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"Frieden für unsere Heimat, unsere Krim" steht auf dem Plakat dieser Demonstrantin in Simferopol, das von Männern zerrissen worden ist. Trotz der Machtspiele glaubt kaum einer an Krieg.

Foto: APA/EPA/Vlasova

Es ist nicht leicht, mit den Demonstranten auf dem Lenin-Platz ins Gespräch zu kommen. Etwa zwei Dutzend sind es zur Mittagsstunde in Simferopol. Mehrere Frauen verteilen Zeitungen an Passanten, die für das Referendum werben. Als sie den Akzent hören, werden sie misstrauisch: "Sie sind ein Faschist", begrüßt mich eine ältere Frau sofort. Kurz zuvor hatte sie eine russische Muttersprachlerin ebenso schroff abgefertigt, als diese sie zu überzeugen versuchte, dass auf dem Maidan nicht nur rechte Gewalttäter, sondern viele mit Präsident Wiktor Janukowitsch Unzufriedene demonstriert hätten.

Erst das in Moskau erstellte Pressekärtchen lässt sie gesprächig werden. Walentina Wassiljewa heißt die Frau, die sogleich einen Schwall an Vorwürfen gegen die neuen Machthaber in Kiew loslässt. "Heute morgen haben sie im Fernsehen gesagt, dass diese Faschisten und Banderowzy keine Renten mehr zahlen wollen", klagt die Ärztin. Mit Kiew gebe es nichts zu verhandeln, die neuen Führer seien alle illegitim.

Die Legitimität des Krim-Premierministers Sergej Aksjonow, der ebenfalls erst vor kurzem vom zu der Zeit von Bewaffneten besetzten Regionalparlament bestellt wurde, hinterfragen die Demonstranten nicht. Aksjonow, Politiker der bisherigen Splitterpartei "Russische Einheit", hat im Blitztempo auf der Krim sämtliche Hebel der Macht in seine Hände genommen. Er kontrolliert die Sicherheitsorgane, hat einen neuen Staatsanwalt ernannt und baut sogar eigene Ministreitkräfte auf.

Mit Kiews Premier Arseni Jazenjuk, der der Halbinsel Autonomie angeboten hat, lehnt Aksjonow den Dialog ab: "Wir halten die Obrigkeit in Kiew nicht für legitim. Sie ist für uns keine Vertreterin der Ukraine", sagte er.

Der 41-Jährige orientiert sich stattdessen nach Osten: Gleich nach seiner Einsetzung hatte er Moskau um Hilfe gebeten und sie bekommen, auch wenn Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu erneut betonte, dass auf der Krim "absolut keine" russischen Truppen stehen. Videos, auf denen Soldaten angeblich ihre Zugehörigkeit zum russischen Militär einräumen, nannte er "völligen Blödsinn". Die prorussischen Demonstranten in Simferopol stört das Dementi nicht. Sie danken Moskau für die Unterstützung. Interfax berichtete, russische Streitkräfte hätten zwei ukrainische Raketenabwehrstellungen unter ihre Kontrolle gebracht. Dies wurde später dementiert.

Die Aggression der Demonstranten bekam der UN-Sondergesandte Robert Serry zu spüren. Nachdem er von bewaffneten Männern bedroht worden war, brach er seine Mission In Simferopol ab und flog nach Kiew.

Am Mittwoch unterzeichnete die Region mit dem russischen Tatarstan ein Partnerschaftsabkommen. Das soll die Krimtataren, die einer Annäherung an Russland skeptisch gegenüberstehen, beruhigen. Weitere Wirtschaftshilfen sind angekündigt. Widersprüchliche Signale sendet Russland hingegen Richtung Ukraine aus. Gazprom lässt ab April den für drei Monate gewährten Gasrabatt auslaufen, gleichzeitig erklärte der frisch für den Friedensnobelpreis nominierte Wladimir Putin, die Zollunion werde alles dafür tun, der Ukraine bei der Überwindung der Krise zu helfen.

Die Annäherung auf politischer Ebene verläuft ebenfalls schleppend: Zwar soll es auf Ministerebene erste Kontakte geben, doch vor der Venedig-Kommission des Europarats stellt Russland die Rechtmäßigkeit der neuen ukrainischen Führung weiter in Frage. Kiew reizt den Nachbarn derweil mit dem geplanten Nato-Beitritt und der (freilich schnell dementierten) Meldung, im Gegenzug für amerikanische Finanzhilfe Elemente des US-Raketenschilds auf ukrainischem Territorium aufzustellen. Russlands Außenministerium reagierte reflexartig mit Provokationsvorwürfen. Mit dem Start einer Interkontinentalrakete demonstrierte aber auch der Kreml noch einmal Muskeln.

In Simferopol glaubt man trotz der Machtspiele nicht an Krieg. Die Spannung hat nachgelassen. Im Stadtzentrum läuft alles seinen gewohnten Gang. Selbst bei den erbitterten Debatten über die Zukunft der Halbinsel bleibt es zwischen den gegnerischen Parteien weitgehend bei Wortgefechten: "Wir wollen Frieden" - das ist der Minimalkonsens, auf den sich auf der Krim alle einigen können. (André Ballin, DER STANDARD, 6.3.2014)