Der EU-Wahlkampf kommt in der österreichischen Innenpolitik an: langatmige Auftaktveranstaltungen, gescheite Diskussionen, verdrehte Präsentationen. Kein Knüller, aber immerhin ein Knüllerchen. Spitzenkandidaten und EU-Parlamentarier haben plötzlich Zeit und Lust für Interviews, Hintergrundgespräche und allerlei repräsentative Tätigkeiten, bei denen sie Menschen und Medien begegnen und die EU erklären können.

EU wichtig und oft auch richtig

Sie tun das mit unterschiedlich ausgeprägtem Talent, aber immer aus der Überzeugung heraus, dass die EU wichtig und oft auch richtig ist. Selbst den rechten Recken aus der freiheitlichen Partei, die es in die europäische Fremde verschlagen hat, ist nicht entgangen, dass der Union eine gewisse Relevanz nicht abzusprechen ist. Dass das in Österreich nicht alle so sehen, sorgt für eine etwas verschämte Zurückhaltung in der Zurschaustellung europäischer Herzlichkeit.

Gegenseitige Zaghaftigkeit

Die Zaghaftigkeit, mit der die Kommunikation über europäische Themen betrieben wird, fußt auf Gegenseitigkeit: Die EU ist in der Darstellung kein Bringer, weder für diejenigen, die mit einer Botschaft zurück in die Heimat kommen, noch für die zu Hause gebliebenen Politiker, die sich gelegentlich an der Komplexität europäischer Belange versuchen. Auch für die Medien ist das nicht einfach: Sie merken rasch, wie das Interesse der geneigten Kundschaft versickert, wenn sich Europa in die Themenfindung verirrt. Die Korrespondentinnen und Korrespondenten in Brüssel gelten als Rufer in der Wüste, oft ungehört, aber immer angetrieben vom Eifer der europäischen Bedeutsamkeit.

Mächtig Potenzial

Der anhebende Wahlkampf böte Gelegenheit, das europäische Verständnis zu vertiefen und eine neue Zuneigung zu denen in Brüssel, Straßburg und drum herum zu entwickeln. Das sind ja nicht bloß Beamte und Verwalter im Kleinen, Zahler und Empfänger im Großen, das sind Mitbürger einer europäischen Union, die in vielem noch ausbaufähig ist, im Tun und im Wollen, im Haben und im Mögen. Da gibt es mächtig Potenzial. Die Parteien in Österreich gehen durchaus sehr differenziert an dieses Potenzial heran.

Blauäugig oder generell dagegen

Die Neos lieben Europa aus vollem Herzen, das klingt chillig, folgt aber einem blauäugigen Prinzip. Die Freiheitlichen sind generell dagegen, no na, Vorurteile und Ablehnung sind wesentliche Prinzipien ihrer Politik. Die SPÖ führt einen "Ja, aber"-Wahlkampf, glaubt sich also auf der sicheren Seite, wenn sie nicht eindeutig Position bezieht. Das ist das Faymann-Prinzip. Die ÖVP ist widersprüchlich unterwegs, liebt Europa so sehr wie Österreich, pendelt zwischen Persönlichkeit und Partei; das ist das Prinzip Karas, und Spindelegger muss glauben, diese Wahl überleben zu können.

Die Grünen führen eine derart komplizierte Kampagne, dass man noch nicht genau weiß, wofür sie stehen und wo sie hinwollen. Sie sind in Europa zu Hause, aber nicht in diesem, das ist das Prinzip Hoffnung, und die ist bekanntlich grün.

Die Hoffnung bleibt auch den vielen kleinen Listen, die um Aufmerksamkeit ringen und mit der Rückerstattung der Wahlkampfkosten spekulieren. Bei manchen Kandidaten ist das Ego größer als die Ambition - dieses Prinzip ist durchaus männlich.

Europa und seine Ausformungen sind vielfältig: Zwischen Glaube, Liebe, Hass und Hoffnung sollte jeder etwas finden. Die Suche könnte sich herausfordernd gestalten. Ganze zehn Wochen sind bis zur Wahl noch Zeit. (Michael Voelker, DER STANDARD, 17.3.2014)