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Großer Kulturmanager und Enfant terrible Gerard Mortier: Er schätzte die öffentliche Auseinandersetzung, er war aber auch ein kreativer Denker, immer gut für überraschende Programmideen.

Foto: REUTERS/Susana Vera

Brüssel - Intendanten kommen gemeinhin - unfreiwillig - ins Gerede, so sie mit den Finanzaspekten ihres Wirkungskreises Probleme bekommen oder die künstlerische Seite ihrer Arbeit zu sehr der uninspirierten Routine überantworten. Anders Gerard Mortier. Der 1943 im belgischen Gent als Sohn eines Bäckers geborene Kulturmanager suchte die Manege der öffentlichen Scharmützel offensiv.

Mit ironischen Provokationen entfachte er polemisch Debatten und schien die Folgen meist zu genießen. So war es, bevor er Intendant der Salzburger Festspiele wurde, als er keck bekundete, Salzburg seit Jahren nicht mehr besucht zu haben. So blieb es, als er nach dem Tod Herbert von Karajans geholt wurde, das Festival zu erneuern. Doch bei allen Auseinandersetzungen mit der Politik (auch der damalige Bundespräsident Thomas Klestil bekam Mortier-Sager ab), bei allen Konflikten mit den Wiener Philharmonikern, die sogar drohten, Salzburg zu verlassen und in Wien ein neues Festival zu bespielen: Mortier war ein kreativer Programmierer mit Substanz, der als Intendant versuchte, Tradition und Moderne originell im Sinne des Aufrüttelns von Gesellschaft zu verbinden.

Immer auch aktuell

Vor allem Oper war ihm dabei jener Ort, an dem aktuelle gesellschaftliche Themen zu verhandeln waren. Musiktheater war ihm also jene Kunstform, die - so sie Zukunft haben wollte - der Brisanz bedurfte, indem man deren Standardwerke durch interessante Regieköpfe neu befragen ließ.

Es glückte natürlich nicht alles. Auch unter Mortier, der in Salzburg von 1991 bis 2001 wirkte, gab es Oper der alten Schule. Und manch Experiment, etwa von Hal Hartleys Soon, erfüllte nicht unbedingt die Erwartungen. Mortier schaffte es jedoch fast immer, die Festspiele als jenen Ausnahmezustand zu inszenieren, der das Besondere wollte. Er riskierte, programmierte mutig und litt wohl selbst darunter, bisweilen an pragmatischen Kompromissen nicht vorbeizukommen.

In gewissem Sinne hatte er es leichter als seine Salzburger Nachfolger: Mit den Reserven seines Vorgängers Karajan arbeiten zu können erscheint im Lichte der nach Mortier beginnenden Sparepoche als veritabler Idealzustand. Und zweifellos war es damals leicht, Erneuerung zu suggerieren, indem man u. a. etwa die Modernereihe Zeitfluss (von Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin) ins Großfestival integrierte. All dies geschah - mit dem erfahrenen und zu Mortiers Glück in kaufmännischen Belangen besonnenen Hans Landesmann an seiner Seite - indes aus Überzeugung. Mortier war ein Mann der Moderne, der die Belebung der Tradition (wie sie ein Festival wie Salzburg darstellt) als deren einzige Relevanzchance betrachtete.

So gelang ihm in Salzburg eine veritable Imagekorrektur, von der die Nachfolger Peter Ruzicka, Jürgen Flimm und auch Alexander Pereira profitierten, ohne über das von Mortier Erreichte hinausgelangen zu können.

Erfolge auch nach Salzburg

Dass Salzburg 2001 nicht nur ein "Enfant terrible" verließ, vielmehr eine der großen Intendantenfiguren nach 1945, zeigte sich durch die nachfolgenden Stationen ihres Wirkens: Mortier übernahm 2002 die Leitung der Ruhrtriennale und wechselte 2004 als Intendant an die Pariser Opernhäuser. Um ein Haar hätte er auch in Bayreuth eine führende Position erlangt. Daraus wurde nichts, wie auch aus dem Plan, die New York City Opera zu übernehmen.

So zog Mortier schließlich nach Madrid ans Teatro Real, wo er mit harschen Sparmaßnahmen konfrontiert wurde. Dennoch gelang es ihm, internationales Interesse zu wecken. Es gab u. a. die Philip-Glass-Uraufführung The perfect American oder die Michael-Haneke-Regie von Così fan tutte (die heuer zu den Wiener Festwochen kommt). Zuletzt setzte er noch ein Rufzeichen mit der Opernversion der schwulen Filmliebesgeschichte Brokeback Mountain.

Gerard Mortier ist am Sonntag an den Folgen seiner Bauchspeicheldrüsenkrebs-Erkrankung gestorben. Der schließlich nur noch als Berater des Teatro Real in Madrid tätige streitbare Erneuerer war zuletzt wieder nach Brüssel gezogen, wo er in den 1980ern das Theatre royal de la Monnaie inspiriert geleitet hatte. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 10.3.2014)