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Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, wahrscheinlich Russen, kontrollieren einen Militärstützpunkt in Sewastopol.

Foto: EPA / Zurab Kurtsikidze

Dreimal bekreuzigt sich Alexander, als die Aeroflot-Maschine nach Simferopol abhebt. Sicher ist sicher, denn in der Luft kann viel passieren. Davor, was auf der Krim abläuft, hat der ehemalige Grenztruppen-Offizier aus Moskau hingegen keine Angst. "Ich war schon in vielen Konfliktgebieten, habe in Afghanistan, Tschetschenien und in Transnistrien gedient", erzählt er.

Nun will er auf die Krim. Er hat mit Kameraden Geld gesammelt, das er verletzten Beamten der aufgelösten ukrainischen Polizei-Sondereinheit Berkut für Lebensmittel und Medikamente übergeben will. Anschließend wolle er sich bei der Bürgerwehr in Sewastopol, "der Heimat der russischen Seeleute", einschreiben. Bisher kennt er die Stadt - ebenso wie die gesamte Krim - nur vom Hörensagen. Dennoch klingt seine Stimme unbeirrbar, fast hart, als er die Krim "russische Erde" nennt, "die wir niemals aufgeben werden".

Immerhin: Ein kleines Zugeständnis macht der 60-Jährige. Natürlich liege die Entscheidung darüber, zu wem die Krim gehöre, bei den Bewohnern der Halbinsel selbst, räumt er ein. Er glaube aber fest daran, dass sie das Bündnis mit Russland wollten.

Prorussisch gestimmt

Tatsächlich ist ein Großteil der Bevölkerung prorussisch gestimmt: Am Busbahnhof von Simferopol rauscht hupend ein Autokorso auf der regennassen Straße vorbei. Die Insassen schwenken russische und Krim-Flaggen; beide übrigens in den Farben Blau-Weiß-Rot gehalten. Am Straßenrand wird ihnen zugewinkt. "Wir sind es leid, dass das ganze Geld aus unserer Region abgezogen wird. Wir verdienen hier im Sommer eine Milliarde, und im Herbst sind nur noch Kopeken übrig, weil alle Einnahmen nach Kiew wandern. Und jetzt wollen sie uns auch noch unserer Sprache und Kultur berauben", erklärt Taxifahrer Witja den Unmut der Menschen.

Witjas Eltern stammen aus Russland, der Vater aus Leningrad, die Mutter aus Tambow. Kurz nach dem Krieg sind sie auf die Krim gezogen. Dort ist Witja geboren. Er gehört damit zu den gut 1,4 Millionen ethnischen Russen, die die Mehrheit auf der Halbinsel ausmachen. "Doch heute sollen wir alle Ukrainisch sprechen."

Alexej Paderin, Doktorand an der Wirtschaftsfakultät, kennt das Problem. Seine Doktorarbeit über die Tourismusentwicklung auf der Krim sollte der russische Muttersprachler auf Ukrainisch verteidigen. "Ich hätte es in Englisch gekonnt, aber das konnten die Dozenten nicht." So wie er stoßen viele auf Barrieren in ihrer Karriere wegen der Diskriminierung des Russischen.

Die Probleme sind nicht neu. Doch durch die neue Regierung in Kiew würden sie verschärft, so fürchten sie auf der Krim. Das eilig in der Rada auf Druck von Nationalisten verabschiedete Sprachengesetz hat sie in ihrem Misstrauen bestärkt - zumal die meisten Bewohner über die Ereignisse in Kiew über den Filter des russischen Fernsehens informiert werden. Dort wird die Protestbewegung gegen Präsident Wiktor Janukowitsch auf "Faschisten und Banderowzy" (benannt nach dem Nationalistenführer Stepan Bandera, Anm.) reduziert, die die Russen abschlachten wollen.

Anschein der Normalität

So etwas brauchten sie auf der Krim nicht, darum seien sie Wladimir Putin auch so dankbar, dass er sie schütze, meint Paderin. Als Aggression empfindet er den Einmarsch der russischen Truppen nicht. Diese bemühen sich auch, den Anschein der Normalität zu wahren. Ein paar Tage lang - nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen prorussischen Demonstranten und den Krimtataren, die auf der Seite Kiews stehen - hatten Uniformierte das Zentrum abgesperrt, inzwischen läuft der Verkehr wieder. Vor den Kasernen und strategischen Objekten patrouillieren aber weiterhin Soldaten, die sich nicht der ukrainischen Regierung unterordnen.

Zum Dauerzustand könne das nicht werden, räumen die meisten Bewohner ein. Viele sehen in dem von der Krim-Regierung forcierten schnellen Referendum über den künftigen Autonomiestatus die Lösung des Problems. "Wir würden damit weiter zur Ukraine gehören, hätten aber mehr Freiheiten", glaubt die Wirtschaftsstudentin Natalja. Auch Paderin unterstützt den Verbleib bei der Ukraine "bei größtmöglicher Unabhängigkeit". Verhandeln will er allerdings erst mit einer neuen - gewählten - Führung in Kiew darüber. (André Ballin, DER STANDARD, 5.3.2014)