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Über den Wolken - muss die Religionsfreiheit wohl grenzenlos sein: das Minarett der Moschee des türkischen Kulturvereins Atib in Saalfelden im Pinzgau.

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Ernst Fürlinger: "Die Rechte dominiert das politische Framing in den Moscheebaukonflikten."

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STANDARD: Warum ist es hierzulande so schwer, gelassen über Moscheebauten zu sprechen?

Fürlinger: Die Konflikte um Moscheebauten sind deshalb so komplex, weil sich verschiedene gesellschaftliche Konflikte überlagern. Moschee und Minarett werden von vielen Menschen als Symbol für den Islam als Weltreligion schlechthin gesehen, dem weithin eine skeptische bis feindliche Haltung entgegenschlägt. An repräsentativen Moscheen im Stadt- oder Ortsbild wird sichtbar, dass sich die religiöse Landschaft und die Bevölkerungszusammensetzung in Österreich deutlich verändert haben - durch Migration und eine große muslimische Bevölkerungsgruppe. Das kann man in dem Moment, in dem große Moscheen entstehen, als Tatsache nicht mehr ignorieren.

STANDARD: Welche Rolle spielt bei diesem Konflikt der Kampf um den öffentlichen Raum?

Fürlinger: Der öffentliche bzw. soziale Raum ist ein Raum aus Machtverhältnissen. Hier passiert eine sichtbare Verschiebung: Die einstigen "Gastarbeiter" sind durch die Moscheebauten als neue Bürger plötzlich manifest und greifbar. Die Mehrheitsbevölkerung nimmt diese Veränderungen sehr sensibel wahr und reagiert noch feindlicher, weil es sich im Falle der türkischen Muslime um eine überwiegend negativ besetzte Gruppe handelt.

STANDARD: Der Islam ist seit 1912 in Österreich anerkannt. Geht es bei den Moscheekonflikten um die jetzt erst entstandene Sichtbarkeit des Islam im öffentlichen Raum?

Fürlinger: Seit den 60er-Jahren hat sich in Österreich eine muslimische Bevölkerung entwickelt. Die gesetzliche Gleichberechtigung im Verhältnis zu den christlichen Kirchen wurde erst seit damals relevant. Mit einer Verzögerung von 50 Jahren beginnen die Arbeiter mit muslimischer Zugehörigkeit aus Ländern wie Jugoslawien und der Türkei nun mit dem Aufbau einer Infrastruktur von repräsentativen Gebäuden. Bis dahin gab es nur kleine improvisierte Gebetsräume: weil die Muslime genau wie die Gesellschaft davon ausgegangen sind, dass sie nur kurz in Österreich bleiben werden.

STANDARD: Warum reagiert die Gesellschaft in Europa auf die Sichtbarwerdung des Islam so abwehrend? Geht es da um Religion oder um Rassismus?

Fürlinger: In einer fast ironischen Weise fällt die Phase der Integration der muslimischen Communitys mit der verstärkt negativen Wahrnehmung des Islam als "Feind des Westens" auf globaler Ebene zusammen. Dazu kommt, dass viele Menschen, die sich gar nicht mehr mit dem Christentum identifizieren, dennoch davon ausgehen, dass der öffentliche Raum in Europa kulturell christlich geprägt ist und bleiben soll. Die Präsenz einer anderen, nichtchristlichen Religion wird als Störung des symbolischen Raums der Nation empfunden. Darauf reagiert man mit Grenzziehungen und einer Haltung der "kulturellen Verteidigung".

STANDARD: Welche Rolle spielt hier der Aufstieg des politischen Islam seit den 70er-Jahren - etwa durch die Revolution im Iran und Attentate islamistischer Gruppen weltweit?

Fürlinger: Das öffentliche Image und Bild dieser Religion wurde dadurch sehr negativ beeinflusst. Der Islam hat unter der Mehrheit der Bevölkerung Europas ein ausgesprochen negatives Image und wird von vielen mit Gewalt, Fanatismus, Intoleranz und der Unterdrückung von Frauen assoziiert.

STANDARD: Gibt es Unterschiede zwischen den westeuropäischen Ländern, was diese Wahrnehmung des Islam betrifft?

Fürlinger: Deutliche. In Deutschland ist die Ablehnung wesentlich höher als z. B. in Frankreich und in den Niederlanden, obwohl es auch dort heftige politische Auseinandersetzungen rund um die Präsenz des Islam gibt. Der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh 2004 durch einen islamistischen Attentäter markiert den Beginn einer Welle der Islamfeindlichkeit in Europa.

STANDARD: Die Absenz von Religion im öffentlichen Raum ließe sich trefflich aus säkularer Perspektive argumentieren. Die politische Rechte bringt gegen den Islam aber das Christentum in Anschlag.

Fürlinger: Das Thema Islam, Migration von Muslimen und Moscheebau wird von nationalistischen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen als Gelegenheitsstruktur genutzt, um politisch zu mobilisieren. Das ist ganz deutlich im Falle der FPÖ. Der Widerstand gegen Moscheen kommt auch aus dem rechtskonservativen katholischen Eck, zum Beispiel von der Partei "Die Christen". Noch weiter rechts treten Neonazis auf, die etwa bei der Demonstration gegen das Bauprojekt in der Wiener Dammstraße dabei waren. Religiöse Symbolik und Sprache werden gezielt instrumentalisiert, um mit diesem affektiv starken Hebel die gesellschaftliche Mitte anzusprechen.

STANDARD: Ohne politische Rechte keine Moscheebaukonflikte in Europa?

Fürlinger: Die Rechte dominiert das politische Framing, wie man die Frage von Moscheebau beurteilen soll. Man könnte auch den Verfassungsrahmen betonen - etwa das Grundrecht auf Religionsfreiheit, das Recht auf Diskriminierungsfreiheit oder den Anerkennungsstatus der Muslime. Verhandelt wird das Thema aber im Denkrahmen der Nation und ihrer imaginierten kulturellen Einheit. Die Frage nach den normativen Grundlagen wie der Religionsfreiheit kommt nur am Rande vor. Auch die muslimischen Bauherren bringen das wenig bis gar nicht ins Spiel. Die sehen sich so stark in der Defensive, dass sie nicht aktiv das durch die Verfassung garantierte Grundrecht auf Religions- und Kultusfreiheit beanspruchen.

STANDARD: Die Anti-Moscheen-Stimmung reicht allerdings weit in die gesellschaftliche Mitte hinein. Erwin Pröll begründete 2007 seine Ablehnung von Moscheebauten etwa mit der Aussage, Minarette seien etwas "Artfremdes". Da stellt sich die Frage: Was ist diese Art, die da konstruiert wird?

Fürlinger: Es ist ein altes Muster, dass durch den Ausschluss der "Fremden" die Gemeinschaft gestärkt werden soll. Moscheebaukonflikte sind eine Form des öffentlichen Rituals, in dem Einbeziehung und Ausschluss kollektiv verhandelt werden. An diesen Konflikten kristallisiert sich die Frage, wer eigentlich die "nationale Gemeinschaft" bildet, wer in die nationale Solidarität einbezogen wird und wer nicht.

STANDARD: Wie lautet Ihre Antwort?

Fürlinger: Wir müssen die Erzählung der Nation weiterentwickeln und die neuen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Fäden einweben, damit sie der faktischen gesellschaftlichen Realität in ihrer Vielfalt entspricht. Leider sind die Stimmen jener, die nationalistische Enge und einen ausschließenden Begriff von Nation propagieren, lauter als jene Stimmen in den Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und anderen Teilen der Zivilgesellschaft, die den ethnischen Nationsbegriff öffnen und in eine republikanische Richtung erweitern und verändern wollen.

STANDARD: Woher kommt das wiedererstarkte Bedürfnis vieler Menschen nach der Zugehörigkeit zu einer Nation?

Fürlinger: Durch Globalisierungs- und Migrationsprozesse werden die Gesellschaften so verunsichert, dass das traditionelle Konzept der Nation wieder stärker nachgefragt wird - als vermeintlicher Schutz gegen eine entfesselte Globalisierung. Auch die Mittelschicht ist heute krisenbedingt sozial und wirtschaftlich sehr verunsichert - auch das sieht man an den Moscheekonflikten. (Lisa Mayr, DER STANDARD, 19.3.2014)