Wien - Im Familienverband wie in der Klassikbranche stellt die Mutter eine unantastbare Größe dar. Schon bei ihrem Auftreten - ernst, stolz und schön schwebte sie ein - strahlte die deutsche Geigerin so viel Souveränität und Autorität aus wie seinerzeit höchstens noch Jessye Norman. Umgab sich die amerikanische Sopranistin gern mit üppigen Textillandschaften, so bezirzte Anne-Sophie Mutter bei ihrem Auftritt mit Andrís Nelsons und dem City of Birmingham Symphony Orchestra im Musikverein mit einem schulterfreien, meerjungfrauenhaften Kleid.

Halsabwärts Nixe und Venus, darüber gestrenge Frau - so ließ sich die Ausnahmegeigerin in die lange Orchestereinleitung von Brahms' Violinkonzert fallen. Zu den behutsamen Klängen des Orchesters wogte Mutter sanft hin und her wie eine Orchidee, den heftig herumrudernden Andrís Nelsons neben sich wie einen taumelnden Riesen. Der Riese ließ der solistischen Preziose eine fürsorgliche Begleitung angedeihen - speziell im Mittelsatz des Konzerts. Wie ein auf ein Samtkissen gebetteter Diamant, so empfand man Mutters Geigenton im Umfeld des sacht und feinfühlig agierenden Orchesters. Von kraftvoller Klarheit das Solo des Oboisten.

Neben den ruppigen gebrochenen Akkorden und den energischen Dreiklangszerlegungen war der Epilog nach der Kadenz des ersten Satzes ein Highlight, Mutter durchwandelte ihn in somnambuler Weise. Zuvor öffnete sie sich im Schwärmen vielleicht etwas zu wenig, hätte Zartheit mit etwas mehr Innigkeit verbinden können. Der Finalsatz wurde mit Vitalität getanzt. Zwei Sätze aus Bachs d-Moll-Partita als Zugabe, virtuos und delikat.

Deutlich matter als Mutter wurde danach Strawinskys Petruschka beklatscht, Nelsons hatte die burlesken, oft grellen Ballettszenen mit etwas breitem Pinselstrich nachgemalt. (Stefan Ender, DER STANDARD, 20.3.2014)