Das Kind hat viele Namen: Transformational Diplomacy, Naked Diplomacy, Open Diplomacy, Real-Time Diplomacy. Die Amerikaner machten unter Außenministerin Hillary Clinton eine "Statecraft for the 21st Century" -Initiative daraus, die Schweden riefen erst vor wenigen Wochen in ihrer Hauptstadt die "Stockholm Initiative for Digital Diplomacy" zusammen, bei der sich die schärfsten Köpfe in diesem Geschäft aneinanderschleifen und über Wesen und Wirken der auswärtigen Angelegenheiten in Zeiten von Bits und Bytes grübeln konnten.

Im Jahr 2002 hat das State Department unter Colin Powell in Washington, DC, eine erste Miniabteilung zum Thema eingerichtet, etwas mehr als zehn Jahre später ist die digitale Diplomatie nicht mehr aus dem Arbeitsalltag geschickter Gesandter und virtuell versierter Minister wegzudenken.

Nichts für Kontrollfreaks

Das mag viele Gründe haben, wesentlich sind zwei: "Das 21. Jahrhundert ist eine furchtbare Zeit für Kontrollfreaks", sagte Hillary Clintons Digital-Diplomacy-Guru Alec Ross einst im Interview mit dem Standard. Diese Lektion mussten die Amerikaner selbst schmerzhaft lernen, nachdem sie während des von Wikileaks ausgelösten Depeschen-Desasters über Wochen öffentlich mit heruntergelassenen Hosen und roten Ohren dastanden und jeder streng geheime Kabelberichte säuberlich archiviert nachlesen konnte.

Die Supermacht musste spätestens da zugeben, dass der digitale Raum niemals diplomatisch so zu kontrollieren ist wie politisch eingehegte Situationen in Verhandlungssälen oder bei Vieraugengesprächen. Deshalb ging sie dazu über, die virtuelle Welt so schnell und umfassend wie möglich mit ihren Positionen, Papieren und Themen zu besetzen - anders gesagt, das Maximum an digitaler Dominanz herzustellen. Heute arbeiten allein in Washington rund 100 Mitarbeiter an der US-Digitaldiplomatie. Dazu kommt ein Heer von "information specialists" in den amerikanischen Botschaften weltweit. Der US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, schafft es etwa über Twitter, eine russische Öffentlichkeit zu erreichen, die er über traditionelle Medienkanäle niemals bekommen könnte.

Das Interessante allerdings ist - und das ist der zweite wesentliche Grund für den Boom der Social Media und insbesondere Twitters in den Staatskanzleien -, dass pure Größe und Macht dabei nur bedingt zählen. Eher kleine Länder wie Schweden sind in der Lage, im virtuellen Raum weit über ihrer politischen Gewichtsklasse zu boxen, weil Außenminister Carl Bildt (267.000 Follower auf Twitter) ein Champion im Vorantreiben digitaler auswärtiger Beziehungen ist. Damit hängt er Kollegen wie John Kerry und William Hague (128.000 beziehungsweise 206.000 Follower) ab - Sebastian Kurz hält übrigens bei 14.600 Followern, das Außenamt selbst forciert seit 2012 eine strukturierte Cyberdiplomatie.

Daneben werfen internationale Organisationen, NGOs und sogar der Papst ihre Standpunkte in den digitalen Raum, lassen Thinktanks Papiere zirkulieren, bewerten Experten und Journalisten Entwicklungen und Ereignisse, die neben ihrer realen Dimension immer auch eine virtuelle haben (siehe den auch im Internet ausgefochtenen Kampf um Kiew).

Gesammelt lassen sich auf der Website twiplomacy.com Statistiken nachlesen, wer mit wem vernetzt ist, wer wie viel und vor allem selbst zwitschert und postet. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 8.3.2014)