"Driften Europa und die USA auseinander?" Die Diskutanten gaben darauf Antworten anhand der Beispiele Ukraine, NSA und Freihandelsabkommen TTIP.

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Europa im Diskurs. Teil 1.

Europa im Diskurs. Teil 2.

Europa im Diskurs. Teil 3.

Europa im Diskurs. Teil 4.

Und auch beim transatlantischen Freihandelsabkommen spießt es sich noch sehr.

Völlig ausgeschlossen, dieser Tage von Europa zu sprechen, ohne schon im ersten Atemzug die Ukraine zu erwähnen - und so war es auch am Sonntag im Wiener Burgtheater.

Vor praktisch ausverkauftem Haus fanden die Diskutanten der Reihe "Europa im Diskurs" - veranstaltet vom Standard gemeinsam mit dem Haus am Ring, dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) und der Erste Stiftung - sehr schnell zu einer einheitlichen Haltung gegenüber der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin: "Das hier ist ein offener Bruch des Völkerrechts, ein Angriff auf die Souveränität eines unabhängigen Staates", hielt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz fest. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Lage in der Ukraine zu einer Abspaltung der Krim führen kann." Dagegen müsse vorgegangen werden; freilich nicht mit Androhung von Waffengewalt, sondern mit Strafmaßnahmen, die Russland wirtschaftlich unter Druck setzen.

Der deutsche SP-Politiker forderte gleichzeitig von den EU-Entscheidungsträgern Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Bürgern: Sie hätten ein Recht zu erfahren, dass die Sanktionen Auswirkungen auch auf ihr persönliches Leben haben können - nämlich steigende Energiepreise infolge reduzierter Versorgungssicherheit.

Dem pflichtete Werner Weidenfeld bei: "Ja, dann kann es sein, dass es finster wird bei uns. Will das die EU-Bevölkerung überhaupt?", fragte er in Anspielung auf Europas Abhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas. Der deutsche Politologe und ehemalige USA-Berater von Kanzler Helmut Kohl kritisierte gleichzeitig die EU-Spitzenpolitiker: "Die Krise war lange schon absehbar. Das sind alles keine Überraschungen; so wie es keine Überraschung sein wird, wenn in zwei bis drei Jahren Saudi-Arabien zum brisanten Thema wird. Es wurde verabsäumt, im Vorfeld zu reagieren."

An die Wirkung von Sanktionen, die die USA bereits in die Wege geleitet haben und denen nun die EU folgen dürfte, glaubt jedenfalls der in Österreich akkredidierte US-Gesandte Lee A. Brudvig: "Freilich, es gäbe eine militärische Option, aber diese ist eben nur eine von mehreren Möglichkeiten. Sanktionen können helfen: Märkte haben eine bemerkenswerte Kraft, Verhältnisse zu verändern." Und mit fortschreitender Dauer würde der Druck auf die Führung in Moskau wachsen und zu Ergebnissen führen.

Plädoyer für die Uno

Hans-Christian Ströbele, grünes Urgestein im Deutschen Bundestag, übte Kritik am Vergleich der Lage auf der Krim mit jener im Kosovo in den 1990er-Jahren. Damals sei der Nato ein Machtraum gegeben worden. "Hier muss aber nicht die Nato ran, sondern die Uno." Die Allianz sei nicht der geeignete Player in der Ukraine.

Der Bemerkung Brudvigs, die Krim-Krise habe die USA und Europa wieder zueinander geführt, wurde auf dem Podium eher nicht geteilt. "Wir Europäer sind kein gleichberechtigter Partner der USA", analysierte Schulz in einer phasenweise sehr lebhaften Diskussion; vor allem, als die Sprache auf das Zitat "Fuck the EU" kam: So hatte die US-amerikanische EU-Staatssekretärin Victoria Nuland in einem privaten Telefonat die Performance Brüssels in der Ukraine-Krise gewertet. Brudvig versuchte das Zitat zu entkräften: Nuland sei damals abgehört worden, es habe sich um eine private Unterhaltung gehandelt, da spreche man emotionaler und direkter als in einer offiziellen Situation.

Damit lieferte der US-Diplomat ein gutes Stichwort: das Ausspionieren europäischer Bürger - bis hin zu Spitzenpolitikern - durch den US-Geheimdienst NSA. Weidenfeld gab sich überraschend USA-kritisch: Washington sei verantwortlich für die Entwicklung einer "Vertrauensvernichtungsmaschinerie" und behandle Europa selektiv, je nach aktueller Interessenlage. Das Spektrum reiche dabei von fester, freundschaftlicher Umarmung ("Ich hatte oft Angst um meine Rippen!") bis hin zu kaum verhüllter Drohung. "Die USA tun sich leichter, ihre Interessen zu formulieren und zu verfolgen, als die EU. In den Augen der Amerikaner sind wir viel zu soft."

Ströbele, Mitglied des Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags für Geheimdienste, warf den USA auch heute noch "Lügen" vor - also auch nach der Ankündigung von Präsident Barack Obama, die Allierten künftig nicht mehr zu belauschen. "Es gibt keine Gleichberechtigung, es gibt keine Begegnung auf Augenhöhe. Hier muss ein Schlussstrich gezogen werden." Dem Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden - Ströbele hatte ihn im Herbst 2013 in Moskau getroffen - könnte eine wichtige Rolle bei der Wahrheitsfindung zukommen; nämlich dann, wenn die USA nichts zur weiteren Aufklärung beitragen.

Kritik an Handelsabkommen

Zurückhaltung herrschte auf europäischer Seite auch in der Bewertung des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP: Ströbele sah darin eine Gefahr für die Errungenschaften des europäischen Rechtsstaates, und auch Schulz gab sich alles andere als begeistert: "Man hat mit zu heißer Nadel gestrickt." Es sei nun sehr deutlich, wie weit die Positionen auseinanderliegen, und er habe Sorge, dass mit einem raschen Abschluss EU-Standards unterminiert würden: "Vorerst keinen Schritt weiter."

Brudvig hingegen sah mehrere Schritte nach vorn und dann wieder einige zurück, aber insgesamt eine "Bewegung vorwärts". Diese werde es nur geben, wenn die TTIP-Verhandlungen zur "Chefsache" erklärt werden, konterte Weidenfeld. Sind also die EU und die USA näher zusammengerückt? Wohl kaum, eine Annäherung sieht anders aus. Anhand der Krim-Krise wird sich aber später einmal ablesen lassen, ob sie nicht doch noch gelang. (Gianluca Wallisch/DER STANDARD, 17.3.2014)