Die Neo-Montafoner und ihre Helfer (Zweiter von links Franz, ganz rechts Helene Rüdisser) in der traditionsgerechten guten Stube des Schrunser Heimatmuseums. 

Foto: Christian Grass

Schruns - Adem Sabanaj, der große stattliche Mann, fasst Helene Rüdisser um die Taille, drückt sie und wirbelt mit ihr im Überschwang der Gefühle durch die Montafonerstube. "Das ist meine Mama, meine liebe Mama", sagt der dreifache Familienvater. Er verdankt der Initiative von Rüdisser und weiteren engagierten Bürgern, dass er im Montafon bleiben darf.

Als Angehöriger einer ethnischen Minderheit in Serbien kam Sabanaj vor fast zehn Jahren als Flüchtling in das Vorarlberger Tal. Heute sagt er zur seiner Heimatgemeinde "Schru", wie ein richtiger Schrunser, trainiert die Jugend des örtlichen Fußballklubs, arbeitet im besten Hotel am Platz als Salatier, hat mit seiner Familie das humanitäre Bleiberecht.

Vorgelebte Integration

Weihnachten 2008, die jüngste Tochter Medina war gerade drei Wochen alt, erhielt die Familie einen Abschiebungsbescheid für das Baby. Der Formalakt der Behörde rüttelte engagierte Bürger auf. "Uns wurde erstmals richtig klar, dass die Kinder und ihre Familien bei uns nicht sicher sind", sagt Helene Rüdisser. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem früheren Schuldirektor Franz, gründete sie die Initiative "Wir brauchen diese Kinder". Ziel war, jenen Flüchtlingsfamilien, die über die Caritas im Schrunser Flüchtlingsheim Maria Rast landeten, Heimat zu geben. Und jenen, die Überfremdung und Ausländern schrien, vorzuleben, wie Integration funktionieren kann.

Fünf Jahre nach Gründung der Initiative sitzt eine bunte Gruppe in der guten Stube des Heimatmuseums in Schruns. In fast der gleichen Zusammensetzung trafen sie sich Weihnachten 2009 zum Gespräch mit dem Standard - damals voll Sorgen und Ungewissheit, in steter Angst vor der Abschiebung. Heute schauen sie optimistisch in die Zukunft. Alle 13 Familien bekamen das humanitäre Bleiberecht. "34 Kinder, 25 Erwachsene", bilanziert Franz Rüdisser. Alle haben Arbeit, sind integriert.

Ganz konkrete Berufspläne

"Ich bin Mohi-Frau", sagt Malahat Ibrahimova aus Aserbaidschan. Sie arbeitet für den Mobilen Hilfsdienst (Mohi), betreut pflegebedürftige alte Menschen. Ihr Mann habe seinen Traumjob gefunden, als Fernfahrer, erzählt sie. Merine Tamoyan arbeitet in einer Pension, ihr Mann in der Metallverarbeitung. Ismaijl Jalilyan ist 13, besucht die Mittelschule, spielt Fußball. Befragt nach seinen Zukunftsplänen, überlegt er keine Sekunde: "Ich werde Bürokaufmann."

Bis zum heutigen Status, Rot-Weiß-Rot-Karte und befristete Niederlassung, war es für alle ein langer Weg. Die Initiative knüpfte ein Netzwerk, nach anfänglichen Hürden wurden auch die regionalen Behörden und Politiker Teil davon. Initiativenmitglieder begleiteten die Flüchtlinge bei allen Behördenwegen, verschafften Wohnraum, halfen bei Schulschwierigkeiten, organisierten Veranstaltungen, schufen Möglichkeiten der Begegnung.

"Eigentlich wollten wir nie Geld sammeln", erinnert sich Helene Rüdisser. Aber dann kamen immer mehr Spenden. "Wir haben dann bald gesehen, dass wir das Geld dringend brauchen können." Die Rot-Weiß-Rote-Karte kostet 130 Euro. "Wie soll das jemand ohne Einkommen aufbringen?" So bekamen alle zum Start ein Sparbuch mit 130 Euro.

Bei der für kinderreiche Familien sehr schwierigen Wohnungssuche hilft man mit "Mikrokrediten", sagt Helene Rüdisser. Staatliche Unterstützung bekommen die Familien, abgesehen vom winterlichen Heizzuschuss von 250 Euro, keine mehr. Wohnbeihilfe gibt es für sie nicht.

Anonymer und zentralistischer

Auf die Frage, ob ihre Arbeit nun beendet sei, antwortet Helene Rüdisser spontan: "Nein!!" Was die engagierten Bürger aktuell beschäftigt, sind die Behördengänge für gut ein Drittel der Kinder, die staatenlos sind. In Österreich geboren, haben sie weder Papiere des Heimatlandes noch des Geburtslandes. Papiere zu beschaffen bereitet Mühe und Kosten. Die einfachste Lösung wäre die österreichische Staatsbürgerschaft für hier Geborene, sagt er.

Nach wie vor kommen Flüchtlinge ins Schrunser Caritas-Heim. Merine Tamoyan betreut dort mit ihrem Mann Flüchtlinge aus Syrien, Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden wie sie selbst. "Die Gesetzeslage hat sich geändert", sagt Franz Rüdisser, "die Menschen kommen und sind sehr schnell wieder weg". Die Neuorganisation durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit seinen Regionalstellen bringe keine Vorteile: "Alles wurde anonymer, zentralistischer. Örtliche Initiativen werden es jetzt schwerer haben." (Jutta Berger, DER STANDARD, 8.3.2014)