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Seltene Ansicht: Premierminister David Cameron und Oppositionsführer David Miliband gemeinsam auf einem Foto. Hier bei der Inthronisation des Erzbischofs von Canterbury vor einem Jahr.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Während Großbritanniens Premierminister David Cameron am Mittwoch Israel und Palästina besuchte, wagte sich Oppositionsführer Edward Miliband zu Hause auf ähnlich umstrittenes Terrain. Zehn Wochen vor der Europawahl distanzierte der Labour-Chef seine Partei von der Volksabstimmung, die Cameron bis Ende 2017 plant. Sollte Labour die nächste Wahl gewinnen, will Miliband zwar Reformen des Brüsseler Clubs anregen: "Europa muss bessere Ergebnisse für Britannien erzielen." Ein Referendum über die dauerhafte Mitgliedschaft der Insel werde es aber nur geben, wenn zusätzliche Kompetenzen abgegeben würden. "Das ist möglich, aber unwahrscheinlich", sagte Miliband in London.

In den Umfragen für die Unterhauswahl im kommenden Jahr liegt Labour stets vor den Konservativen, wenn der Abstand zuletzt auch auf vier Prozent schrumpfte. Das würde reichen, um Miliband in die Downing Street zu befördern, den Amtssitz des Premierministers. Auch in den Befragungen zur Europawahl nehmen die Sozialdemokraten Platz eins ein, diesmal aber vor der UKI-Partei, die für den Austritt Großbritanniens aus der EU wirbt.

Camerons Volksabstimmung

Um den Nationalpopulisten sowie den EU-Feinden in seiner eigenen Fraktion das Wasser abzugraben, hatte Cameron vor Jahresfrist eine Volksabstimmung versprochen. Dabei sprach der Chef der konservativ-liberalen Koalition wenig von britischen Forderungen und viel von dringend nötigen Reformen für den gesamten Brüsseler Club. Labour positioniert sich mit einer patriotischeren Pose: "Wir wollen Veränderungen für Großbritannien", sagt der außenpolitische Sprecher Douglas Alexander, ohne die Bedürfnisse der 27 anderen EU-Mitglieder zu erwähnen.

Auf der Wunschliste stehen alte britische Ideen wie die Weiterentwicklung des Binnenmarkts in den Sektoren Energie, Dienstleistungen und Digitales. Zudem macht sich Labour das Unbehagen der Bevölkerung über zu viel Einwanderung vom Kontinent zu eigen: Längere Fristen für Neumitglieder, raschere Abschiebung von Kriminellen, keine Sozialleistungen für Kinder, die nicht auf der Insel leben – all diese Themen hat auch Cameron forciert. "Plötzlich klingt Labour wie die Tories", wundert sich BBC-Altmeister Jeremy Paxman.

Miliband grenzt sich ab

Doch Miliband will vermeiden, dass die ersten zwei Jahre seiner möglichen Regierungszeit von einer Debatte über Europa bestimmt werden. Er spricht deshalb ausdrücklich nur von einem "britischen Kompetenztransfer" und unterscheidet sich damit grundlegend von Cameron. Der Konservative verknüpft ja die angekündigte tiefere Integration der Eurozone mit seinen Wünschen: Die nötige vertragliche Absicherung weiterer Integrationsschritte werde seine Zustimmung nur erhalten, wenn Deutschland, Frankreich und andere Großbritannien entgegenkommen. Hingegen signalisiert Miliband: Die Integrationsfreunde können machen, was sie wollen – solange die Insel nicht zu engerer Kooperation aufgefordert wird.

Ob diese fein ziselierte Differenzierung bei den EU-skeptischen Briten ankommt? Das ist möglich, aber unwahrscheinlich. Offenbar setzen die Sozialdemokraten darauf, dass Patrick Dunleavy von der London School of Economics (LSE) recht hat: "Ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel will lieber heute als morgen raus aus der EU. Ungefähr ein Fünftel findet Brüssel gut. Der große Rest denkt nicht viel darüber nach, ist aber instinktiv dagegen."

Genauso instinktiv machen sich aber viele Bürger Sorgen darüber, was eine Loslösung vom Binnenmarkt mit 400 Millionen Konsumenten bedeuten würde. Nicht zufällig beschrieb Miliband seinen neuen Europakurs vorab in der "Financial Times": Dem Wirtschaftslager insgesamt und dem Finanzsektor im Besonderen wäre die Unsicherheit ein Gräuel, die mit einer lang angekündigten Volksabstimmung einhergeht. (Sebastian Borger aus London, derStandard.at, 12.3.2014)