Hochwertiger Kakao, wie er hier in Brasilien angebaut wird, findet immer seltener den Weg nach Europa.

Foto: Georges Desrues

Diego Badaró aus Bahia zeigt ein antikes Gefäß, das die Azteken bei ihren Schokolade- Ritualen verwendet haben.

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Nicolas Berger hat die Schokoladeproduktion des französischen Dreisterners Alain Ducasse über.

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Nach der Ernte werden die aus der Frucht geschälten Bohnen getrocknet.

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Diego Badaró bahnt sich einen Weg durch das opulente grüne Dickicht seiner prächtigen Kakaoplantage im Süden des brasilianischen Bundesstaats Bahia. "1990 war hier alles kaputt", sagt er, "damals hat eine Pilzkrankheit unsere Lebensgrundlage verwüstet, meinen Eltern blieb nichts, als den Kakaoanbau nach Generationen einfach aufzugeben."

Einige Jahre später beschloss Diego, die Produktion wiederaufzunehmen - diesmal allerdings unter anderen Voraussetzungen. "Ich wollte Kakao nicht mehr als einfache Handelsware sehen, sondern als nobles Genussmittel, das seine Qualität dann am besten ausdrückt, wenn es derjenige verarbeitet, der es auch anbaut. Genau so, wie das beispielsweise auch ein Weinbauer macht".

Also besorgte er sich neue Pflanzen von bester Qualität und pflanzte sie im Schatten von Bananenstauden, von Papaya-Sträuchern und mächtigen Bäumen, um die Früchte später, anstatt sie wie bisher ins Ausland zu verkaufen, in einer eigenen Manufaktur unter dem Markennamen Amma zu Edelschokolade zu verarbeiten. 

Interessiert uns die Bohne

"Hochwertiger Kakao ist so ziemlich die umweltfreundlichste Kulturpflanze, die es gibt", sagt Badaró und greift zu einer knallroten Kakaoschote, die über seinem Kopf an einem Ast hängt. "Sie braucht den Schatten anderer Bäume, um langsam zu wachsen." Darum ist es den Kakaobauern hier ein Anliegen, den Wald zu bewahren, anstatt ihn zu roden. Doch das ist bei weitem nicht überall der Fall. In Afrika etwa werden die Pflanzen auch in praller Sonne gezogen, was die Frucht schneller reifen lässt, aber unter anderem auch deutlich mehr Bewässerung erfordert.

"Badaró ist das, was man einen Tree-to-Bar-Produzenten nennt", erklärt der Schokolade-Auskenner und gelernte Konditor Georg Bernardini, "weil er die gesamte Produktionskette kontrolliert - von der Kakaopflanze (engl. "tree") bis zur Tafel (engl. "bar"). Bernardini hat den weltweiten Kakaomarkt in seinem Buch "Der Schokoladentester" einer kritischen Analyse unterzogen. "Im Vergleich dazu ist der Bean-to-Bar-Chocolatier weiter verbreitet, der zwar nicht selbst anbaut, aber die Bohnen direkt von der Plantage kauft und daraus seine eigene Schokolade erzeugt."

Doch sei auch das keinesfalls die Regel, selbst wenn es unter Aficionados zurzeit als der größte Trend gilt. "Einige Hersteller behaupten zwar, sie seien Bean-to-Bar-Produzenten, kaufen und verarbeiten in Wahrheit aber fertige Schokolade von größeren Firmen, die sie in manchen Fällen einfach nur einschmelzen und neu verpacken", empört sich der Experte.

Keine Garantie für Qualität und Nachvollziehbarkeit

Zudem ist da das Problem, dass Bean-to-Bar für sich allein keine Garantie für Qualität und Nachvollziehbarkeit sein kann. "Natürlich produzieren auch Großhersteller wie Ritter Sport Schokolade von der Bohne weg, weil sie gewaltige Mengen verarbeiten", so Bernardini. Doch von welcher Qualität diese sind, unter welchen ökologischen, sozialen Bedingungen sie gepflanzt, gezogen und geerntet wurden - davon hat der Konsument in der Regel keine Ahnung. Genauso wenig wie ein Konditor, der sich nicht die Mühe macht, seine Schokolade selbst herzustellen.

Ganz anders beim steirischen Schokolademacher Josef Zotter (siehe Interview), den der Schokoladentester unter die besten Betriebe der Welt reiht und der seine Bohnen ausnahmslos von biologisch und fair arbeitenden Plantagen bezieht. "Im Gegensatz dazu gibt es Firmen wie etwa Ritter Sport, die damit werben, dass ihr Kakao aus einer nachhaltig betriebenen Plantage in Nicaragua stammt", fährt Bernardini fort. "Wer aber genau hinsieht, wird merken, dass es dabei gerade mal um vier Prozent der Gesamtproduktion geht."

Von Zotter bis Ducasse

"Geheimnisse bei der Erzeugung, die man vor der Konkurrenz hüten müsste, gibt es heutzutage keine mehr - darum hätte ein echter Bean-to-Bar-Erzeuger auch keinen Grund, etwas zu verheimlichen", sagt Bernardini. Einige unter ihnen haben das freilich längst erkannt und öffnen ihre Produktionsstätten, die häufig auch Verkaufslokale sind, für Kunden und Besucher. Dazu gehört auch Josef Zotter mit seiner Erlebnis-Schokoladewelt im steirischen Riegersburg, oder auch der wirtschaftlich erfolgreichste aller Spitzenköche, der Franzose Alain Ducasse.

Der multipel dekorierte Dreisterner eröffnete erst vergangenen November seine Manufacture de Chocolat im elften Pariser Arrondissement. "Es hat ziemlich lange gebraucht, bis wir die geeigneten Maschinen und das geeignete Geschäftslokal gefunden hatten", sagt Ducasses Partner und langjähriger Chefpatissier Nicolas Berger, der die Chocolaterie leitet, "denn die Maschinen, die man heute findet, sind durchwegs für große, zumindest halbindustrielle Produktionen konzipiert." Also habe man nach alten Maschinen aus den 1940er-Jahren gesucht. Und nach einem Geschäftslokal in frequentierter Lage mit einem soliden Fußboden, um die schwere Gerätschaft zu tragen.

Heute werden aus der ehemaligen Renault-Werkstatt unweit der Oper an der Place de la Bastille nicht nur Ducasses Restaurants mit hausgemachter Schokolade versorgt, sondern auch Detailkunden, die sich mit einem Blick durchs Glasfenster davon überzeugen können, wie hier von der Bohne weg erzeugt wird.

Alles unter einem Dach

Doch so mancher Chocolatier will sogar noch einen Schritt weitergehen und auch wirklich den gesamten Prozess unter einem Dach vereinen - von der Plantage bis hin zum Detailverkauf. So betreibt etwa die britische Firma Hotel Chocolat eine eigene Plantage in der Karibik und prägte damit den Begriff "Tree to Shop", worunter man einen Chocolatier versteht, der zusätzlich zur eigenen Kakaoplantage und eigenen Schokoladeerzeugung auch eigene Geschäftslokale betreibt, von denen die Briten bereits über 70 weltweit eröffnet haben.

Einen anderen Weg gehen indessen die amerikanischen Bean-to-Bar-Star-Chocolatiers Rick und Michael Mast. Die beiden vollbärtigen Brüder aus dem New Yorker Hipster- und Foodie-Stadtteil Brooklyn importieren ihre Bohnen per Segelschiff, was zum einen die hohen CO2-Emissionen des Kakaotransports aufhebt. Und zum anderen den Mehrwert sowie den Preis des Endprodukts steigert.

"All diese Zusatzleistungen werden künftig immer bedeutender werden", sagt dazu der Brasilianer Diego Badaró, "weil es nämlich bald zu einem Engpass an hochqualitativem Kakao kommen könnte." Das wiederum liegt an der weltweit steigenden Nachfrage. Und die kommt vornehmlich aus Schwellenstaaten, darunter China und Indien, aber auch Badarós Heimatland Brasilien, das bisher vor allem als Lieferant von Kakao bekannt war - und weit weniger als Konsument oder gar Produzent von Edelschokolade. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 21.3.2014)