Bild nicht mehr verfügbar.

Das Werkzeug der Chirurgen: Neben den Klassikern kommen nun immer mehr virtuelle Hilfsmittel dazu.

Foto: Darren Kemper/Corbis

Operationen im virtuellen Raum: Der "NeuroTouch" -Simulator an der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Wien am AKH.

Foto: MedUni Wien/Christian Houdek

Wien - Alexander Micko navigiert mit Pinzette und Mikroschere vorsichtig in eine Furche zwischen den Gehirnwindungen. Er kappt eine Reihe von weißen Gewebefäden, um das krankhaft erweiterte Blutgefäß darunter freizulegen. Sehr vorsichtig müsse man arbeiten, denn das Aneurysma könnte auch während der Operation platzen, erklärt der Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Wien am AKH. "Jetzt blutet es, weil ich zu fest angezogen habe", sagt er. Und, während er die Instrumente einfach beiseitelegt: "Ich kann Ihnen auch noch einen Tumor zeigen."

Vor Micko liegt kein echter Patient, sondern ein Plastikkopf. Die Operation selbst spielt sich im virtuellen Raum des "NeuroTouch" -Simulators ab, der dem Institut seit einigen Monaten zur Verfügung steht. Durch eine Art Brille - bei realen OPs ein Mikroskop - blickt Micko auf den Monitor, wo er ein dreidimensionales Bild eines Gehirnteils sieht. Zwei motorgetriebene, frei bewegliche Gerätearme lassen die Chirurgenhand spüren, was die Pinzette fasst oder die Schere schneidet. Die Haptik von Gewebe, Knochen und Gefäßen wurde für den Simulator genau rekonstruiert. "Das ist recht realitätsnah", sagt der Assistenzarzt, bevor er ein Endoskop montiert und es samt Bohrer durch eine virtuelle Nase schiebt, um dort den Weg ins Gehirn freizubohren.

Der "NeuroTouch"-Simulator reiht sich unter eine Vielzahl neuer Ansätze, die Visualisierungs- und Simulationstechniken in stärkerem Maß für klinische Behandlungen nutzen wollen. Die Konzepte reichen von Augmented-Reality-Mikroskopen über die automatische Analyse von 3D-Scans bis hin zu ihrer nahtlosen Einbindung in die Strahlentherapie.

Basis vieler Behandlungsplanungen sind 3-D-Visualisierungen. Dabei gebe es für die Darstellung einzelner Datensätze auf der Forschungsseite keine großen Probleme mehr, sagt Katja Bühler, die sich am Wiener Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis) mit Anwendungen im Medizinbereich beschäftigt. Im Moment liegen die Herausforderungen etwa darin, Daten mehrerer Diagnosequellen zusammenzuführen oder präoperative 3-D-Scans mit Messungen während der OP zu kombinieren und sie entsprechend aufzubereiten, sagt Bühler. "Die größte Challenge ist, jene Information zu bieten, die der Arzt im Moment benötigt."

Bühler selbst arbeitet mit ihrem Team im Rahmen des EU-Projekts "Summer" an Visualisierungen für die Radiotherapie. Aufnahmen aus möglichst vielen Quellen, Computertomografen, Magnetresonanztomografen, nuklearmedizinischer Positronenemissionstomografie und anderen, müssen dabei zusammengeführt werden. Ziel der Datenfusion ist es, "aus mehreren Informationen eine neue Information abzuleiten, um etwa einen Tumor besser von anderem Körpergewebe abzugrenzen", erklärt Bühler.

Schließlich wird das Bestrahlungsgerät mit den gewonnenen Daten gefüttert, um die Tumorzellen in Lunge, Prostata oder Gehirn auszuschalten. "Die Bestrahlung wird so moduliert, dass bestimmte Teile ausgespart werden", sagt Bühler. Umgebendes gesundes Gewebe und besonders empfindliche Körperteile wie Rückenmark oder Sehnerven sollen so weit wie möglich verschont bleiben.

Augmented Reality im OP

Auch Wolfgang Freysinger, Professor an der HNO-Klinik der Medizinischen Universität Innsbruck, arbeitet daran, 3-D-Visualisierungen besser in die operative Behandlung einzubinden. Er entwickelt mit seinem Team eine Augmented-Reality-Lösung, die 3-D-Objekte direkt in die Okulare des Operationsmikroskops einblendet. "Räumliche 3-D-Rekonstruktionen eines Tumors oder eines Zugangsweges überlagern so das 3-D-Bild des Mikroskops und verorten diese Informationen an der richtigen Stelle im Gesichtsfeld des Chirurgen", sagt Freysinger. Basierend auf Erfahrungen mit der Sony-Datenbrille hält Freysinger den künftigen Einsatz von Augmented Reality mit Google Glass für eine durchaus realistische Option. An der TU Graz wird bereits mit Ärzten des Krankenhauses der Elisabethinen an der Einbindung der Datenbrille in den chirurgischen Alltag gearbeitet.

Im HNO-Bereich entwickelt Freysinger auch Visualisierungen, die Chirurgen bei endoskopischen Eingriffen unterstützen. Um präzise Daten auch für sehr kleinräumige Eingriffe zu generieren, entwickelt er mit dem HNO-Arzt Florian Kral und weiteren Kollegen Hard- und Software, die die Genauigkeit der Navigation stark verbessert: "Rhinospider", ein Sensorsystem, das in die Nase eingeführt wird, schafft gemeinsame Referenzpunkte für die Ortung des Patienten im Raum. Damit optimiert das Gerät auch die Fusion verschiedener Bilddaten. Die Entwicklung des Prototyps wurde von der Förderbank Austria Wirtschaftsservice (AWS) unterstützt, erste klinische Tests des Geräts sollen bald folgen.

Um die Simulation von Aneurysmen und ihre operative Behandlung kümmert sich Johannes Dirnberger von der Risc Software GmbH in Hagenberg. In einem Vorgängerprojekt befassten sich Dirnberger und sein Team mit der Simulation des Blutflusses im Gehirn. Aus Daten einer Angiografie wurde dabei ein 3-D-Modell der Blutgefäße errechnet. Darauf aufbauend, wollen die Forscher in Kooperation mit dem AKH Linz, der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg und dem Medizinproduktehersteller Aesculap einen kostengünstigen Simulator speziell für das Abklemmen krankhaft erweiterter Blutgefäße entwickeln. Ein Fernziel des Projekts "Virtual Aneurysm", das von der Förderagentur FFG unterstützt wird, ist die Simulation auf Basis individueller Patientendaten. Ähnlich wie beim "NeuroTouch" soll der Simulator aus Oberösterreich vor allem lernen, haptisches Feedback über die Eingabegeräte zu geben.

Hinter dem "NeuroTouch" steht im Herkunftsland Kanada ein 50-köpfiges Forscherteam. Dass der erste derartige Simulator in Europa am Wiener AKH steht, hat mit Stefan Wolfsberger zu tun. Der Neurochirurg der Med-Uni Wien ist bei der Entwicklung des Simulators am National Research Council Canada als Berater tätig.

Mit dem Simulator sollen künftig nicht nur Trockentrainings absolviert und Operationen geplant werden. Er ist auch bereits Teil mehrerer Studien: "Wir planen, Ärzte nach eineinhalb Stunden zu wecken und Aneurysmen am Simulator operieren zu lassen", erklärt Wolfsberger, "ein Fall, der im Nachtdienst durchaus vorkommen kann".

Die Auswertung soll die Folgen von Stress abschätzbar machen. Es ist auch schon vorgekommen, dass eine Studentin in der Punktebewertung erfahrene Ärzte am "NeuroTouch" schlug - ein Indiz dafür, dass Simulation und reale OP vielleicht doch noch ein Stück weit auseinanderliegen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 19.3.2014)