Christa Hammerl erforscht vergangene Erdbeben.

Foto: T. Hammerl

Die Volksabstimmung über Zwentendorf 1978 markiert auch den Startschuss für die historische Erdbebenforschung hierzulande: "Wissenschafter waren sich über die Gefährdung des Standortes uneinig, was zu öffentlichen Debatten und gesteigertem Interesse an der interdisziplinären Bearbeitung des Themas führte", erläutert die Historikerin Christa Hammerl.

Die Expertin von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ist seit den Anfängen der systematischen Erdbebenforschung und Methodenentwicklung dabei. Seit gut einem Vierteljahrhundert blickt sie in die Zeit vor den modernen Messinstrumenten zurück, um statistische Aussagen über die Gefährdung und mögliche Schäden in einzelnen Regionen zu machen.

Das ist auch nötig, denn im aktuellen Normenwerk für erdbebengerechtes Bauen umfasst der Beurteilungszeitraum ganze 450 Jahre. Für ihre Auswertung von historischen Beben von 1000 bis 1900 n. Chr. in Niederösterreich erhielt sie 2013 den Anerkennungspreis für Wissenschaft des Bundeslandes. Diese Anerkennung nimmt sie wörtlich und zieht daraus Motivation für weitere Forschungsarbeiten.

Statistisch gesehen ist die Erdbebentätigkeit in Österreich seit dem Mittelalter gleich geblieben. Heute werden durch moderne Instrumente und mediale Verbreitung aber mehr Beben registriert (767 waren es im Jahr 2013).

Erdbeben entstehen, wenn sich Spannungen durch die Bewegung tektonischer Platten im Erdinneren ruckartig und nicht vorhersehbar lösen. Für die Analyse historischer Beben ist es wichtig, den "Zeitgeist" der Ursachenforschung zu kennen: Aristoteles vermutete zusammengepresste Luft im Erdinneren als Auslöser, Thales von Milet das Schaukeln des Wassers, auf dem die Erdscheibe schwimmt. Die Japaner glaubten, dass ein sehr großer Wels Erdbeben verursacht, Kant nahm chemische Ursachen an, und eine Strafe Gottes war im Mittelalter aktuell.

Annalen, Chroniken, Tagebücher, Zeitungen, aber auch Rechnungen von Reparaturen, etwa von Rauchfangkehrern, aus Archiven geben ihr Auskunft. Wichtig ist die Quellenkritik punkto Genauigkeit und Verlässlichkeit: War der Autor ein Zeitgenosse, ein Augenzeuge, was war sein Beruf, sein Umfeld? Und wie stehen die Quellen zueinander? Wie bei dem Spiel "Stille Post" können Fehler immer wieder abgeschrieben werden.

Die 57-jährige Wienerin belegte Geschichte und Geografie als Lehramtsstudium, um ein sich ergänzendes Wissensgebiet abzudecken und sattelte nach drei Jahren an einer AHS auf das Doktorat in Geschichte um. Als Geisteswissenschafterin fühlt sie sich unter den ZAMG-Geophysikern sehr wohl: "Gesellschaftlich relevante Themen wie der Klimawandel profitieren von interdisziplinärer Forschung." Die Mutter einer erwachsenen Tochter lehrt an der Uni Wien als Lektorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Geografie im Bereich Naturkatastrophen.

Parallelen zwischen einst und jetzt liegen für Hammerl in der Betroffenheit der Erdbebenopfer. Und auch in der Erdbebenhilfe, wie ihre Quellenforschung zeigt: So gestattete Maria Theresia 1768 in Wiener Neustadt, Sammlungen für Geschädigte durchzuführen. (Astrid Kuffner, DER STANDARD, 5.3.2014)