Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Cocco
Vatikan/Wien - Die römisch katholische Kirche wehrt sich. Das vatikanische Dokument aus dem Jahr 1962, das erst vor kurzem aufgetaucht ist und für Aufsehen gesorgt hat, weil es Schweigen über sexuellen Missbrauch durch katholische Priester anordne, sei falsch verstanden worden.

Der Sprecher der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger, erklärte am Montag, das umstrittene Dokument "Crimen Sollicitationis" beziehe sich ausschließlich auf das kirchenrechtliche Verfahren gegen Priester, die beschuldigt werden, Gläubige bei der Beichte zu sexuellen Handlungen motiviert zu haben. In keiner Weise ordne das Dokument an, Fälle von sexuellem Missbrauch Jugendlicher vor den staatlichen Sicherheits- und Justizbehörden zu vertuschen. Das Dokument sei zum Schutz des Sakraments der Beichte gedacht. Laut Erzbischof Julian Herranz, der Präsident des Päpstlichen Rates für die Interpretation des Kirchenrechts, ist das Papier außerdem längst überholt.

"Crimen Sollicitationis" sei nicht als "Strategie der Vertuschung" geplant gewesen, versicherte Leitenberger weiter. Paragraf 15 verpflichte jeden Gläubigen zur Anzeige beim Bischof, sollte er etwas über sexuellen Missbrauch erfahren. Als Strafe bei Zuwiderhandeln stehe die Exkommunikation. Der Observer, der das Dokument veröffentlichte, hat hingegen berichtet: Jenen, die gegen die Schweigepflicht verstoßen, werde in dem Schreiben mit dem Kirchenausschluss gedroht.

Kirchenrechtler Richard Potz von der Uni Wien widersprach im ORF-Radio dem Vorwurf der Vertuschung. Die Kirche versuche damit "eine Quadratur des Kreises": einerseits das Beichtgeheimnis zu schützen, andererseits zu sichern, dass das Beichtgeheimnis nicht für sexuelle Verführungen missbraucht werde.

Fehlende Transparenz

Der Linzer Kirchenrechtler Herbert Kalb spricht von einem "rechtshistorischen Dokument". Er kritisiert die Form der Publizierung: "Man sollte derartige Dokumente transparent machen, um allfälligen Verschwörungstheorien die Grundlage zu entziehen." Die Vertreter von Opfern sexuellen Missbrauchs durch den Klerus sind auf jeden Fall empört: "Das beweist, dass es eine internationale Verschwörung der Kirche zur Vertuschung von Missbrauchsfällen gab", sagte der texanische Anwalt Daniel Shea. Allein in der US-Kirche haben in den vergangenen Jahren Hunderte angebliche Missbrauchsopfer Klagen gegen die Kirche eingebracht. (APA, pm/DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2003)