Ihres Partners.

"Diese Woche schon einmal eingekauft? Oje - zweimal geht's nicht, steht eh auf dem Bon drauf." (Richtig. 8. Zeile von unten, in zartem Blasslila gehalten, auf dem fünf Zentimeter großen, zerwuzelten, dreieckigen, vor vier Wochen ausgeschnittenen und seither sorgfältig in der Bonbox aufbewahrten Zettel ...). Oder: "Sie sind schon der Zweite heute - in unserem Markt gilt die Aktion nicht" - steht eh auf dem dunkelhellgrau/helldunkelgrau changierenden Rubbelfeld in schraffiertem Blassgrün. Sie werden sehen, bald müssen wir an der Kassa das (uns, als glückliche Gewinner des Gewinnspiels, an dem wir nie teilgenommen haben, mit SMS zugesandte) Zauberwort aussprechen, das die Punkte auf dem Bon für die Karte mit dem Rubbelbild für die Pickerln aktiviert. Heul!

Gratiskaffee umsonst!

Aber ich sage Ihnen - die packen uns alle beim Sportsgeist, nach dem Motto "Die denken wohl, ich bin zu faul, den Bon auszuschneiden, zu schlampig ihn aufzubewahren oder zu blöd für die Quizfrage ...". Ich kenne richtige Junkies, die überall mitmachen und bei jedem Einkauf mit einer Dokumentenmappe ausgerüstet sind, als würden sie einen neuen Pass beantragen. Und, ich gebe es zu, ich ließ mich auf den Lockvogel ein. Ich wollte diesen Gratiskaffee haben und dachte mir: Das schaffe ich.

Während der Ferien gibt es wegen der schlafenden Kinder eh kein gemeinsames Frühstück, da hole ich mir einfach jeden Morgen an der Theke des Großbäckerei-Outlets einen Kaffee und damit ein Pickerl für den Treuepass (okay, den hab ich dann dreimal beim Sakkowechseln vergessen, Rechnung mit Stempel bekommen - am nächsten Tag hergezeigt - Pickerl gekriegt, Pass herausgekramt, nachgepickt) und mit zehn Pickerln gibt's einen Gratiskaffee!

Ja, ich war stolz, als ich meinen vollgeklebten Pass, den ich während dieser Wochen nach einigen "Tours de Sakko" mehrfach für verschollen erklärt hatte, am letzten Ferientag präsentierte. "Oje", so die nette Verkäuferin mitleidsvoll, "die Aktion lief nur bis gestern". Daskannaberjetztbittenichtwahrsein. Als bekannter Kunde habe ich meinen Gratiskaffee zwar kulanterweise doch bekommen - aber mein Triumph war eigentlich keiner mehr.

Es regnet Kaugummis

Aber ich hatte sie, diese Triumphe gegen diese für uns Konsummäuse ausgelegten Fallenköder, und an sie klammere ich mich bis heute. Ich hatte wahrliche Schnippchen geschlagen, anstatt bloß schnöde Schnäppchen erjagt. Als Bub, da führte mich mein Schulweg zweimal, Tag für Tag, an diesem rostroten Kaugummi-automaten vorbei. Die bunten Kaugummis darin waren nicht die eigentlichen Objekte der Begierde. Egal: Totenkopfringe! Taschenlämpchen! Glitzersteine! Funkelnde Kettchen! In homöopathischer Verdünnung unter die Kaugummis gemischt und nur in Momenten höchsten Glücks (oder nach allzu grimmigen Taschengeldopfern) erschließbar - das war es, was den sehnsüchtigen Blick zum Automaten und seiner massiven, unbarmherzig nach einer Umdrehung den verheißungsvollen Fluss an Objekten abrupt zum Versiegen bringenden Kurbel schweifen ließ.

Diese Kunstwerke konnte man nicht nur als Schatz horten oder in geheimen Momenten betrachten, nein, man konnte (zumindest mehrfach Vorhandenes oder nicht ganz so Hübsches) verschenken ... Ob sich wohl heute, da zwei Schillinge, ein großer Teil des Taschengeldes, in den leicht angerosteten Münzschlitz verschwinden werden, ob sich wohl heute anstatt oder inmitten der Kugerln eines dieser Kleinodien hinter der Schutzklappe des Ausgabefaches finden wird? Allwöchentliches, seit der großen Pause die Aufmerksamkeit abziehendes Highlight in der Schulwoche eines Sieben- oder Achtjährigen. Als wahre Schätze wurden diese Pfeifchen, Murmeln und Figuren daheim wohl verborgen in einer eigenen Schachtel - Blödsinn, einem Schrein! - aufbewahrt.

Nicht einmal im Traum erwartete ich, und nie dachte ich daran Gewalt anzuwenden, das hätte den ganzen Zauber zerstört. Ich drehte so erwartungsfroh und bedächtig wie immer und - sie brach! Die Sperre der Kurbel! Sie brach! Ich konnte drehen, drehen, drehen - und er war halbvoll, der durchsichtige Plastikkasten des Automaten, der den Blick auf die aus dem Kaugummihaufen hervorlugenden Herrlichkeiten freigab. Keine Blockade hielt den Schwall auf und hinderte die Kautschis und mit ihnen die Kleinodien daran, die tiefen Taschen meines Anoraks zu füllen. Ich konnte es tagelang (eigentlich bis heute) nicht fassen, mein kaum zu steigerndes Kinderglück.

Der Gemüsehobel

Mit dem Erwerb eines Produktes gleich vielerlei Funktionalitäten zu erhalten ist ein hochattraktives Szenario. Vor allem Buben im Volksschulalter sind für dieses Multifunktionsfeature anfällig. Ich jedenfalls war es, und ich weiß: Ich war nicht allein. Es ist dieser Ansatz "Mehr in eins" (auch: "Heizdeckenfahrtparadigma"), aber zugleich Lebensnerv und Existenzgrundlage sämtlicher TV-Verkaufskanäle - ein keineswegs zu vernachlässigender Wirtschaftszweig.

Verspricht ein Produkt, mehrere Funktionen zu erfüllen, oder wird es mitsamt Aufpreis freier Draufgaben angeboten, wird damit dem Wunsch der Kundschaft entsprochen. Für jede Funktion ein eigenes Produkt - das ist Steinzeit. Schweizermesser statt Werkzeugkoffer ist angesagt. Ich selbst bin dieser Versuchung als Kind am Wiener Christkindlmarkt erlegen, als der Verkäufer bei der Präsentation eines Gemüsehobels "Geschenk" um "Geschenk" zu dem an sich schon alle Stückerln spielenden Multifunktionszerkleinerer hinzupackte. Er blickte eindringlich, während er ein Wunderding nach dem andern in Superlativen beschrieb, jedes Mal das Gleichbleiben des Preises eindringlich betonend, in meine vor ungläubigem Staunen geweiteten Kinderaugen. Nur jetzt und nur heute, so wurde dieser Rudi Carrell des Gemüsehobels nicht müde zu betonen, würde er sich zu diesem absurden Angebot hinreißen lassen.

Klare Sache - ich schlug zu. So kehrte ich, obwohl ich ja bloß einen Gemüsehobel erstanden hatte, mit einem Sack voller Kostbarkeiten (32 ausgetrocknete Filzstifte, dramatisch stinkende Damen- und Herrenduftwässer, die Karikatur eines Mehrklingentaschenmessers, eigenartig riechende, fettige Plastiketuis, die sich noch unter dem Christbaum auflösten ...) heim und war aller Geschenkssorgen entledigt. Die ehrliche Freude, die meine Familie zeigte, entsprang, rückblickend gesehen, wahrer Elternliebe.

"Blavo - heute glatis essen!"

Anfangs war ich ja wirklich genervt - mein unprätentiöser Fastfood-Mittagsasiate, bei dem ich zumindest einmal pro Woche Wok-Gemüse einzuwerfen pflegte, fängt jetzt auch an, mit diversen Spielchen, die Kunden an sich binden zu wollen. Oh, nein - Glückskekse mit Bons für Suppen oder Getränke, Lose, Rubbelbilder, wie mühsam. Ich will doch bloß meine Misosuppe schlürfen, das Gemüse mampfen und gehen - aber, ich muss zugeben, das mit den Pingpongbällen, das war wirklich lustig. Nachdem man sein Essen bestellt hat, wird eine Box mit Grifföffnung gereicht, in der 20 Pingpongbälle ihrer Bestimmung harren. 17 sind weiß ("Leidel nein!"), zwei gelb ("Oh, blavo, 2 Eulo gewonnen!") und einer ist rot ("Oh, blavo, heute glatis essen!").

Der gelbe Ball war einfach ein gelber Tischtennisball - von den weißen im Griff nicht zu unterscheiden. Es gibt aber keine roten Tischtennisbälle - der rote, den ich beim ersten Mal zufällig erwischte, war mit einem Permanentmarker angehiaslt und pickte, und zwar so stark, dass ich den Ball nach ein bisschen Wühlen und Stöbern in der Kiste an seiner pickerten Oberfläche unschwer erspüren konnte. Die ob des langen Wühlens etwas verwunderten Blicke des Personals musste ich aushalten oder durch gebetsartiges Gemurmel in verständnisvolles Lächeln transformieren.

"Oh, blavo, heute glatis essen" wurde mir über Wochen zur wohlbekannten und willkommenen Einbegleitung zu meinem Mahl. Ich wich aber wohlweislich von meiner angestammten Menüwahl kaum ab - hätte ich jedes Mal vor dem Bergen des roten Balles Peking-Ente auf mein Tablett geladen, wäre mein kleines Geheimnis bald wohl keines mehr gewesen ... Es macht sich halt bezahlt, Maß zu halten, in der Stunde des Triumphs. (Thomas Jakl, DER STANDARD, 22.3.2014)