Bild nicht mehr verfügbar.

Bei Frauen sind die Verknüpfungen zwischen beiden Gehirnhälften stärker ausgeprägt als bei Männern, die dafür wesentlich mehr Kontakte innerhalb der Hirnhälften haben.

Innsbruck - Die Lebensgeschichte eines Menschen bildet sich auch in seinem Kopf ab. Wie das eigene Gehirn im Erwachsenenalter aussehen und arbeiten wird, wie die beiden Gehirnhälften in sich selbst und miteinander verknüpft sind und welche Areale häufiger verwendet werden, ist von unzähligen Faktoren abhängig. Der Modellierprozess beginnt bereits im Mutterleib mit der unbeeinflussbaren Entscheidung, welches Geschlecht ein Baby später haben wird, zieht sich weiter über das Vorhandensein von Bezugspersonen im Kindesalter, hat genetisch determinierte sowie äußere Komponenten, ist unglaublich komplex und erst teilweise erforscht.

Ein in der Wissenschaft bekanntes Beispiel und Beweis dafür, wie flexibel das Gehirn ist und wie deutlich es sich durch Lebensumstände verändern kann, ist eine Studie über Londoner Taxifahrer. Sie zeigt, dass sich durch hohe Merkleistung - eben etwa das Auswendiglernen von Straßennamen und Sehenswürdigkeiten - der Hippocampus verändert. Taxifahrer weisen in diesem für das Gedächtnis verantwortlichen Areal mehr graue Substanz auf, tun sich stattdessen aber schwerer, komplexe Figuren nach kurzer Zeit aus dem Kopf wiederzugeben - wohl als Folge des einseitigen Trainings. All das, was wir besonders lange und häufig machen und erleben, verändert also auch unser Hirn.

Ein Faktor, der eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Gehirns im Kindesalter spielt, sind die Beziehungen, die ein junger Mensch zu Bezugspersonen aufbaut. Nun müssen Kinder, die etwa ohne Vater aufwachsen, nicht notwendigerweise andere Gehirnstrukturen aufweisen, einen wesentlichen Einfluss habe die Anzahl an Menschen, die sich um ein Kind kümmert, jedoch auf jeden Fall: "Wir wissen aus Untersuchungen mit Mäusebabys, dass deren Gehirn verkümmert, wenn ihnen sehr frühzeitig die Mutter entzogen wird. Aus anderen Studien wissen wir, dass die Abwesenheit des Vaters ähnliche Auswirkungen hat", sagt Christine Bandtlow, Direktorin der Sektion Neurobiochemie der Medizinischen Universität Innsbruck.

Mutter, Mutter, Kind

Auch Kinder, die in reizarmer Umgebung aufwachsen, hätten ein "verarmtes Gehirn". Wichtig sei für Menschen also vor allem zumindest eine Bezugsperson. Ideal sei für die Entwicklung des Gehirns jedoch, das würden Studien zeigen, wenn sich zwei oder mehrere Erwachsene um ein Kind kümmern. "Das Geschlecht der Bezugspersonen spielt dabei keine Rolle - das können genauso zwei Mütter oder überhaupt maternale Haushalte oder auch zwei Väter sein", sagt Bandtlow.

Sie wird von ihrer Kollegin Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, unterstützt: "Verhalten und Entwicklung des Gehirns lassen sich nicht klar trennen. Verallgemeinert lässt sich sagen, dass die Persönlichkeit der Eltern und etwa deren geistige und körperliche Gesundheit Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben, es gibt jedoch keine Studie, die nur ansatzweise bestätigen würde, dass das deren sexuelle Orientierung täte." Sevecke glaube auch nicht, dass dies jemals wissenschaftlich abdeckbar sei, da für eine gelungene Elternschaft unzählige Faktoren eine Rolle spielen würden und das Geschlecht eben bloß einer von vielen sei.

Andere Verdrahtung

Was inzwischen als gesichert gilt, sind Unterschiede im Gehirn von Männern und Frauen. Die Geschlechter sind anders verdrahtet: Bei Frauen sind die Verknüpfungen zwischen beiden Gehirnhälften stärker ausgeprägt, während Männer mehr Kontakte innerhalb der Hirnhälften haben. Verantwortlich dafür sei ein Zusammenspiel aus genetischer Determinierung, kulturellem Einfluss und Sozialisation, glaubt Bandtlow.

Das Gehirn sei, vereinfacht gesprochen, in der frühen Embryonalphase noch neutral ausgerichtet, doch die Hormone, die für die Ausbildung des Geschlechts verantwortlich sind, hätten ebenso Einfluss auf die Hirnentwicklung. Auch homosexuelle Menschen würden andere Gehirnstrukturen aufweisen als gleichgeschlechtliche Heterosexuelle. "Wobei schwule Männer nicht das Gehirn einer Frau haben, die Verschaltungen zwischen ihren Gehirnhälften sind aber häufiger - vor allem bei Homosexuellen, die ein frühes Coming-out hatten", sagt Bandtlow. Das Gehirn sei dann eben nicht auch davon geprägt worden, in der Rolle eines Heterosexuellen zu leben.

Ganz deutlich seien Unterschiede bei Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren können. Sie hätten zumeist tatsächlich das Gehirn des anderen Geschlechts. "Und sie passen mit einer Operation quasi den Körper an ihr Gehirn an", sagt Bandtlow. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 11.3.2014)