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Wer ist für den Einsatz von Scharfschützen in Kiew verantwortlich? Die EU muss sich für die Klärung dieser Frage um die Einsetzung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission bemühen.

Foto: Reuters/Radio Free Europe

Die Veröffentlichung seines Telefonats mit Catherine Ashton sei kein Zufall, sagt Urmas Paet. Mit dieser Einschätzung trifft der Außenminister Estlands ins Schwarze. Auch, dass er das Abhören der Telefone "äußerst bedauerlich" findet, ist leicht nachvollziehbar, obwohl dies spätestens seit dem NSA-Skandal keine neue Erkenntnis darstellen sollte.

Für die Normalbürger, die im Namen des Antiterrorkampfes ohnehin unter Generalverdacht und daher unter steter Kontrolle diverser Geheimdienste stehen, ist die Veröffentlichung abgehörter Gespräche offizieller Stellen jedoch weniger bedauerlich als vielmehr äußerst aufschlussreich. So sollte nach der F-Wort-Affäre Victoria Nulands jedem klar sein, welchen Stellenwert Brüssel und seine Funktionäre bei den Verbündeten in Washington haben.

Schwere Vorwürfe einer Ärztin

Und auch das nunmehr aufgetauchte Gespräch Paets mit der Außenbeauftragten der EU bietet eine Fülle höchst interessanter, teils überraschender Erkenntnisse. Die beiden Gesprächspartner haben jedenfalls nun Erklärungsbedarf, wieso den von Paet eindringlich geschilderten Vorwürfen der Ärztin und Maidan-Aktivistin Olga Bogomolets, hinter der Ermordung zahlreicher Demonstranten und Polizisten durch Scharfschützen könnten Mitglieder der neuen Führung in Kiew stecken, nicht nachgegangen wurde. Bogomolets beklagte, dass die Koalition, die zwei Tage vor dem Gespräch der Ärztin mit Paet die Macht übernommen hatte, keinerlei Interesse zeige, die Vorfälle, die letztlich zum Sturz des Präsidenten Wiktor Janukowitsch geführt hatten, aufzuklären.

Ebenfalls am Mittwoch verlautbarte der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, ein geplantes Hilfspaket Brüssels über mehr als elf Milliarden Euro für die neue Regierung, welches an umfangreiche Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen müssen um einen Punkt erweitert werden - und zwar die Aufklärung der Morde durch eine unabhängige internationale Untersuchungskommission. 

Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs

Die neue Führung hatte ohnehin - just am selben Tag, als Bogomolets mit Paet sprach - bereits beschlossen, Janukowitsch vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgen zu lassen. Diese Ermittlungen müssen jedoch ergebnisoffen, sozusagen "gegen unbekannte Täter" geführt werden. Klar ist auch, dass dies nur in enger diplomatischer Abstimmung mit Moskau möglich ist. Eine ehrliche Untersuchung könnte allerdings auf diese Weise auch Bewegung in die festgefahrene Situation auf der Krim bringen.

Eine vollständige Aufklärung der Hintergründe der Todesschüsse vom Maidan kann nur im Interesse der neuen Kiewer Führung sein, denn wie Paet im Telefonat mit Ashton festhält, haben die aus der Zivilgesellschaft stammenden Aktivisten keinerlei Vertrauen in die Koalition, die durch die Vorwürfe "von Beginn an diskreditiert" sei. Eine Untersuchung könnte daher zur Vertrauensbildung beitragen. Der EU wiederum könnte damit die eventuelle spätere Erkenntnis erspart bleiben, eine Regierung mit Milliarden unterstützt zu haben, die mit Mord an die Macht gekommen ist. (Michael Vosatka, derStandard.at, 6.3.2014)