"Aufgabe des DÖW ist nicht Politik, sondern Wissenschaft", sagt Gerhard Baumgartner.

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STANDARD: Was sollte der Schwerpunkt des DÖW sein - die Aufarbeitung des Nationalsozialismus oder die Dokumentation aktueller rechtsextremistischer Umtriebe?

Baumgartner: Das DÖW hat eine einzigartige Dokumentation in den Bereichen Widerstand und Verfolgung, zu den politischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit, aber auch der Nachkriegszeit. Der große Unterschied zu früher ist: Wir haben Konkurrenz bekommen, nicht mehr dieses Alleinstellungsmerkmal. Es gibt mehr Player, die sich zum Teil mit dem Material des DÖW profilieren. Das Archiv ist im öffentlichen Diskurs zu wenig präsent.

STANDARD: Verkauft es sich schlecht?

Baumgartner: Ja. Das DÖW muss stärker in der Öffentlichkeit vermitteln, was seine Rolle ist.

STANDARD: Ist es Teil dieser Rolle, zu aktuellen politischen Fragen Stellung zu beziehen, zu mahnen?

Baumgartner: Mahnen ja, aber es ist nicht die Aufgabe des DÖW, Politik zu betreiben. Seine Aufgabe ist Wissenschaft. Das sind zwei Paar Schuhe.

STANDARD: Gilt das auch für den Bereich des Rechtsextremismus? Hier hat sich das DÖW immer wieder als aktiver Mahner hervorgetan.

Baumgartner: Auch in diesem Bereich geht es darum zu dokumentieren. Es gibt zurzeit zwei europäische Urängste, das eine sind osteuropäische Roma, das andere osteuropäische Neonazis. Mir schwebt eine Art zentraleuropäischer Rechtsradikalismus-Ticker vor, wo man laufend informiert wird, was los ist. Unsere Rechtsradikalen sind europaweit gut vernetzt. Darüber gibt es zu wenig Wissen.

STANDARD: Sie übernehmen eine Institution, die technisch weit vom 21. Jahrhundert entfernt ist.

Baumgartner: Das sehe ich auch so. Die Zeiten, in denen Forscher in Zettelkästen kramen, sind vorbei. Einer der Punkte, mit denen ich mich beworben habe, war die Digitalisierung der Bestände. Die Idee ist aber nicht neu am DÖW. Es stellt sich die Frage, ob das nicht ausgelagert werden kann. Inhaltlich ist das Archiv jedenfalls gut aufgestellt. Es gibt etwa diese wahnsinnig große Sammlung von Zeitzeugen-Interviews.

STANDARD: Noch gibt es einige Zeitzeugen. Kommende Generationen werden über den Nationalsozialismus nicht mehr aus erster Hand erfahren.

Baumgartner: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es nichts mehr zu tun gibt, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt. Es gibt zwei Faktoren, warum noch viel Arbeit bleibt. Das eine ist die Öffnung vieler Archive in Osteuropa, wo viel Material schlummert. Durch die Digitalisierung der Archive im Westen tauchen überraschende Dinge auf.

STANDARD: An jungen Menschen läuft so etwas aber vorbei.

Baumgartner: Das direkte Gespräch fällt sicher weg. Aber das Zeitzeugengespräch ist nicht alles. Der Nationalsozialismus ist für einen 15-Jährigen heute Geschichte. Für meine Generation war er noch familiengeschichtlich brisant: Gab es Nazis in der Familie, war jemand im Widerstand? Dafür war mein Geschichtsunterricht zu dieser Zeit nur elf Zeilen lang. Die Vermittlung heute geht zunehmend über das Thema Menschenrechte, aber der direkte familiäre Zusammenhang ist immer noch faszinierend. Auch kann man in der Familie heute leichter darüber reden. Die Täterforschung hat ja erst jetzt richtig begonnen, da ist noch einiges offen.

STANDARD: Die Rechte heute relativiert den Nationalsozialismus gerne, indem sie ihn als einen Totalitarismus unter anderen versteht.

Baumgartner: Der Versuch, Nationalsozialismus und politische Verfolgung in der Sowjetzeit zusammenzumischen, ist gefährlich. Das darf man nicht zulassen. Man gedenkt auf einmal nicht mehr der Holocaust-Opfer, sondern "aller Opfer autoritärer Regime".

STANDARD: Reicht es angesichts dessen, wissenschaftlich zu sein und keine Politik zu betreiben, wie Sie das für das DÖW vorsehen?

Baumgartner: Das DÖW hat einen klaren Standpunkt: Wo es um Rechtsradikalismus geht, und um den geht es in der FPÖ manch mal, muss man offen dagegen auftreten. Natürlich ist diese politische Auseinandersetzung zu führen. Ich meine nicht, dass hier keine Stellung bezogen werden soll.

STANDARD: Die FPÖ unter Haider wurde als rechtsextrem eingestuft. Wie ist das unter Strache?

Baumgartner: Die FPÖ ist sehr populistisch geworden. Ich finde den Populismus nicht positiv. Aber er hat nicht mehr unbedingt diese rassistische Komponente. Was die FPÖ in der Nachkriegszeit ausgemacht hat, die sehr starke deutschnationale Orientierung, ein Naheverhältnis zur NSDAP, das wird schwächer. Das Hauptproblem ist weiterhin, dass die meisten Politiker der FPÖ sich vom Nationalsozialismus nicht eindeutig abgrenzen können. Das bringen sie nicht zusammen, weil sie offenbar fürchten, einen Teil der Wähler zu verlieren.

STANDARD: Die Verbindung ins rechtsextreme Burschenschaftsmilieu und den Überfremdungsdiskurs gibt es nach wie vor in der FPÖ.

Baumgartner: Ich bin kein Experte für die FPÖ. Aber es ist offensichtlich, dass es eine starke Verbindung in dieses Milieu gibt. Das hat viel damit zu tun, dass sie aufgrund des politischen Erfolges viele Posten besetzen müssen. Denen fehlt schlicht Personal.

STANDARD: Kommt das Handbuch des Rechtsextremismus wieder?

Baumgartner: Das kann ich noch nicht beantworten. Ich habe es natürlich früher gekauft. Aber es ist ein Ziegel, und ich hätte es eigentlich lieber auf dem Bildschirm. (Lisa Mayr, Peter Mayr, DER STANDARD, 15.3.2014)